Bis in die Radionachrichten dringen Meldungen vor, die von einem vermehrten Behandlungsbedarf künden, der Veteranen des Afghanistan-Krieges betrifft, nachdem sie die chaotischen Szenen am Kabuler Flughafen gesehen haben. Die Bilder hätten „Retraumatisierungen“ ausgelöst. Diese Bezeichnung verweist auf einen falschen Gebrauch des Begriffs Retraumatisierung. Man könnte allenfalls von einer Aktualisierung von Angst sprechen. Aber auch diese essen Seele auf.

Es ist zudem für viele Veteranen zu bezweifeln, dass die chaotischen Szenen am Flughafen ein unmittelbarer Trigger gewesen sind, der traumatische Erlebnisse über das Gedächtnis einspielt. Bei SoldatInnen bedeutet Trauma die Konfrontation mit dem eigenen Tod. Das ist bei einer Retraumatisierung nicht der Fall, wenn man Bilder von Chaos betrachtet. Es kann sich hierbei nur um bedrängende Menschenmassen und geringe bewaffnete Präsenz durch Soldaten gehandelt haben, die zu Warnschüssen Anlass gesehen haben. In jedem bedrängenden Chaos entwickelt sich Angst, und die Vorstellung oder Antizipation von Hilflosigkeit erzeugen Angst. Es ist ein Alptraum, der durch falsche Entscheidungen entstehen kann. Wenn eine Grundangst sich im Körper festgesetzt hat, können alle denkbaren Trigger erneute Angst mit entsprechenden Symptomen ausbrechen lassen. Das heißt, die unterschiedlichsten Menschen können betroffen sein, nicht nur Veteranen. Solche Folgeerscheinungen gehören m.E. in moderierte Selbsthilfegruppen und nicht in die klinische Relevanz.

Wenn man einmal von der bildhaften Stimulation bei Veteranen absieht, dann kommen unter anderem die Sinnfragen in Betracht, die das zwanzigjährige kriegerische Vorgehen deutscher Soldaten in Afghanistan betreffen. Das deutsche militärische Engagement hat u.a. als Endkonsequenz die Dramen am Flugplatz erst ermöglicht. Der Abzug der deutschen Truppen kann von den Soldaten als Verrat an Menschen betrachtet werden, denen man während der Stationierung kooperierend vertrauen musste. Solche Gedanken sind Blütezeiten für Schuldgefühle.

Das deutsche Engagement im Rahmen des Nato-Einsatzes war von Beginn an mit westlich-moralischer Komponente aufgeladen ( Frauenrechte, Kinderrechte, Bildung, Gesundheit, Hygiene, Infrastruktur usw.). Diese Betrachtung schützte ein Stück weit vor der Betrachtung des blutigen Teils. Als nach der Rückkehr der Soldaten die politische Führung stammelnd zu einem Fazit des Einsatzes antrat (zu einem zentralen Gedenken mussten die Politiker getragen werden), da ward der Sinn des Krieges zu Staub: Erfolglos, Fehleinschätzung, Dollargrab, kein Nationbuilding, geopolitische Pleite, für Hunderte tote Al-Khaida- Mitglieder Tausende Tote bei der Nato, von den getöteten Zivilisten gar nicht zu reden. In öffentlichen Stellungnahmen wurde, was jeder als Misserfolg sah und dachte, bemäntelt mit einem erfolgreichen Krieg gegen den Terror. Die Trauer um die vergeblichen Reformen wurde rasch abgekürzt. Die SoldatInnen kehrten als Verlierer heim, schlugen die Augen nieder, als sie dann endgültig erkannten, dass sie aushalten mussten, was ihnen die Politik eingebrockt hatte. Dabei hatten sich alle Mandatsverlängerer im Bundestag mitschuldig am Leiden einzelner SoldatInnen gemacht.

Trauma und Retraumatisierung sind seit der Rückkehr der Vietnam-Veteranen ein geflügeltes Thema, das 1980 zu einer psychiatrischen Diagnose führte, die von der individuellen Tragweite der kriegerischen Erlebnisse ablenken sollte. Vietnam-Veteranen kamen als Verlierer in die Heimat. Sie waren für geopolitische Absichten geopfert worden. Etliche wehrten sich, das Opferstigma zu tragen, viele durchliefen die Veteranen-Hospitäler, versehen mit einem Begriff (Trauma), der nichts, aber auch gar nichts erklärt, weil er kontextfrei benutzt wird.

Deutsche SoldatInnen hatten zum erste Mal Gelegenheit, im Rahmen der Nato einen Krieg an der Seite der US-Amerikaner zu führen, einen Vergeltungskrieg, der sich über 20 Jahre hinzog. Das schien eigentlich Erfolg zu versprechen, wenn man auf die Großmäuligkeit der US und ihre Sprachrohre im Bundestag vertraute. 20 Jahre Vergeltung garniert mit westlicher Moral haben eine Sicht hervorgebracht, die im Aufbau einer afghanischen Armee und Polizei den illusionären Weg zu einer demokratischen Verfassung erkannte. Wenn man keine Ahnung von lokalen und Stammesloyalitäten hat, dann beginnt man eine Demokratie mit Polizei und Militär. Wer Vereinbarungen nur mit städtischer Oberschicht trifft, dem bleiben die Motive der überwiegend ländlichen Bevölkerung verborgen.

Wir haben es folglich mit einer Trias zu tun, die jene psychosozialen Irritationen erklären könnte, über die Veteranen heute angesichts der Bilder aus Kabul klagen. Die Sinnlosigkeit des militärischen Engagements – der Verrat an den einheimischen Mitarbeitern – das Image einer Truppe,  die alle ihre Ziele verloren hat. In einen Entlastungsprozess sollten daher alle drei Faktoren Eingang finden. Wer sich allein mit einem diagnostizierten Trauma befasst, greift zu kurz und begnügt sich damit.