Folter, Misshandlung und zur Funktion von Regression

 

                                      von Sepp Graessner (2005)

 

Vor rund 10 Jahren habe ich den folgenden Beitrag geschrieben. Er hat deshalb nicht an Aktualität eingebüßt, weil die neuen Techniken zur so genannten Bekämpfung innenpolitischer Auflehnungen und Revolten Politiker in vielen Ländern zur Klärung der Frage, was Folter, was Misshandlung und was legitime Gewalt des staatlichen Monopols sei, veranlasst hat. Zu den neuen Techniken zählen solche, die mit Schall- und Mikrowellen oder mit Elektroschockern und Klebstoffen operieren. Ihre Untersuchung in Laboren und eine Freilanderprobung sind weit vorangeschritten und werden von einer Öffentlichkeit kaum beachtet. Terrorattacken weiten sich aus, und der „Krieg gegen den Terror“ wird angeblich reaktiv immer weiter ausgedehnt. Eine Rüstungsspirale ist längst in Gang gekommen, die widerständiges Verhalten einkreist. Die Debatte um Folterungen in Irak und an anderen Orten und die damit verbundene Aufweichung der Kriterien, die Folterhandlungen zu relativieren versuchen, macht eine Neuaufnahme der Diskussion notwendig, die sich nicht allein unter juristischen Experten abspielen darf. Denn es gibt nach meiner Auffassung keine Unterscheidung zwischen Misshandlung und Folter, sieht man einmal vom Status der Täter ab, was für die Folgen bei den betroffenen Opfern kaum Relevanz erzeugt.

 

Niemand hat die Absicht, das heiße Bügeleisen der Frau Böck, das doch alles wieder gutgemacht hat, zum Folterinstrument zu erklären. Nicht einmal Misshandlung könnte man nennen, was sie auf dem kalten Leib des Schneiders vollbrachte, da man sein Einverständnis annehmen kann. Diese Episode aus den aggressiven „Streichen“ von „Max und Moritz“, die (nach neuer Sprachregelung) durchaus Traumata zur Folge hatten, hat mich immer irritiert. Als Heilungshandlung habe ich als Kind akzeptiert, was unter anderen Umständen Folter sein kann. Heilung kommt zuweilen gewalttätig daher. Der Gebrauch von Dual-use-Geräten enthält gleichfalls zwei Komponenten, eine nützlich genannte und eine schädliche und traumatisierende. Dadurch wird man über die Intentionen des Gebrauchs oder Missbrauchs sprechen müssen, denn jedes Ding enthält diese zwei Seiten.

 

Seit rund 25 Jahren bemerken Therapeuten von Folterüberlebenden in zahlreichen Staaten ein neues Paradigma. In steigendem Maße verabschieden sich Verhörer von körperlichen Foltermaßnahmen und wenden stattdessen psychologisch fundierte Methoden in ihren Verhören an, (wodurch sie allerdings nicht auf schmerzauslösende körperliche Methoden verzichten oder sie gar vergessen). Damit suchen sie an den Kern der Persönlichkeit, an Rechte und Würde heranzutreten und diese einer Verwandlung zu unterziehen. Psyche und Geist, Gedächtnis und Denkabläufe werden zum Angriffspunkt der Folterer, weil in der Beeinflussung dieser Steuerungsinstanzen der Schlüssel für den Zugang zu widerständigem Verhalten gesehen wird. Der Körper empfängt zwar Schmerzreize, er wird aber heute eher als Hülle für verborgene Dinge betrachtet. Allerdings wird wohl heute eher das Ziel verfolgt, dass ein Opfer seiner schmerzvollen Bestrafung zustimmt. Der reine Schmerzreiz hält die Trennung von Opfer und Täter aufrecht, während die favorisierte Methode darin besteht, die Demütigung dadurch zu vollenden, dass der Misshandelte eine Beziehung zum Folterer herstellt und sich explizit seinen Methoden unterwirft. Solche erzwungenen Beeinflussungen des seelischen (und damit sozialen) Korsetts eines Menschen vermeiden zugleich den Begriff der grausamen Behandlung. Was in der zwischenmenschlichen Kommunikation und Pädagogik üblich ist, kann nicht mit dem Etikett "grausam" belegt werden, so die landläufige Meinung.

Damit wird eine Grauzone grauer: die Unterscheidung von Folter und Misshandlung. Ist diese Unterscheidung nur formal? Weil nur Staaten sich zur Ächtung der Folter und zur Verfolgung von Tätern verpflichtet haben? Und daher allein Staaten und ihren Bediensteten Folter zugerechnet werden kann?

Die Texte der einschlägigen Konventionen und Deklarationen sind relativ eindeutig: Wenn Misshandlungen an Gefangenen von Staatsbediensteten (Soldaten, Polizisten, Wärtern, Aufsichtspersonen usw.) zu umschriebenen Zwecken (Nötigung, Diskriminierung, Strafe) begangen werden und körperliche und seelische (mentale) Schmerzen verursachen, sind sie Folter zu nennen, wenn es sich Macht gestützt um Zwangsmaßnahmen in einem asymmetrischen Verhältnis gehandelt hat.

Nun gibt es, seit wir uns im „Krieg gegen den Terror“ befinden, zahlreiche Versuche, die Definition von Folter aufzuweichen und Grauzonen zwischen Misshandlung und Folter einzufügen. Im Bereich der psychologischen Folter, die es ja nach der Definition gibt und die sich nicht in Scheinexekutionen u.ä. erschöpft, wird diese Tendenz besonders deutlich. Daran sind fraglos die Bewertungen von amnesty international und eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht unerheblich beteiligt. Amnesty international hatte in einer Stellungnahme aus dem Jahre 1974 festgestellt, dass die "sensory deprivation", die Ausschaltung sinnlicher Reize (d.h. einer Realitätsvergewisserung, des realen Zeitempfindens usw.), die an Gefangenen der RAF praktiziert wurde, keine Folter darstelle. Der EuMGH hatte eine Klage gegen das United Kingdom 1977, eingereicht durch Gefangene der IRA, so geurteilt, dass die angewandten Praktiken der Desorientierung ("die fünf Methoden") zwar "unmenschliche und erniedrigende Behandlung" darstellten, nicht jedoch Folter genannt werden können. Dadurch wurde die Intensität der schmerzverursachenden Praktiken zu einer Variablen der Beliebigkeit in den Händen von Polizei und Geheimdiensten, nach dem landläufigen Muster: Eine Ohrfeige ist Pädagogik, fünf Ohrfeigen sind unmenschliche Misshandlung, oder vier oder erst sieben?

Juristen, die in vergangenen(?) Jahrhunderten über die Anwendung von Folter entschieden, haben weiterhin ein Monopol inne: Sie definieren, wann Folter vorliegt und ab welcher Intensität sich der Übergang von Misshandlung zur Folter vollzieht. Für die Grauzone dazwischen gibt es keine Begriffe. Es gibt nicht ein Bisschen Folter. Folter unterwirft einen Menschen ohne Einschränkung unter die Totalität staatlicher Macht. Somit ist Folter seit der Antike ein Instrument der herrschenden Macht und dient im Wesentlichen der Fortsetzung des status quo.

Ich erinnere mich, dass 1993 im Rahmen einer Informationsveranstaltung mit Polizeibeamten das Interesse der Polizisten sich gerade auf die Differenz von Misshandlung und Folter richtete. Sie wollten genau wissen, wo die Grenze verlaufe. Für sie gab es ein Bedürfnis nach Differenzierung. Fälle von Mobbing hatten sich gehäuft. Die Polizisten erkannten, dass Mobbing eine Form der psychosozialen Misshandlung darstellte, deren Intensität in der Wahrnehmung des Opfers auch zum Suizid führen konnte.

Die Grenze verläuft nicht, wie man landläufig vermuten könnte, bei der Intensität der Misshandlungen. Sie verläuft nicht im Bereich der Spuren, die Misshandlung hinterlässt. Die Unterscheidung verläuft durch Abstraktion in professionellen Bahnen. Sie liegt in den Händen von Juristen, die über die Definitionsmacht verfügen, also von einer äußeren Position, die von Interessen geleitet wird.

Folter ist anzunehmen, wenn die Misshandlung von staatlichen Instanzen, d.h. ihren Stellvertretern und Hoheitsträgern, begangen wird, wenn die Hoheitsträger sich im Arsenal des staatlichen Gewaltmonopols auch für ungesetzliche Handlungen bedienen. Das Folterverbot soll nämlich, orientiert an historischen Erfahrungen, staatliche Willkür eingrenzen. Daher verpflichten sich Staaten zur Beachtung des Folterverbots und nicht Einzelpersonen. Das bedeutet, dass die individuelle Berufswahl und das Arbeitsverhältnis mit dem Staat und seinen Institutionen, die hoheitliche Aufgaben übertragen, neben anderen Kriterien den Unterschied ausmachen. Nicht nur in Polizei und Geheimdiensten kann ein Hoheitsträger zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen verführt werden, in gleicher Weise sind pädagogische und betreuende Personen im Staatsdienst in Gefahr, die Grenzen zur Folter zu überschreiten.

Wir haben es am Falle Daschner erlebt: Hätte Daschner als Privatperson Schmerzen angedroht, dann wäre nicht von Folter zu sprechen, dann hätte er vermutlich sogar Notwehr geltend machen können, indem er ein hohes Rechtsgut zu schützen suchte. Daschner hat durch seine Selbstbezichtigung eine vorwiegend juristisch geführte Debatte in die Öffentlichkeit tragen wollen, offenbar weil er es leid war, die rechtlichen Beschränkungen seines polizeilichen Handelns zu ertragen und weil er den aufbrechenden Diskurs über die "ausnahmsweise" zulässige Folter kannte.

Wenn nun zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe, sagt der Volksmund. Als Privatperson kann man misshandeln, als Hoheitsträger,

die gleiche zweckgerichtete Gewaltanwendung vorausgesetzt, kann man nur foltern. Eine Gewaltanwendung ohne Zweck ist nicht vorstellbar, auch die "spontane" Entladung als Ergebnis einer Spannungsgeschichte verfolgt einen Zweck. Die in den Konventionstexten genannten Zwecke verstehen sich beispielhaft. Vom angestrebten Lustgewinn einmal abgesehen, folgt die Misshandlung durch eine Amtsperson den Zwecken der Nötigung, Diskriminierung, Strafe, der Erniedrigung, Angsterzeugung oder einer persönlichkeitsbeschädigenden Machtdemonstration, die ihren Willkürcharakter nicht verbergen kann. Misshandlung durch eine Amtsperson liegt m.E. lediglich dann vor, wenn sich die schmerzverursachende Gewalt gegen einen Gleichrangigen (z.B. Unteroffizier gegen Rekrut, Regierungsrat gegen Regierungsrätin usw.), also gegen eine andere Amtsperson oder mit Hoheitsmerkmalen versehene Person richtet. (Hier ist selbstverständlich zu bewerten, was Schmerz bedeutet und wie viel Subjektivität im Spiel ist.) Hat die Amtsperson einen Gefangenen in seiner Obhut und Gewalt, folglich in einem weit gehenden Abhängigkeitsverhältnis, dann wird man seine Gewaltanwendung, die nicht durch den Vollzug der Gefangennahme gedeckt ist, Folter nennen müssen, auch wenn körperliche Gewaltmethoden nicht zu Zuge kommen. Schon die Drohung mit Folter fällt unter das Verbot. Hierin drückt sich die Anerkennung eines Angriffs auf die Vorstellungskraft aus, was als psychologisch wirksame Attacke zu verstehen ist.

Das ist eigentlich schwer einzusehen, weil der Hoheitsträger sich ständig dieser Rolle bewusst sein muss. Er kann nicht oszillieren zwischen Privatperson und Amtperson. Das Dienstrecht kann den Hoheitsträger sogar für Handlungen disqualifizieren, die er als Privatperson begangen hat. Die Trennlinie im Bewusstsein des Hoheitsträgers macht sein Handeln nicht zu einem schizogenen, da er hinreichend belehrt sein sollte und mit dem Amtseid auf diese Trennlinie hingewiesen wird.

Hätte das Gericht im Falle Daschner auf nichtschuldig erkannt, wäre mit einem Schlage die Trennlinie zwischen Privatperson und Hoheitsträger in einer Grauzone der Beliebigkeit verschwunden.

In der aktuellen Debatte ist wiederholt von einer roten Linie die Rede. Das ist nicht etwa die Spur, die ein Folterer hinterlässt. Das ist auch nicht die Grenze zwischen aktiver Folter und der Verwertung von Folteraussagen durch Geheimdienste, die jedoch wegen der praktizierten Folter nicht gerichtsverwertbar sind. Es handelt sich eigentlich um die Differenz von Folter und Misshandlung, zwischen einer privaten und einer amtlichen illegalen Handlung.

 

Hier scheint es zu einer verborgenen Komplizenschaft von europäischer Innenpolitik und dem Vorgehen der US-Amerikaner in der Bush-Administration zu kommen. Offenbar wünscht man dort eine Ausweitung des Misshandlungsbegriffs in die Zone der Folterdefinition oder umgekehrt eine Einengung des Folterbegriffs auf grob verletzende Verhörmethoden. Die wissenschaftsgestützte Form der psychologischen Folter soll fortan zu den Misshandlungen gerechnet werden, obschon sie den Zweck verfolgt, psychische (mentale) Schmerzen zu erzeugen. Wenn sie diesen umschriebenen Zweck nicht hätte, würde man sie nicht seit Jahrzehnten beforschen und in Verhören anwenden. Dazu ist der bedrohende Einsatz von Hunden ebenso zu rechnen wie alle schamverletzenden Formen der Lächerlichmachung, die durch erpresserische Fotografien in aller Welt verbreitet wird. Die Drohung, solche erniedrigenden Fotos ins Internet zu stellen (in vielen Ländern übliche Praxis), folgt der Logik von Erpressern und vermählt damit Rotlichtmilieu, kriminelle Energie und Machtpolitik. Der normative Aspekt des Rechts wird so ungestraft entwertet. Ihm kann nachweislich widersprochen werden von einer Regierungsgewalt, die im Ausland internationales Recht ignoriert, im Innern einen permanenten Ausnahmezustand schafft und dann vorgibt, immer noch das Recht anzuwenden (Giorgio Agamben, Ausnahmezustand, S. 102). Der politische Preis, den die Bush-Regierung dafür zu zahlen hat, soll mit dieser relativierenden Neubestimmung von Folter auf dem Quälbazar heruntergehandelt und spätere Rechtsverfahren in eine Zwickmühle gebracht werden.

Und wie nicht anders zu erwarten, machen deutsche Behörden, auch Gerichte und etliche Medien das Spiel mit.

Immer wieder kommen tabuverletzende Journalisten in der Tagespresse zu Wort, die sich nicht um die Differenz von privater und staatlicher Gewaltwillkür scheren, wenn sie der Nützlichkeit von Folter im Ausnahmefall das Wort reden. Dabei mangelt es ihnen schlicht an Gespür für die Boten des Ausnahmezustandes. Solche Journalisten bejubeln sich, weil "sie das Undenkbare denken". Die Tabuverletzung liegt bereits darin, dass über die Aushöhlung des absoluten Folterverbots überhaupt gesprochen wird. Tabulos wird zu einem positiven Attribut in der Debatte. Sprachliche und begriffliche Verlotterung sowie wolkige Euphemismen sind jedoch das Frühkennzeichen für verborgene Absichten.

In einer Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BMF), in der ein Widerruf der Anerkennung nach § 51 Abs.1 des (alten) Ausländergesetzes begründet wird, heißt es:

"Die (türkische) Strafprozessordnung untersagt Folter und sonstige physische und psychische Misshandlungen zur Erlangung von Aussagen und Beweismitteln sowie deren Verwendung im Prozess."

Unabhängig von der Bewertung der Rechtspraxis in der Türkei macht hier doch die Auffassung des BMF stutzig: Was, bitteschön, sind physische und psychische Misshandlungen zur Erlangung von Aussagen und Beweismitteln? Was soll die Abgrenzung dieser Gewaltformen von der Folter? Sie sind Folter, und sie machen deutlich, dass auch das BMF an der Aushöhlung des Folterbegriffs beteiligt ist und sich dabei auf Richterentscheidungen beruft. Diese Sicht auf die Türkei erfolgte offenbar mit politischer Billigung der ehemals rot-grünen Regierung und mit dem Segen deutscher Gerichte, jedenfalls im Verständnis des BMF, das bereitwillig auf „his master´s voice“ hört.

Allerdings geben einige deutsche Gerichte ihre Zurückhaltung in der aktuellen Folterdebatte auf, wenn sie darauf abstellen, dass es Folter geringer Intensität gäbe, die nicht als Abschiebehindernis gewertet werden könne, vor allem dann nicht, wenn sie im Herkunftsland gängige Praxis, gleichsam ein Gewohnheitsrecht sei, das an Gefangenen und Häftlingen praktiziert werde. Ein bisschen Folter ist nicht Folter. Damit folgen sie der Vorgabe aus den USA. Der Staatssekretär im US-Justizministerium, Jay Bybee, hatte in einem Rechtsgutachten Folter nur noch gelten lassen, wenn sie den Tod oder Organversagen zur Folge hatte. Psychologische Methoden wie "sensory deprivation" sollten nicht als Folter bezeichnet werden können. Zudem sei ein spezifischer Vorsatz, psychische Schmerzen zuzufügen, für das Vorliegen von Folter zu fordern. Der Vorsatz ist jedoch, wenn er nicht gefilmt sei, schwer, fast unmöglich nachzuweisen. Wenn folglich der Vorsatz in der Erlangung einer Aussage besteht, könne man den Vorsatz der Schmerzzufügung für sekundär erklären und vernachlässigen. Und, folgert Bybee, wenn der Vorsatz in der Informationsbeschaffung läge, könne der psychische Schmerz doch nur Kollateralschaden (im Sinne von Fahrlässigkeit) sein. Folgt man den Ausführungen von Alfred McCoy ("Foltern und foltern lassen", 2005, Zweitausendeins), geht es um die Befugnisse des Präsidenten, der Folter im Krieg anordnen könne, weil er sie faktisch angeordnet habe. Warum aber nicht auch Sklaverei, Apartheid und Völkermord?, entgegnen ihm Rechtsexperten der Yale Law School. Eindeutig aber geht es um die Strafbarkeit von Folterhandlungen. Dazu ist nach der US-Logik, (die offenbar dabei ist, sich  in deutsche Gerichte zu schleichen,) die unsinnige Schwelle der Folterintensität zu heben. Nur Handlungen, die zu Verstümmelung und Tod führen, sollen demnach als Folter angesehen werden. Eine posttraumatische Stresskrankheit als langfristiges Indiz ist dabei zu vermeiden. Das ist auch für Laien ein kardinaler Widerspruch.

Bei den "Vorfällen" von Abu Ghraib handele es sich um Misshandlungen, nicht um Folter, sagte Donald Rumsfeld am 4.Mai 2004: "Die bisher erhobenen Vorwürfe beziehen sich auf Misshandlungen, was meiner Ansicht nach etwas anderes ist als Folter".

Als innovative Definitionsmacht tritt hier die Exekutive auf, die sich auf sophistisch argumentierende Rechtsberater (Bybee u.a.) stützt. Man müsse also nur lange genug auf der Einengung der Folterdefinition bestehen, dann werde sich durch die normative Kraft des Faktischen ein mainstream herausbilden, der zwar den internationalen Konventionen widerspricht, dafür aber weit gehende Immunität verspricht. Selbstgerechte Definitionsmacht der Exekutive ist ein weiteres Kennzeichen im Frühwarnsystem des unerklärten Ausnahmezustandes.

Misshandlung ist eine zweckgerichtete Gewaltanwendung im privaten Bereich. Im Zusammenhang mit Amtshandlungen, wozu auch militärische Interventionen gehören, hat dieser Begriff nichts verloren, es sei denn bei der militärischen/polizeilichen Ausbildung. Dann aber richtet sie sich nicht auf Gefangene oder Gegner, die sich in einem komplett asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnis befinden.

Eine Variable bei der Folterdefinition ermutigt offenbar immer wieder zu Auflösungsversuchen. Es ist der körperliche und/oder seelische Schmerz, der sich unerfassbar in die Zone des Subjektiven zurückzieht, gleichwohl aber langfristige Symptome produzieren kann. In der EMRK ist die Rede von grausamen Schmerzen, die durch Folter erzeugt werden. Was ist grausam? Was ist grausamer Schmerz?

Die Definition von grausam und schmerzauslösend können nicht einer Exekutive überlassen werden, die sich in einem Krieg befindet. Sie kann auch nicht allein durch Richter festgelegt werden, weil Grausamkeit und Schmerzverursachung einen subjektiven Gehalt vorweisen, der sich einer Objektivierung entzieht; zudem kulturell geformt ist. Das allgemeine (Rechts-)Empfinden stellt sich wie in der Frage der Todesstrafe flexibel und manipulierbar dar. In Gesetze kann man nicht gießen, was grausam bedeutet. So werden Beispiele, historische wie aktuelle, zu Orientierungen bei der Definition von "Grausam" und "Schmerzverursachend". Erfahrung käme in den ambivalenten Rang eines Ratgebers. Hinzu tritt das Ergebnis einer ungesetzlichen und willkürlichen Gewaltpraxis: die erzwungene Regression mit ihren persönlichkeitsbeschädigenden Wirkungen. "Grausam" und "seelische (mentale) Schmerzen verursachend" sind Kennzeichen einer absoluten Machtdemonstration, die zu regressiven Reaktionen führt, um dem Opfer taktisch ein Überleben zu sichern. Die reaktive Regression endet nicht mit dem Beendigen der Schmerzzufügung oder psychisch eingreifenden und wirksamen Zwangsmaßnahmen. Hierbei hätten wir eine Verbindung zur Würdeverletzung hergestellt, denn die Verletzung der Würde liegt in einer erzwungenen Regression, die nicht die erreichte Stufe von Entwicklung anerkennt, sondern ein frühes Stadium der Entwicklung beim Opfer rekonditioniert (Infantilisierung), ohne dass der Täter sich klar macht, dass auch er regrediert, wenn er einem Opfer die Würde beschädigt. Das kann aber nur erfassen, wer in die Foltersituation mit allen Sinnen und Vorstellungen einsteigt. Bedauerlicher Weise wird von

den Debattenrednern Folter immer nur vom gewünschten Resultat her gedacht, als ein Mittel oder Instrumentarium, und nicht von den beteiligten Personen. (Wie beim Mittel: Krieg, bei dem die Rede über ihn gleichfalls die Beteiligten verdunkelt.) Folter wird als zuverlässiges Mittel konstruiert, das auf einen vorgegebenen Zweck orientiert werden kann wie eine Feuerwaffe. Das ist angesichts der Dynamik zwischen Folterer und Opfer eine große Illusion.

Als einer meiner Patienten unter der Folter im Polizeigewahrsam gefragt wurde, ob man ihn jetzt mit Strom traktieren solle, antwortete er: "Ich weiß es nicht. Ihr seid die Fachleute".

Folter ist auch deshalb mit einem absoluten Verbot belegt, weil auch die Folterer nicht ungeschoren davonkommen. Zumeist haben sie ihre erzwungene Regression aber schon in der Ausbildung erfahren. Folterhandlungen bestätigen dann lediglich eine fixierte Regression und fordern nach erfolgter Konditionierung gleichsam die Befriedigung einer Sucht und den Wunsch nach Radikalenthemmung, wie man auf dem Gesicht von Lynndie England ablesen konnte.

Die fragwürdigen Humanexperimente von Milgram und Zimbardo zu Beginn der 70er Jahre haben verdeutlicht, dass es bestimmter Rahmenbedingungen bedarf, um zu foltern, dass wir folglich bestimmte Bedingungen vermeiden müssen, um nicht komplett zu regredieren und auf ewig dort zu verweilen, wo wir nach der Geburt starteten, in vollständiger Abhängigkeit, die mit Freiheit nur rhetorisch vereinbar ist. Bush und Rumsfeld sagen klar und eindeutig: „We declare Pandora´s box open!“

Der Zipfel vom Tischtuch der Macht scheint nun auch für Amtsträger und Wissenschaftler die Bemühungen zu stimulieren, die Kriterien von Folter aufzulösen und durch weniger stigmatisierende wie die der Misshandlung zu ersetzen. Allen daran Beteiligten sei gesagt, dass sie nicht aufhören können, wenn sie einmal damit angefangen haben. Die mit Macht gepaarte ungesetzliche Gewaltanwendung, die gleichwohl nicht sanktioniert wird, wird zum Selbstzweck, denn die Erkenntnisse durch Folter sind nicht der Motor. Sie enthalten zu viele Unsicherheiten. Die vorgeblichen Ergebnisse aus Folteraussagen sind ein Vorwand und eine Verkleidung. Wofür? Für Allmachts- und Überlegenheitsphantasien, für Handlungsfähigkeit in hilflosen oder komplizierten politischen Lagen, für Demonstrationen von Sicherheit, die es nicht gibt und für einen dümmlichen Optimismus amerikanischer Politprovenienz. Folterdebatten offenbaren den Rückzug und das Versagen einer Politik, die Pandoras Büchse geöffnet hat und nun erstarrt ist.

Ein Wort noch zu Luhmanns Szenario der tickenden Bombe. In Zeiten von suizidalen Attentaten ist es hinfällig, mit diesem Beispiel die richterlich angeordnete Folter zu fordern, mal ganz abgesehen davon, wer wen in diesem Szenario unter Zeitnot auf die Folter spannt: Polizisten und Spezialisten den Gefangenen oder der Gefangene seine Verhörer. Die Macht liegt paradoxerweise beim Gefangenen, ob er nun das Entscheidende weiß oder nicht. Das entworfene Szenario geht ja stets davon aus, man habe den Menschen vor sich, der die Bombe versteckt hat oder weiß, wo sie sich befindet. Die Ohnmacht der Polizei darf sich in einem Gewaltakt entladen, so argumentiert eine große Zahl Betroffener. (Es ließe sich von der Konstellation her betrachtet das Verhör- und Folterszenario auch umkehren. Der Gefangene foltert vor einer möglichen Explosion Teile einer Gesellschaft und legitimiert damit die Folter an ihm.) Und dann immer der quälende Zweifel, ob der Gefangene überhaupt den Ort und den Mechanismus der ticking bomb kennt. (Schon wegen des quälenden Zweifels müsste man ihn foltern, meinen viele). Man sieht, die Illusion der Wahrheit und die Qual des Zweifels lassen zu dem früher fälschlich den Göttern zugeordneten Instrument der Folter greifen. Das bedeutet aber dann doch nichts anderes, als die Folter auf die Ermittlung der Planungsphase auszudehnen. Wenn die Bombe erst tickt, ist es zu spät, auch für raffinierte Schmerzübungen. Daher rührt sich der Verdacht, dass dieses beispielhafte Szenario wiederum nur ein Vorwand ist, die Folter aus anderen Gründen in die gesellschaftliche Debatte und Realität zu bringen. Hier lässt sich vortrefflich mit Verschwörungstheorien spekulieren, weil es an Vertrauen zu den Regierenden gebricht. Das hat ihnen ihr Versuch eingetragen, Folter zu verbrämen und gesellschaftsfähig zu machen und dafür vielfältige Propagandisten zu bemühen. Wer in der Vorkrise seine Hoffnungen auf ungesetzliche Gewalt setzt, wird in der Krise nicht zimperlich sein.

Es kann nicht verblüffen, dass Politiker in Deutschland sich gegen den Einsatz von Folter äußern, während zugleich die Aufweichung der völkerrechtlichen Schranken von staatlicher Willkür anderen Instanzen überlassen bleibt und von der Politik stillschweigend toleriert wird.

 

Daher sollte man ein Plädoyer für eine Präzisierung der Definition von psychologischer Folter formulieren:

Danach ist psychologische Folter die zwangsweise herbeigeführte Regression einer abhängigen Person in einer asymmetrischen Machtbeziehung mittels Konditionierungsprozessen.

Dass Regression sehr wohl das entscheidende Ziel eines Folterverhörs darstellt, ist den Äußerungen der US-amerikanischen Forscher und CIA-Strategen zur Bewusstseinskontrolle im Kalten Krieg zu entnehmen:

Erfolgreiche Verhöre, so die entsprechenden Statements, machten eine Methode erforderlich, "die zu einer Regression der Persönlichkeit auf deren jeweils frühere oder schwächere Stufe führt, die für die Aufgabe aller Widerstände und die Schaffung eines Abhängigkeitsverhältnisses erforderlich ist" (KUBARK Counterintelligence Interrogation, Bericht der CIA, 1963, zit. nach A.W. McCoy, S. 49) Alle Verhörtechniken seien "im Grunde Mittel zur Beschleunigung der Regression" (ebd.). Die gezielt herbeigeführte Regression, in der Betreffende "seine Reaktionen nicht mehr wie ein Erwachsener kontrollieren kann", wurde im "wissenschaftlich" fundierten Handbuch der CIA - KUBARK - neben Methoden gestellt wie z.B. Schmerzen, Drohungen, Narkose, Hypnose, Entkräftung, Entzug von Sinnesreizen u.ä. (McCoy, S. 50). Wir wollen nicht vergessen, dass es sich bei diesen Bewertungen um Schulungsmaterial für die Geheimdienste der Welt handelte. Daraus wurden Curricula für die "School of the Americas" in Panama entwickelt, in denen Militärs aus Diktaturen und Demokratien geschult wurden und werden.

Damit scheint Regression zu einem Schlüsselbegriff der psychologischen (und physischen) Folter zu werden, auf die sich alle Bemühungen der Verwässerung ihrer Bedeutung richten. Was ist Regression und welche psychischen Prozesse verbergen sich hinter diesem Begriff? Und warum spielt dieser Begriff in den Handbüchern der CIA eine Rolle? Wie ist der Zeitfaktor bei der Herstellung von regressiven Reaktionen zu bewerten?

Zwangsweise Regression ist die Strafversetzung einer abhängigen Person in den Zustand vor Normen und Gesetzen, als nur das Leben und die Befriedigung von Grundbedürfnissen zählten. Der Status betrifft wesentlich auch den Folterer. Auch er befindet sich vor oder außerhalb von Normativen und Gesetzen. Allerdings stellt er den Status aktiv her. Ein Zwang rührt aus Eiden und Befehlen. Es besteht eigentlich eine gewisse Ähnlichkeit auf der realen und symbolischen Ebene. Die Gewinnung von Macht ist der permanente Versuch, einer Regression zu entgehen.

Wie Mary Douglas in Anschluss an Marcel Mauss festgestellt hat, ist "der menschliche Körper immer und in jedem Falle als Abbild der Gesellschaft" (M.D. „Ritual, Tabu und Körpersymbolik“, S. 106) aufzufassen, so dass Kopf, Füßen, Mund, Herz und After eine gesellschaftliche Dimension und symbolische Bedeutung zukommt. Körperkontrolle sei nach Douglas stets eine soziale Kontrolle. Wenn man nun die Verluste von Körperkontrolle unter der Folter phänomenologisch betrachtet, so erscheint auf den ersten Blick dieser Kontrollverlust als Regression, denn er betrifft die Motorik genauso wie die Kontrolle von Darm und Harnblase und Vegetativum. Man kann folgern, dass der Körper in seinen sozialen Ausformungen in symbolischer Weise regrediert, wenn er unter der Folter die Kontrolle über seine erlernten Entwicklungsstufen einbüßt und in wiederholten Konditionierungsschritten fixiert bekommt.

In gewissen Ritualen geben die Teilnehmer die Körperkontrolle auf (z.B. Tanz und Trance), nicht ganz freiwillig, so dass man annehmen kann, dass dieser Vorgang einer frühen sozialen Erfahrung entspringt. Damit würde das Erleiden von Schmerzen zu einem Ritual. Es gibt eine Reihe historischer Tatsachen, die diese Bestimmung herausfordern. Douglas sagt als Hypothese, "daß Körperkontrollen, denen nicht bestimmte soziale Formen korrespondieren, kaum durchsetzbar sein dürften und daß die gleichen Antriebe, die das physische und soziale Erleben in Übereinstimmung zu bringen suchen, auch die Ideologie der betreffenden Gruppe affizieren - woraus dann weiterhin folgt, daß man nach dem Aufweis der Entsprechungen zwischen Körperkontrolle und sozialen Kontrollen über eine Basis verfügt, von der aus man die gemeinsam mit ihnen variierenden politischen und religiösen Einstellungen in den Griff bekommen kann". (S.106) Zweifellos nicht anekdotisch ist die selbst gewählte Regression (paradoxer Verlust der Körperkontrolle) eines Gefangenen, der in einen „Schmutzstreik“ trat, wobei er seine Notdurft in seiner Zelle verteilte. Er wurde für psychisch gestört bezeichnet, dabei hatte er konstitutive Elemente von gefangenen Menschen durchschaut und behielt den Handlungsimpuls in seinen Händen.

Besessenheit, die sich als Aufgabe der Körperkontrolle verkleidet, wird landläufig als Stigma betrachtet, das keine hohe soziale Bedeutung hat. In zahlreichen religiösen Ritualen ist genau das Gegenteil der Fall. Hier wird die Besessenheit zum Schlüssel für einen erweiterten Erkenntnishorizont, der nur unter Aufgabe der Körperkontrolle zu gewinnen ist. Metaphernerprobt nennen Psychologen dies "den Blick in den Abgrund", "flüchtige Begegnung mit einer totalen Negation" u.ä..

Der erzwungene Verlust der Körperkontrolle (vulgo: Folter, wenn sie von Hoheitsträgern ausgeht) scheint genau hier anzusetzen! Vermutlich, weil das Stadium der Besessenheit mit Wahrheit und Gerechtigkeit konnotiert ist. Exorzismus benutzt dieselben Konditionierungsschritte.

Blicken wir zunächst auf Äußerungen und Beschreibungen von Freud und seinen Schülern. Wie viel freier Wille sich in Regressionen zeigt, die ein Verliebter vornimmt, soll erst mal nicht interessieren. Auch ist hier irrelevant, wenn die Libido in ihrer Objektbeziehung (auf infantil-inzestuöse Objekte) regrediert. Die Folter greift das Ich, die soziale Rolle, die soziale Entwicklung und das soziale Selbstbild eines zum Feind gestempelten Menschen an. Die Feinderklärung gilt dem sozialen Produkt, das als Wechselbeziehung von externen Formungen und intrapsychischen bearbeitenden Prozessen aufzufassen ist. Die erzielte Regression im psychisch wirksamen Folterakt bezieht sich auf die Überlebenstriebe und ihre Strategien, nicht primär auf die Libido und Sexualität. Trotzdem richten sich diese Angriffe oft auch auf die sexuelle Identität und deren äußere Merkmale. Nicht selten ist Folter mit den Prophezeiungen verbunden, das Opfer werde impotent bleiben oder zeugungsunfähig. Und in der Tat belegen Folterüberlebende einen Libidoverlust für Monate bis Jahre, dazu bei Männern eine verkümmerte Erektionsfähigkeit.

 

Wenn das Handbuch der CIA, das den Weg und die Resultate von Desorientierungen von Gefangenen beschreibt und für Verhöre empfiehlt, sich mit Regression auseinandersetzt, so verweist dies an erster Stelle auf die Verlotterung von Wissenschaft. Wenn sich wissenschaftliche Neugier von Finanzmitteln des Militärs alimentieren lässt, dann erfordert dieser Schritt Zwangsmittel, die ethische Bedenken entfernen. Reputation, Karriere, Reichtum u.ä. sind die Triebkräfte, die neben Macht und Einfluss in einer ideologischen Brühe zusammengemischt werden.

Als nächstes wird man an jene Experimente denken, die im Kalten Krieg zur Bewusstseinskontrolle und -korrektur durchgeführt wurden. "Gehirnwäsche" hatte sich zum Stimulans einer breiten, vom Militär gewünschten Forschung entwickelt und die Hybris der Forscher angestachelt. Man glaubte damals in der Tat, jedes abweichende Verhalten korrigieren zu können. Leider glaubt man das in Teilen heute noch.

 

Der Begriff der Regression hat Schwächen. Er ist schwer zu objektivieren. Der Begriff ist ein Hilfsmittel, das beobachtbare Phänomene erklären soll. Wenn Regression bereits einsetzt, wenn es um  Verhaltensreaktionen nach Frustrationen geht, dann will diese Form spontaner Regression von der durch Konditionierung in einem Abhängigkeitsverhältnis unterschieden sein. Wie prüft man Regression? Ist das unter der Folter angestrebte Ziel einer Regression erst dann zu konstatieren, wenn der Gefangene kooperiert, wenn er die Vorgaben des Rituals erfüllt? Wie kann das Resultat einer Regression schlecht sein, wenn der Mensch sich sogar freiwillig in Regression begibt oder, von Trieben bedrängt, sich Regressionen unterwirft?

Alle Elemente einer erzwungenen Regression sind bei Initiationshandlungen gegeben, von der sexuellen Enthaltsamkeit, über die Uniformierung bis zu Tätowierungen und rauschhaften Erfahrungen. Das macht eine Unterscheidung von rites de passage und willkürlicher Gewalt schwierig.

Kann ein Mensch seine Würde wieder herstellen, wenn er diese Erfahrungen gemacht hat? Oder ist er erst dann im Realitätsprinzip angekommen, wenn er die Trümmer seiner Entwicklung betrachtet? Es zeigt sich, dass Würde und Realität wenig gemein haben. Wie viel von den anderen will ich in mir zulassen?

 

Möglicherweise unterliege ich einem Irrtum: Die Unterscheidung von Folter und Misshandlung nach dem internationalen Recht bezieht sich auf Folter als vorsätzlicher Schmerzzufügung für einen Zweck und Misshandlung auf solche Handlungen, die erniedrigen, demütigen, inhuman behandeln und strafen, bei denen der Zweck ein anderer als bei der Folter ist und der Vorsatz sich nicht auf das Resultat richtet, sondern als Kollateralschaden auftritt. Diese Unterscheidung ist zwar nicht aus den Texten ableitbar. Sie wird jedoch zunehmend in der Praxis, die sich des Verstoßes gegen die Konventionen sehr wohl bewusst ist, verbreitet. Es wäre ja sonst nicht zu erklären, warum Gutachten in Auftrag gegeben werden, die sich mit dieser Unterscheidung befassen.

Dahinter steht der Versuch, den Begriff der Folter zu vermeiden und durch Neudefinitionen, die machtabhängig und machtgestützt sind, zu ersetzen. Folter haftet so etwas "wie Mittelalter" an und konterkariert damit die Rhetorik von gesellschaftlichem Fortschritt. Nach den Texten, wie ich sie verstehe, fällt Misshandlung durch Staatsinstanzen unter das Folterverbot.

Vermeidung spielt beim Thema Folter eine hervorgehobene Rolle.

Soeben erfahren wir, was lange geheim gehalten wurde: Der US-amerikanische Präsident hat sich die Vollmacht gegeben, das Folterverbot zu suspendieren, und er erwartet vom obersten Bundesrichter, den er persönlich durchgesetzt und in sein Amt eingeführt hat, eine Bestätigung dieser Vollmacht. Wir befinden uns in einem von der US-Administration verkündeten Teil-Ausnahmezustand, der Europa zwangsläufig zu Komplizen macht.

Das wurde bereits deutlich, als die CIA - gemäß dem Marty-Report - Verdächtige in Europa kidnappte und in Staaten transportierte, deren Polizeibehörden die Folterungen der Entführten übernahmen. Nach internationalen Standards ist die Beihilfe zur Folter gleichfalls verboten und strafbar, unabhängig vom Verbrechen des Menschenraubs.

Nun sagt die US-Administration, sie ließe sich von Folterstaaten zusichern, dass Folter nicht angewandt werde. Aber warum dann der Transfer um den Globus und in jene Staaten? Nationalstaatliches Handeln, das vom Völkerrecht geregelt wird, steht einer allgemeinen Globalisierung entgegen und hilflos gegenüber. Auch im Bereich des Rechts sollen wir uns von eingewachsenen Standards verabschieden, die einen wesentlichen Teil von Rechtssicherheit und kultureller Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit bilden. Die Macht der Argumente zerbröckelt unter den Argumenten der Macht.

 

Hinter der Potenz zur Folter steht immer die Potenz zu töten. In gleicher Weise steht hinter der Option eines Krieges die Komplettauslöschung des Feindes.

 

Es kann eigentlich nicht verblüffen, dass die Spirale der Gewalt, die sich in der Aufweichung des absoluten Folterverbots ausdrückt, keinen Spielraum für die Politik lässt. Es gibt keine Neubestimmung und Veränderung der Politik, wenn man von seinen "richtigen Prinzipien" nicht lassen kann. Irgendwann, nach G.W.Bush, wird sich die Einsicht in die Notwendigkeit einer anderen Politik durchsetzen, wenn der Preis für die jetzige irrationale Politik bezahlt werden muss, wenn das "body-counting" beendet ist und das Kapital vor seinen Ruinen steht. Der Vertrauensverlust, den die Demokratie zulässt, führt zur Forderung nach Diktatur.

 

Vom klinisch registrierten Resultat betrachtet ist es schnurz, ob ich misshandelt oder gefoltert wurde. Im Allgemeinen hinterlassen beide Formen bei rund 30% der Betroffenen Symptome, denen man Krankheitswert zuspricht. Ob diese Zahlen zu Recht angenommen werden, soll hier einstweilen nicht interessieren.

 

Regression bei Gegnern zu erzielen ist für geheime Dienste deshalb so begehrenswert, weil in diesem Prozess (Regression ist kein Zustand) ein hohes Maß an Beeinflussung, an Suggestibilität erwartet wird. In der Regression tastet das Individuum nach allem, was Realität anschaulich und sicher macht. Sicherheitsbedürfnis und Regression haben eine enge Beziehung.

Die bloße Existenz von Macht und ihren Strukturen (Hierarchien) beschließt zwangsläufig die Notwendigkeit von Regression von Trägern der Nichtmacht. Macht verliert ihre Spezifität, wenn alle sie erreichen und besitzen. Das Handeln der Macht wird mit Rationalität gekoppelt, sodass der Ursprung und Sinn von Macht und die damit verbundene Regression unangreifbar werden. Sie ist durch Naturalisierung Gesetz und deshalb hinzunehmen.

 

Regressive Verhaltensweisen sind von fixierter Regression zu unterscheiden. Als Verhaltensmuster kann Regression taktisch verwandt werden, weil im regressiven Verhalten ein Appell zur Unterstützung liegt. Das Unentwickelte fordert Hilfsbereitschaft heraus wie der rote geöffnete Schnabel der Jungvögel. Regression ist ein menschlicher Versuch, in kritischen Lagen ein Überleben zu sichern. Weil es in der Regression um Überleben geht, steht besonders viel auf dem Spiel. In dieser Situation ist ein Mensch zugänglich für Hilfe, die im Falle von geheimen Diensten eine vorgetäuschte Hilfe ist. Denn die Verhörer haben die Hilfsbedürftigkeit ja erst hergestellt, die sie nun als einzige Instanz befriedigen können. Verhörer treiben ein höhnisches Spiel mit ihrem Opfer. Es ist nur scheinbar ein Duell mit friedlichen Mitteln. Die gesamte Forschung in diesem Feld hat lediglich ein Ziel: Der Gewalt das brutale Gewand auszuziehen und sie in Samtjäckchen der Unbestimmbarkeit zu hüllen. Es geht darum, etwas, das nicht so aussieht, an die Stelle der Gewalt zu setzen, wenn es dieselben "Erfolge" zeitigt. Der Gewaltcharakter wird uns unbewusst gemacht: Wenn wir nur lange genug auf das Resultat und den Nutzen starren, verschwimmen der Kontext des Bildes wie der wissenschaftlichen Bemühungen sowie die Absichten der Macht.

Kranke Menschen haben geringe Handlungsoptionen zur Verfügung. Sie fühlen sich schwach und hilflos. Ihr Verhalten appelliert an die Umwelt, Rücksicht auf sie zu nehmen. Die Reaktion der Umwelt erfolgt nach kindlich anmutenden Stimuli.

In der Krankheit erleben wir Regression als unfreiwillig, als erzwungen.

ohne dass ein anderer dafür Schuld tragen müsste. Krankheit mit regressiven Verhaltensweisen lässt sich kaum mit Vorsatz erzeugen und ausbeuten. Erstaunlicherweise erzeugt die erzwungene Regression krankheitswertige psychische Symptomatiken.

Was also genau passiert in der und durch die Regression? Wir erinnern uns, dass Regression einen zielorientierten Begriff in den Handbüchern der CIA bildete.

Sozialevolutionär ließe sich feststellen, dass es sich bei der Hinwendung zur Regression um ein Muster handelt, das aggressive Gewaltmaßnahmen abwehren hilft, darin ähnlich den Demutshaltungen.

Wenn Regression induziert wird und regressives Verhalten als Überlebensstrategie verstanden werden kann, so bildet die Furcht vor Vernichtung oder eine tief sitzende Angst den Antrieb. Ohne elementare Ängste ginge niemand in die Regression. (Hier stellt sich nebenbei die Frage, ob die latenten Terrorängste in breiten Teilen der Bevölkerungen nicht auch eine Regression bewirken, die dann empfänglich macht für Heils- und fügsam für Radikalbotschaften. Wie auch immer: Angst macht dumm.) In der Regression ist ein Mensch also empfänglich für einen Neustart seiner persönlichen Entwicklung. Er verspricht, das zu unterlassen, was ihn in die Lage gebracht. Er wird alles ganz anders anpacken.

 Regression ist ein zentrales gesellschaftliches Tabu, das in einer unsichtbaren Wolke verborgen wird. Der bewusste oder unbewusste Schritt in kindliche Muster lässt sich deutlich ablesen, wenn ein Kranker unter Aufgabe seiner Selbstbestimmung Untersuchungen sich fügt, die ihm als nützlich angepriesen werden, die aber zugleich schädlich sein können. Das geforderte Vertrauen setzt einen einseitigen Regressionsschritt voraus. Es ist, als ob ein Kind absolutes Vertrauen in die Autorität der Eltern setzt: Sie wissen es besser. Frau Böck hat sich genau dieses Vertrauen zu Nutzen gemacht, als sie ihren Mann mit dem heißen Bügeleisen traktierte.