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Die psychische Vorbelastung von Soldaten, die posttraumatische Störungen nach Kampfeinsätzen ausbilden, rührt an eine alte Kontroverse: Immer wenn es um Vergütung von psychosomatischen Schäden ( so genannte Entschädigung) geht, die während extremer Handlungen im staatlichen Auftrag verursacht wurden, kommt es zur konzertierten Abwälzung der Verantwortung staatlicher Instanzen, indem diese behaupten, die Beschädigungen seien bereits vor den Kampfeinsätzen in den psychischen Verfassungen der Soldaten angelegt gewesen, und somit sei kein direkter Bezug von behaupteten posttraumatischen Störungen zu der Teilnahme an Kampfeinsätzen herzustellen. Es handele sich höchstens um einen verstärkenden Effekt, der in Zukunft durch akribisch vorgenommene Voruntersuchungen ausgeschlossen werde. Dieselbe Argumentation betraf Überlebende des Holocaust und der Konzentrationslager nach dem II. Weltkrieg. Sie hätten ihre aktuellen Störungen durch psychische Entwicklungsstörungen in der ferneren, vordiktatorischen Vergangenheit erlitten. Zwar seien sie Opfer der Nazi-Diktatur, ihre psychische Verfassung knüpfe jedoch an ein altes Leiden an. Auch in der Dresdner Studie werden die psychischen Störungen von Soldaten relativiert, indem angeblich nachgewiesen wird, dass 20% der Soldaten, die durch die Auslandseinsätze eine PTBS davontrugen, bereits zuvor psychische Störungen aufwiesen. Eine solche Zahl erhält Aussagekraft nur dann, wenn man sie mit Zahlen der Durchschnittsbevölkerung konfrontiert. Denn es kann nicht ausreichen, Soldaten nach Auslandseinsätzen mit solchen zu vergleichen, die ihren Dienst in der Heimat machten. Vielmehr wird man dieselben Kriterien an die Durchschnittsbevölkerung anlegen und sie als Kontrollgruppe wählen. Aber das würde bedeuten, dass die gesamte Bevölkerung in den verdächtigen Bereich medizinisch-psychiatrischer Relevanz gezogen würde. Aber die o.a. Zahl von 20% stellt ein weiteres Problem dar. Es geht um die Kosten für Veteranen, für Gesundheits- und Invalidenversorgung und für Erwerbsunfähigkeitsrenten. Joseph Stieglitz und Linda Bilmes haben hinsichtlich der Folgekosten für die US-Veteranen des Irak- und Afghanistankrieges zwei Szenarien entwickelt, ein „kostengünstiges“ und ein „realistisches“: Danach belaufen sich die Kosten für die amerikanischen Steuerzahler im ersteren Fall auf 422 Milliarden Dollar, im realistischen auf 717 Milliarden Dollar als geschätzte lebenslange Zahlungen an die Betroffenen. Bei deutlich geringeren Zahlen an Betroffenen in Deutschland wird man dennoch von einer Summe ausgehen können, die in etwa um den Faktor 15 kleiner ist als in den USA. In Deutschland können sich die Kosten hinter mehreren verschiedenen zahlungspflichtigen Trägern verbergen.

 

Mit dem Konzept der Komorbiditäten ergibt sich ein nicht geringes Problem: Sind die posttraumatisch aufgetretenen Symptome auf ein psychisches Ringen mit dem traumatisches Ereignis zurückzuführen oder sind sie Teil einer Komorbidität, die bereits zuvor bestanden hat und in völliger Unabhängigkeit (?!) von Kriegsereignissen existiert. Das Konzept der Komorbiditäten hat die posttraumatische Belastungsstörung als eigenständige Diagnose entwertet, und für versicherungs- und verantwortungsrechtliche Fragen ins Neblige gestellt. Betrachtet man als Komorbiditäten aber zahlreiche normabweichende Verhaltensweisen, also psychische Störungen, gemessen am konstruierten Idealtypus, so könnte die Diagnose PTBS ihre allein lebensgeschichtliche Verursachung und die nachfolgenden Syndrome retten. Abwehr von Verantwortung und Entschädigungsfragen können als Gegenspieler der Akzeptanz posttraumatischer Symptome betrachtet werden. Sie können aber posttraumatische Evidenz nicht leugnen.

 

Die Querschnittsstudie, deren Resultate 2012 publiziert wurden, erbrachte nach Befragung von 2500 Soldaten eine Quote von 2% der Afghanistan-Veteranen, die an PTBS litten. Das kann natürlich nur mit screening-Verfahren und Fragebögen ermittelt worden sein. Fragebögen haben aber die Eigenschaft, dass sie auf ein erkennbares Resultat oder Ergebnisfeld zusteuern. Sie legen fest, welche Symptome oder Erlebnisse aus einer Vielzahl in die Fragebögen übernommen werden und welche vernachlässigt werden können. Keine Statistik kann beantworten, inwieweit die berichteten Symptome mit dem Selbstbild eines Soldaten in inneren Streit treten. Dies würde die Resultate unsicher machen. Vielleicht könnte ein Vergleich zu anderen risikobehafteten Berufsgruppen, die ein heldisches Selbstbild pflegen, hilfreich sein.

Die Querschnittsstudie möchte also in einem ersten Schritt herausfinden, ob überhaupt ein Problem, das Aufmerksamkeit erfordert, besteht. Es geht der Studie zufolge um 2% der deutschen Veteranen, die in irgendeiner Weise an Kampfeinsätzen beteiligt waren und nun die Diagnose PTBS erhalten. Diese Zahl erhöht sich auf 2,9 % als Prävalenz innerhalb von 12 Monaten nach einem Auslandseinsatz. Hierbei erinnert man sich, dass in der US-Armee bis zu 13,8 % der Veteranen an PTBS erkrankt sind. Mit Zahlen und Statistiken kann man gesellschaftliche Angst und Erschütterung erzeugen oder die jeweiligen Verhältnisse schönreden. So ergaben sich beträchtliche Differenzen in amerikanischen Studien, die das Auftreten von Symptomen abfragten: Wurde bei Vietnam- und Kriegsveteranen nach Symptomen im vergangenen Monat gefragt, so waren 2,2% betroffen. Wurde nach dem Auftreten von Symptomen in den letzten sechs Monaten gefragt, so erhielten 15,2 % die Diagnose PTBS. Dafür mögen Besonderheiten in US-amerikanischen Versicherungssystem verantwortlich sein. Das bedeutet unter anderem, dass gelegentliche Symptome, die auch isoliert auftreten können, sich in einer längeren Zeitspanne ereignen oder auftreten können und dann die Bedingungen des Fragekatalogs erfüllen. Es scheint ein Sog von der Diagnose auszugehen, der dazu zwingt, die Kriterien so zu formen, bis eine krankheitswertige Störung daraus wird.

 

6,9% der Befragten wiesen weitere Störungen auf: Panikattacken, Erschöpfung oder Alkoholismus. Das sollen jene Komorbiditäten sein, mit denen sich eine weniger nebelige Diagnose PTBS abwehren lässt. Mit diesen Zeichen, die sich zu Störungen im Verhalten verdichten, sind die Frankfurter Börse und die Wallstreet als schwer gestört einzustufen. Da muss man nicht erst als Soldat in Auslandseinsätze geschickt werden. Es ist vermutlich das Risikoverhalten in Verbindung mit verlogenen Werturteilen und Aufputschmitteln, das die Störungen hervorbringt.

6,9% wiesen Störungen auf, die angeblich von PTBS abzugrenzen sind, obschon dies erheblich verwundert, denn Substanzabhängigkeit, Panikgefühle, die plötzlich auftauchen oder Erschöpfung, die sich in Antriebsschwäche und sozialem Rückzug äußert, sind Zeichen posttraumatischen Befindens. Eine Abgrenzung erscheint sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Die „Berliner Zeitung“ berichtet in einem Artikel von Markus Decker vom 27.11.2013, dass im Rahmen der Längsschnittstudie 20% der Soldaten, die an Auslandseinsätzen teilgenommen hatten, „schon vorher meist unerkannte psychische Störungen aufwiesen.“ Zum Glück gelingt es der Psychologie, nachher (nach Monaten) die vorher vorhandenen Störungen zu diagnostizieren. Alle Achtung! Unerkannt heißt nicht unsichtbar. Die Störungen waren schon da, als die Soldaten sich zu Kampf- oder Auslandseinsätzen meldeten. Das lässt sich heute also aus dem Nachherein herausfinden. Hätte man früher diagnostiziert, dann hätte man jene Soldaten aussortieren können, die später ein erhöhtes Risiko für PTBS darstellten. Aber wären dann überhaupt noch genügend Gesunde übriggeblieben? Schließlich kann man jeden Menschen in der einen oder anderen Weise als gestört definieren. DSM-VII wird es schaffen.

 So muss man im BMV wohl recht widerwillig mit jenen beschädigten Soldaten umgehen, deren weiterer Einsatz oder Arbeitsfähigkeit eingeschränkt oder unmöglich ist. Es geht also mal wieder um die ärztliche Feststellung einer seelischen Beschädigung und die Reparation, die Renten, die Behandlungskosten wie schon nach dem 1. Weltkrieg, als angeblich eine Renten- und Begehrensneurose grassierte. Und da kann man heute feststellen, dass kleine Zahlen betroffener Soldaten im BMV lieber gesehen werden als große Mengen von Anspruchsberechtigten. Dazu wird interessengeleitete Wissenschaft in Anspruch genommen.

In einer solchen Kontroverse mit sehr unterschiedlichen Interessen, die zu den Gerichten drängt, werden in Zukunft Gutachten vorgetragen werden, die an der Schwachstelle der Materie ansetzen. Das ist die Art und Weise, wie man zu einer Diagnose gelangt, welche therapeutischen Empfehlungen geraten erscheinen und welche Prognose hinsichtlich Einsatz- und Arbeitsfähigkeit erlaubt ist. Da wird in Frage gestellt, wie Statistiken zustande kommen, ihre Aussagekraft in Zweifel gezogen und je nach lobbyistischem Standpunkt der Krankheitswert der PTBS negiert oder gerettet. Die entscheidende Frage aber wird nicht gestellt: Was kann man über das irrsinnig komplexe psychische Innenleben eines anderen Menschen überhaupt wissen und wie es beurteilen? Aber da landen wir unverhofft beim Klassifizierungszwang, einer echten Neurose, die zum Fallstrick und Abbild  des klassifizierenden Wissenschaftlers wird, der hinsichtlich der Ursachen posttraumatischer psychischer Störungen bereits fündig geworden ist, bevor er sich auf die Suche macht. Diese Neurose ist schon bei Kindern zu beobachten, wenn sie rote Autos zu roten Autos oder schnelle zu schnellen stellen. Die Klassifikation programmiert Fragen und findet zuvor konstruierte Antworten oder konstruiert Fragen und findet in den Klassifikationen programmierte Antworten. Man findet die Ostereier, die man selbst versteckt hat. So wurden 26 DSM-IV-Diagnosen abgefragt, vermutlich überwiegend so genannte Störungen, deren zeitweiliges Auftreten den Charakter einer klinisch manifesten Diagnose annahm. An dieser Methode sind berechtigte Zweifel angebracht. Man kann nämlich Auffälligkeiten und Störungen mit dem Etikett Diagnosen neu erfinden und damit den Kreis der vor AE Gestörten beliebig erweitern. Das DSM-V weist den Weg. Vormals war die Eigenständigkeit posttraumatischer Befindlichkeiten überhaupt keine Herausforderung: nach extremen Erlebnissen kam es zu Angststörungen und Depression, die bei z.B. Soldaten zu Anpassungsstörungen führen konnten. Was in der Symptomatik von diesen beiden Ausdrucksformen abwich, begründete keineswegs neue Zwischenkategorien.

Die Längsschnitt- und die Querschnittstudie machen nur vernünftigen Sinn nicht durch die Veröffentlichung von Zahlen und Konsequenzen, sondern wenn in selbstkritischer Weise geschrieben wird über das eigene Interesse. Es genügt nicht, sich als Wissenschaftler zu präsentieren, man muss zugleich den Einflüssen auf Herkunft und Gebrauch dieser Wissenschaft kritisch gegenüberstehen. Das ist bei gut dotierten Auftragswerken nur sehr selten der Fall. Denn das Interesse an Fürsorge beim BMV wird man nicht generell abstreiten können, aber man möchte dort das Problem nach Auslands- und Kampfeinsätzen möglichst gering halten, weil die zu erwartenden Kosten so hoch ausfallen. Während also die Bundeswehr im Auftrag der Politik weltweit „Verantwortung“ übernimmt, ist sie bei der Übernahme von Verantwortung gegenüber beschädigten Soldaten eher zögerlich.

Es wird folglich gestritten bei den Streitkräften, und die Wissenschaft gibt in diesem Szenario den Schiedsrichter.