Die Forderung steht im Raum: die Forderung von DSM-5 und ICD11 nach einem objektiven traumatischen Ereignis, das die Folgewirkungen für PTBS spezifisch hervorruft. In einer Welt, die kausale Erklärungen für Ursache-Wirkungs-Relationen bevorzugt, kann es durchaus dazu kommen, dass ein ungenügendes Verhältnis von dem verursachenden Ereignis zu den Folgephänomenen hergestellt wird. Menschliche Körper offenbaren kausale Erklärungen, wenn es um den Stich mit einem Messer (Stichwunde) oder dem Schlag mit einem Hammer (Quetschwunde) geht. Bei psychischen oder psychosozialen Verletzungen ist genauso wie bei physischen die Beschaffenheit der vulnerablen Textur von Bedeutung. Das bedeutet, beim Psychotrauma kommen stets zwei Ursachen in Betracht: die Gewalt und die individuelle Verletzungsbiographie und Resilienz als Resonanzkörper , in dem ein traumatisches Echo, das traumatische Gedächtnis, nachwirkt. Dies ist eine Binsenwahrheit, die für die unterschiedlichen Verläufe nach Gewalteinwirkung verantwortlich ist. Unterschiedliche Verläufe beziehen Teilenergien auch aus Verdrängungspotenzen und nach Meinung von Expert*innen aus der Dissoziation.

Wenn die Manuale darauf  bestehen, einen objektiven Auslöser für Folgestörungen zu postulieren, bedeutet dies zweierlei: Das objektive traumatische Ereignis muss definiert werden, und es müsste in einer hierarchischen Gliederung von geringer traumatischen Ereignissen zuverlässig abgrenzbar sein. Dabei spielt dann die Beschaffenheit des psychischen „Gewebes“ keine oder nur eine untergeordnete Rolle, weil die Zusammensetzung der psychischen Textur nicht einmal beschreibend tiefgründig zu erfassen ist.. Das Produkt aus Erfahrungen und Vorschädigungen zu ergründen, ist langwierig, zuweilen schmerzlich und kostenintensiv. Da ist eine verkürzende Kausalität, die allein die einwirkende Gewalt berücksichtigt, besser zu handeln. Leider wird in zahlreichen Studien die psychosozial verletzte Person für den ungenügenden Zustand der biographisch erzeugten Textur verantwortlich gemacht und mit der Schuldfrage verbunden, gleichsam als Eigenanteil am posttraumatischen Geschehen, als gäbe es nur reine Gesunde und davon abgrenzbare Vorbeschädigte.

          Die von einer Macht ausgehende Gewalt nimmt immer auch  die Gestalt einer moralischen Verletzung an. Moral entsteht als wandelbarer gesellschaftlicher, d.h. politischer Prozess. Daher muss es erstaunen, dass die moralische Verletzung zu Behandlungszwecken allein in das betroffene Individuum verlagert wird. Dabei verweist solche Verletzung auf die Entstehungsbedingungen und Zwecke von Moral, bezieht folglich die soziale Umgebung als Konstrukteurin von Moral  mit ein. Wenn nun eine moralische Verletzung von der politischen Vorgeschichte in eine psychologische Diagnose verwandelt wird, kann dies nicht befriedigen, kann die verletzte Person nach Therapie sich nicht in Sicherheit bringen, solange der gesellschaftliche Bezug nicht eindeutig ausfällt und der soziale Rahmen keine anerkennende Position bezieht.

          In zahlreichen Berichten und Falldarstellungen wurde deutlich, dass vielschichtige und differenzierte Ursachen für traumatische Folgeerscheinungen im Sinne von PTBS verantwortlich gemacht werden können. Das so genannte extreme Ereignis kann folglich keinen Alleinvertretungsanspruch auf  die posttraumatischen Cluster behaupten. Das posttraumatische Befinden definiert den Auslöser, wenn überhaupt ein Ereignis benannt werden kann und in der Folgewirkung nicht eine Summe von Einzelereignissen dem extremen Auslöser gleichkommt.

          Die Suche nach einem objektiven traumatischen Ereignis hat durch notwendige Willkür mögliche Interessenten auf den Plan gerufen, die eine Vergabe der Diagnose PTBS an einen enggeführten Kreis von Leidenden beschränken möchten. Da kämen Versicherungen in Frage. Angesichts der immensen Zahlen traumatisch Beschädigter kämen auch die Berufsverbände von Psychotherapeut*innen in Schwierigkeiten, wenn die personellen Ressourcen fehlen. Folter, Vergewaltigung, Geiselnahme, Entführung, allgemein: Lebensbedrohung müssen sich die posttraumatischen Cluster mit anderen psychosozialen Verletzungen (Armut, Mobbing, Vernachlässigung usw.) teilen, wozu die Erfinder des Symptomkatalogs bereits durch Krieg und Bürgerkrieg, Kolonialismus, Rassismus und Fluchtbewegungen eindringlich ermahnt wurden.