Nur schwer lassen sich Begriffsbestimmungen für Resilienz und Wachstum finden. Beide Begriffe sind Metaphern, die auf Prozesse hinter ihren vordergründigen Bedeutungen verweisen. Daher bewegen wir uns auf schlüpfrigem Boden, wenn wir mit diesen Begriffen in die ohnehin unsichere Zone posttraumatischer Befindlichkeiten eindringen möchten und zu Klärungen beitragen wollen.
Man hat sich darauf geeinigt: Wer nicht in wiederkehrenden traumatischen Erinnerungen versinkt, stützt sich, zumindest teilweise, auf eine reaktive Elastizität in Bezug auf erlebte Gewalt und traumatische Bedrohung, die posttraumatisch zur Grundlage für Reifung und Wachstum werden können. Ein solcher Mensch ist damit ein Beispiel für die Richtigkeit des Satzes, dass er/sie aus Schaden klug wurde. Ein trügerischer Satz zwar, der allein die kognitive Seite betont, denn aus Schaden wird jeder zunächst oberflächlich oder in der Tiefe geschädigt. Zugleich aber ein hoffnungsvoller Satz, denn er besagt, dass eine traumatische Schädigung nicht ewig andauern muss, sondern sich wandeln kann, in die Linderung der Symptome, in die Umdeutung der traumatischen Ursachen, ins Vergessen oder die Leugnung. Am Ende wartet auf verarbeitungsbereite Traumatisierte in Gestalt von Klugheit und sozialer Anerkennung sogar eine Belohnung, die keineswegs in einen glücklichen Zustand führt. Niemand wird aus Schaden glücklich. Allerdings werde ich den Verdacht nicht los, dass sich ein Hauptaugenmerk der sozialen Umwelt einer traumatisierten Person auf eben jenes Wachstum der Persönlichkeit richtet, das Stagnation oder Schrumpfung ausschließen lässt. Deshalb stehen für die übrigen traumatisch Betroffenen in aller Dreistigkeit klinische Kategorien bereit. Wachstum ist vermutlich ein Euphemismus, der nichts anderes als Anpassung an die Realität bedeutet; und dies ist in der Tat als Akt der Anerkennung der Realität zu begrüßen. Indem eine traumatisierte Person nicht in der traumatischen Wirklichkeit gefangen bleibt, geht sie auf eine Realität zu, die sie mit anderen (erneut) teilen kann, und lässt dadurch Imaginäres und Illusionäres hinter sich, zugleich jene Vorstellungen, die vor dem Trauma das Verhältnis zur Welt bestimmten. Unter diesen Vorzeichen bedeutet Wachstum einen Verlust, und Verluste tragen im Allgemeinen keine positiven Bedeutungen, sieht man einmal vom Verlust von Dummheit ab. Verliert man aber in Bezug auf traumatische Erlebnisse die Tendenz zur Selbstbeschuldigung, dann ist so etwas wie Reifung vertretbar.
Resilienz äußert sich durch Handlungen. Sie ist nicht normierbar, weil nicht messbar. Sie belegt das Singuläre, das Unverwechselbare, das aus biographischen Erlebnissen und deren psychischen Bearbeitungen resultiert. Genetische Dispositionen darf man in diesem Zusammenhang vorerst unberücksichtigt lassen. Resilienz fordert den interpretierenden Zugang. In dem Maße, in dem Hermeneutik Wissenschaft ist und nicht allein eine Form des Denkens, lässt sich Interpretation quantitativer posttraumatischer Befindlichkeiten als zugänglich für wissenschaftliche und evaluierende Auswertungen begreifen. Die Qualität posttraumatischer Befindlichkeiten lässt sich nach meiner Erfahrung (ohne Gewaltanwendung) nicht evaluieren, messen oder verallgemeinern.
In einigen Fachbüchern der Psychotraumatologie nehmen die Begriffe der Resilienz und posttraumatischen Reifung und des Wachstums heute einen Stellenwert ein, den sie in den frühen Jahren der zeitgenössischen Traumaforschung noch nicht hatten, obwohl bereits in den 1970er Jahren die Erforschung von Faktoren der Resilienz begann. Der neue Stellenwert der Resilienz steht mit Alltagsbeobachtungen in Verbindung, die nahe legten, dass nicht alle von Grausamkeiten und traumatischen Erlebnissen anderer Art betroffenen Menschen naturgesetzlich gesundheitswidrige Symptome ausformen, sondern bei genauer Beobachtung eine Reihe differenzierter Syndromen bilden, die nicht zwangsläufig in therapeutische Behandlung führen müssen oder gar unbehandelt in eine Linderung münden, die individuellen salutogenetischen Potenzen zu verdanken ist. Diese haben lebensgeschichtliche Wurzeln. Allerdings ist schwer zu entscheiden, wie viel Pathologie in resilienten Reaktionsweisen verborgen ist, d.h. von welchem subjektiven Verhalten/Empfinden ausgehend eine anfängliche posttraumatische Elastizität zum späteren psychischen Bruch führen kann und daher Unterstützung oder Therapie einfordert.
Trauma und deren Folgen finden einen kulturell zulässigen und kulturell geformten Ausdruck. Kulturelle Zulässigkeit durch gesellschaftlichen Gebrauch gestattet jedoch nicht nur eine angemessene Reaktion, sondern erlaubt eine Bandbreite von Reaktionen, bevor die Grenze zur Pathologie überschritten ist. Wo die Grenze liegt, bestimmen ExpertInnen mehr oder weniger im Konsens und nach berufsspezifischen Interessenlagen. Sie definieren die gesellschaftlichen Bedingungen, die als Ursache für Abweichungen vom kulturell Zulässigen in Betracht kommen. Und Experten umreißen zugleich die zulässigen Reaktionen von traumatisierten Individuen und den angemessenen Umgang der Gesellschaft mit diesen Reaktionen. Vor solchen Experten muss man stets auf der Hut sein! Ihr Hauptinteresse richtet sich auf Selektionskriterien.
Wenn von Resilienz und Wachstum nach Verbrechen und Traumata die Rede ist, findet man oftmals Verweise auf subjektive Erinnerungs-Literatur. Diese ist vorwiegend geprägt durch den Wunsch zu verstehen, was geschehen ist. Primo Levi hat Neugier als eine Triebfeder seiner posttraumatischen Verarbeitungen bezeichnet. Die Schuldfrage wird im Allgemeinen nicht behandelt: Sie versteht sich bei nazistischen Massenverbrechen von allein, weshalb psychische Bearbeitungen jenseits von Schuld angesiedelt sind. Literarische Bearbeitungen haben eher nicht den expliziten Charakter von Tribunalen. Vielmehr scheinen sie vom Unverständnis auszugehen und sich auszuzeichnen durch eine tendenzielle Nähe zur Besänftigung, zur Aussöhnung und gar zur ungerichteten Vergebung, wenn sie als individuelles posttraumatisches Wachstum bezeichnet werden. Der ursprüngliche innere Aufruhr und die fortwährende Präsenz der Bilder von Qualen und Erniedrigung erfahren eine allmähliche Distanz, die jedoch unvermittelt aufgehoben werden kann. Durch aktuelle Erlebnisse? Durch die Heftigkeit der Erinnerungen? Dadurch, dass Rachephantasien keine Ruhe geben? Nachdem Zeugnis abgelegt ist? Oder weil Überlebende erkennen müssen, dass er/sie nie auf ein angemessenes Verständnis ihrer Umwelt hoffen dürfen? Schriftsteller posttraumatischer Prozesse schreiben im Allgemeinen aus innerer Not und existenzieller Notwendigkeit. Dieses Medium wird in der modernen Schreibtherapie als Methode auf viele Traumatisierte übertragen, wobei davon ausgegangen wird, dass auch bei diesen Personen eine Wende der inneren Not erforderlich oder in Gang zu setzen sei.
Posttraumatisches Wachstum muss sich in irgendeiner Weise ausdrücken können. Wenn ein extremes Trauma das Ergebnis von machtvollem Handeln im gesellschaftlichen Raum ist, dann beobachtet man relativ geringes oder unmögliches Wachstum bei Betroffenen, wenn die Ausdrucksmittel verboten und mit Strafe bedroht sind. Wachstum setzt daher ein Maß an Freiheit voraus, spezifische Ausdrucksmittel öffentlich zu benutzen. Ohne den Gebrauch von Medien kann keine Reifung eingeleitet werden.
Der Begriff der Resilienz wird stets in einen Zusammenhang mit posttraumatischer Reifung und seelischem Wachstum gerückt. Diese Begriffe haben ihre Wurzeln in kulturellen Übereinkünften. Die Alltagskultur definiert, ob und wann Reifung oder Wachstum vorliegt. Alle genannten Begriffe drücken eine Bewegung aus; sie sind nicht statisch zu verstehen. Kultur legt die Bewegungsrichtung in Metaphern fest. Das soziale Umfeld einer traumatisierten Person reflektiert Wachstum und Reifung nach allgemeinen Maßstäben der Ethik oder der jeweiligen Religion. Die Maßstäbe sind nicht unstrittig, einige haben sich vor anderen (meist durch Willkür) durchgesetzt. Wachstum und Reifung erfolgen nach Handlungen, die vom kulturellen Mainstream getragen werden. Abweichungen müssen nicht zwangsläufig in pathologische Kategorien führen. Bei individueller posttraumatischer Bearbeitung von Gewalterlebnissen besteht allerdings immer die Gefahr, dass vom Mainstream abweichende psychische Bearbeitungsmuster pathologisiert werden. Resilienz beschreibt daher eher eine bestimmte Methode der psychischen Verarbeitung traumatischer Erlebnisse und nicht ausschließlich eine personale Eigenschaft. Jedenfalls ist Resilienz keine Eigenschaft, über die man frei und instrumentalisierend verfügen kann. Für mich ist fraglich, ob der Begriff der Resilienz mit dem der Ressourcen gleichzusetzen ist. Erst kommunizierte Übereinkünfte haben Resilienz aus Erfahrungsgründen zu einer positiv bewerteten Verarbeitungshaltung von massiven Traumata gemacht. Man könnte sich durchaus vorstellen, auch in der pathologisch genannten Ausformung traumatischer Erlebnisse Zeichen von Elastizität zu erkennen, die dem Schutz der Persönlichkeit oder als Appell an die Unterstützungsbereitschaft des sozialen Umfeldes dienen oder einfach nur dokumentieren, dass die Welt beschissen ist. Resilienz ist und bleibt ein subjektives Geheimnis, das sich nach meiner Überzeugung wissenschaftlicher Ausforschung entzieht, wenn man Resilienz als statische Eigenschaft auffasst. Das Geheimnis ist wohl eher ein Prozess, in dem sich genetische, epigenetische Komponenten mit aktuellen Wahrnehmungen und Bewertungen von Ereignissen verbinden.
Mit dem Begriff der Resilienz schließt sich nach allgemeiner Auffassung eine Lücke: Ergründet werden soll nun, warum manche Traumatisierte mehr und andere weniger leiden, einige ihre Handlungsfähigkeit (praktisch und emotional) eingebüßt haben, und andere weiterhin zu reflektierten und konstruktiven Handlungen und Gefühlen fähig sind. Die Wechselwirkungen von Persönlichkeit und Umweltfaktoren, die posttraumatische Reaktionen beeinflussen und von der traumatisierten Person mit prätraumatischen Ressourcen und Kräften abgeschwächt werden können, sind nunmehr Gegenstand von zumeist wenig beachteter Forschung. Dabei wird man immer im Blick behalten müssen, dass auch der Faktor „Persönlichkeit“ zu einem Großteil auf personale und kulturelle Umwelteinflüsse zurückgeht (sozial erworbenes und emotional geformtes Fundament) und nur zu einem geringen Teil als genetisch und evolutionär determiniert aufzufassen ist. Wachstum und Reifung können das Ergebnis von Psychotherapie sein, sie können sich jedoch auch aus personalen Potenzen mit Unterstützung des sozialen Umfelds entwickeln.
Was also ist unter Resilienz zu verstehen? Der Begriff ist in der Traumaliteratur relativ neu, während er in der Technik und Materialkunde seit längerem existiert. Er bedeutet so etwas wie Flexibilität oder Elastizität. Im Zusammenhang mit Psychotraumata werden mit Resilienz diejenigen Faktoren angesprochen, die für einen unterschiedlichen Verlauf z.B. von Belastungsstörungen nach Traumata verantwortlich sind. Ein posttraumatischer Verlauf der Symptomentwicklung unterscheidet sich von vielen anderen dadurch, dass unterschiedliche biographische und Umweltfaktoren, die prägend für die Persönlichkeit waren, sich verstärkend oder abschwächend in die Entwicklung posttraumatischer Symptome einbringen. Die einen Faktoren liegen in der äußeren Welt und im Verhalten anderer Menschen, die anderen beruhen auf Erlebnissen und Erfahrungen, die Teil der betroffenen Persönlichkeit und ihrer Schlussfolgerungen (Lernschritte) geworden sind, jedoch ursprünglich auf äußere sinnliche Eindrücke zurückgehen. Über die jeweiligen Anteile wird seit über 100 Jahren gestritten. Liegt die Ausbildung posttraumatischer Zeichen in der psychischen Verfasstheit einer Person vor einem lebensbedrohlichen Trauma? Dann würde man, wenn die Diagnose PTSD vergeben wird, von geringer oder gar von vergeblicher psychischer Elastizität ausgehen müssen. Oder liegt die Reifung von Symptomen in unbeeinflussbaren, schicksalhaften Faktoren der natürlichen Umwelt (Flut, Erdbeben, Meteoriten) vor und nach traumatischen Erlebnissen sowie der Reaktion von Menschen, mit denen eine traumatisierte Person posttraumatisch Kontakt und Kommunikation hatte und in einem Machtverhältnis stand? Allerdings wird man empirisch einräumen müssen, dass auch nach längerer Belastungsstörung eine Reifung stattfinden kann. Eine solche psychische „Erkrankung“ und das damit verbundene Leiden müssen nicht dauerhaft bestehen bleiben. Das mit der Diagnose einhergehende Urteil ist somit ein vorläufiges. Reifung der Persönlichkeit hat ein entgegen gesetztes Vorzeichen zur Reifung (Ausdehnung) von Symptomen.
Psychische Elastizität bedeutet nicht nur Beeinflussung posttraumatischer Symptomatik, sondern steht als Wirkmotiv hinter dem, was Wachstum genannt wird. Letztlich kann dies als Wunsch nach Verstehen, als Aufhebung lähmender Impulse und Rückgewinnung der Handlungsfähigkeit bei verblassender Distanz zum traumatischen Ereignis begriffen werden. Posttraumatisches Wachstum muss nicht zwangsläufig in die seelische Gesundheit führen. Klinisch relevante Symptomatik post Trauma kann sehr wohl neben Wachstum als Selbstwahrnehmung stehen. Allerdings ist der Zusatz angebracht: Es handelt sich offenbar um ein kognitionslastiges Wachstum, dem in vielen Fällen die individuelle emotionale und lebensbejahende Stützung fehlt.
Die Streitfrage, wie die unterschiedliche Zuordnung von Faktoren zu bewerten sei, hat Entschädigungsfälle seit den Eisenbahnunfällen des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Im Grunde ist die Zuordnung psychischer Verfasstheit als selbst verschuldeter Faktor einer traumatisierten Person, die Anspruch auf Entschädigung und Rehabilitation erhebt, hirnloser Quatsch. Die psychische Integration von eigenen Erlebnissen und Erfahrungen dritter Personen kann nicht als gesteuerter und selbstverantwortlicher Prozess aufgefasst werden. Menschen mit vulnerabler psychischer Verfassung werden durch unterschiedlichste Erlebnisse verletzt. Es genügt die Annahme, die Verletzbarkeit von Menschen führe potenziell in krisenhafte Befindlichkeiten. Und wenn vor-verletzte Menschen ein extremes Trauma erleben und Symptome ausformen, sind sie nicht für den Zustand und das Zusammenspiel psychischer Reaktionen verantwortlich. Eventuelle psychische Vorerkrankungen sind überwiegend als Reaktion auf den Zustand der Welt zu bewerten. Nur wenig von dem, was sich in der körperlichen Hülle abspielt, fällt in den individuellen Verantwortungsbereich.
Hartnäckig hält sich dennoch das Urteil, eine traumatisierte Person sei für die Folgen von Traumata verantwortlich. Hartnäckig hält sich zudem das Urteil, traumatisierte Personen, die über längere Zeiträume materielle Kompensation für erlittenes Unrecht erstreiten, seien auf dem Holzweg, wenn sie psychisches Elend durch Geldzahlungen lindern wollten. (Grundsätzlich ist nicht das Geld von Bedeutung, sondern die vorausgehende Anerkennung des Traumas. Geldzahlung ist nur ein sichtbarer Ausdruck der Anerkennung.) Im Grunde ging es bei dieser Haltung in der Bundesrepublik darum, die leidenden und symptomreichen Überlebenden des nazistischen Holocaust gegen die Vorstellung und Erfahrung elastischer Reaktionsformen auszuspielen. Es wurde implizit behauptet, eine psychische Vorerkrankung, gleich welcher Art, sei die Bedingung posttraumatischer Symptome nach extremer Gewalterfahrung.
Im Begriff der Resilienz ist bereits angelegt, dass von Gewalt betroffene Menschen in unterschiedlicher Weise darauf reagieren. Resilienz schließt keineswegs eine Symptombildung mit störendem Charakter aus. Sie öffnet sich einer Abschwächung der primären Symptome, die nach lebensbedrohlichem Stress auftreten, indem konzeptionell auf Ressourcen der prätraumatischen Persönlichkeit, möglicherweise auf bergende kommunikative Wärme abgestellt wird. Dadurch wird ein von Gewalt betroffenes Kollektiv eingeteilt in solche Menschen, die massiv unter posttraumatischen Symptomen leiden, und in solche, die entweder im therapeutischen Prozess Ressourcen zu ihrer Rehabilitation mobilisieren können oder schon prätraumatisch eine Konstitution entwickelt hatten, die eine elastische Abwehr gestattete.
Ähnlich wie in der physikalischen Materialprüfung ist der Reboundeffekt traumatischer Ereignisse auf die psychische Verfasstheit konzipiert: Das organische „Material“ (mit seiner Fähigkeit zu Wahrnehmung und Bearbeitung) erfährt eine Stauchung oder Delle und kehrt nach einer unbestimmbaren Zeit in die Ausgangslage zurück, indem es die Energie, die auf es einwirkte, in umgewandelter Form weiterleitete. Das wäre als mechanischer Vorgang einsichtig, gäbe es nicht die Rolle des Gedächtnisses. Das Gedächtnis kann den Effekt der psychischen Delle bis in die kleinste Sequenz festhalten und sich einer Rückkehr in den vormaligen Zustand widersetzen, weil es über kreative Fähigkeiten zur Neukonstruktion verfügt. Erst im Vergessen erlaubt sich ein Organismus die Rückkehr in den Status quo ante, im Verdrängen liegt immer auch die potenzielle Wiedergeburt des Schreckens einer traumatischen Situation. Ins Unbewusste abgeschobene äußere Ereignisse können als energetische Motivationen späterer Handlungen in Erscheinung treten. Sie belegen die differenzierte Reaktion von Energieeinwirkungen auf menschliche Organismen, z.B. in Gestalt von Rachehandlungen. Die posttraumatische Regie durch das menschliche Gedächtnis verdeutlicht, dass der Begriff der Resilienz aus der Mechanik durchaus Schwächen aufweist, wenn er auf komplexe psychische Reaktionen übertragen wird.
In einer modernen Bedeutungszuschreibung meint Resilienz für eine posttraumatische Entwicklung viel mehr: Reifung, allmähliche Erholung, Sinnsuche und Sinnfindung und Unverwüstlichkeit von Grundannahmen, die nur flüchtig eine Infragestellung nach einem Trauma haben. Ein Festhalten an Grundannahmen nach Traumata, die von Menschen verursacht wurden, bedeutet eine Weigerung, Illusionen aufzugeben oder sie von negativen Erlebnissen zuschütten zu lassen.
Reifung lässt sich nicht bewusst anstreben. Selbst wenn eine traumatisierte Person sich entschließt, ihre Erlebnisse und die Folgeerscheinungen aufzuschreiben oder auf andere Weise zu veröffentlichen, ist ein Reifungsprozess an ein positives Feedback aus der sozialen Umwelt gebunden. Fällt das Feedback negativ oder ablehnend aus, wird sich kein Reifungsprozess einstellen. Reifung setzt ein empathisches Netzwerk voraus.
Traumata hinterlassen komplexe Schmerzen unterschiedlicher Art und Intensität. Wie soll man nun aus Schmerzen einen Reifungsprozess in Gang setzen, bei dem eine traumatisierte Person posttraumatisch von anderen Menschen ihrer Umwelt abhängig ist? Reifung wird im Allgemeinen von einem Gewitter an intrusiven Bildern, Erregung und Vermeidung begleitet, sagt man. Sie ist kein naiver Vorgang. Hoffnung auf das Überleben oder die Wiedergewinnung der Grundannahmen trägt solch Unterfangen. Traumatisierte Personen schreiben über ihre Erlebnisse aus tiefer Not und nicht, weil sie reifen wollen. Reifung lässt sich mithin nicht intendieren.
Reifungsprozesse darf man annehmen bei Desastern, die von Menschen verursacht wurden. Solche Desaster sind in der Regel Verbrechen oder gegebenenfalls durch Fahrlässigkeit verursacht. Es sind keine primären Verletzungen durch Naturkatastrophen. Verluste von nahen Angehörigen durch Naturkatastrophen mögen in ihrer Integration von einem Reifungsprozess begleitet sein, der aber schwer zu bestimmen ist. Bei Desastern/Verbrechen, die zu posttraumatischen Veränderungen der Selbst- und Fremdwahrnehmung führen, ist für die Integration bedeutsam, ob es sich um eine traumatische Gewalt gehandelt hatte, die ein Verursacher auch hätte unterlassen können. Sowie ein Verursacher einen rechtfertigenden Kontext einführt, aus dem er verpflichtet war oder sich verpflichtet fühlte, Gewalt anzuwenden, zieht er die verletzte Person in einen argumentativen Zusammenhang, in dem Vergebung und Versöhnung hochgradig erschwert wird. Dann wird die rationale Bühne betreten, auf der emotionale Besänftigung kaum stattfinden wird. Die Intention des Verursachers ist entscheidend. Darauf legt auch das Strafrecht Gewicht. Die Intention eines Gewaltverursachers legt den Rahmen der psychischen Integration eines „Opfers“ fest. Damit ist implizit eine Täterperson dauerhaft gegenwärtig in den Wahrnehmungen der verletzten Person präsent.
Posttraumatisches Wachstum setzt nicht unmittelbar nach dem Trauma ein. Zuweilen können Jahre vergehen, bevor eine traumatisierte Person die Umstände des traumatischen Ereignisses reflektiert, Distanz gewonnen hat und sich z.B. an eine literarische Verarbeitung machen kann oder nur ein Narrativ entwickelt.
Natürlich stellen sich die Fragen, was denn überhaupt posttraumatisch wächst, wenn wir von Wachstum sprechen, das biographische Ressourcen zur Grundlage hat, und welche Konventionen oder welche Prozesse darüber befinden, was denn das posttraumatische Wachstum sei, damit es in einen positiven Kontext gerückt werden kann. In jedem Falle setzt Wachstum einen individuellen Reflexionsprozess in Gang, der aus einem Kollektiv Argumente bezieht und nicht als abgeschlossen gelten kann: Resultate sind vorläufige, sie können als falsch zurückgenommen werden. Sie sind abhängig von Zeitgeschichte und Kultur.
Grundsätzlich meint Wachstum in unserem Zusammenhang den Verzicht auf Rache und das Talionsprinzip. Wachstum ist damit sozial konnotiert und zeigt sich erst in beispielhaften Bezügen zur Gemeinschaft. Es handelt sich hierbei um eine in der westlichen Zivilisation positiv bewertete Reaktionsweise auf Gewalt und Erniedrigung, die ganz offensichtlich in Einklang mit dem Neuen Testament steht, wo sie im Leben Jesu ihren damals neuen und unerhörten Ausgang nahm.
So lässt sich feststellen: Jede Handlung, die geeignet ist, Gewaltketten und Gewaltautomatismen zu durchbrechen, wird dem psychosozialen Wachstum zugerechnet, weil Friedfertigkeit eine herausgehobene Position im Zusammenleben einnimmt.
Eine elastische Wahrnehmung der peritraumatischen Umstände und ein elastisches Erleben von Schmerzen und Erniedrigung ist dann anzunehmen, wenn wir die zahllosen posttraumatischen Prozesse betrachten, die, durch prätraumatische Ressourcen beeinflusst, den Prozess der Integration und eines individuellen Wachstums befördern können. Resilienz und Wachstum setzen erst nach einer bestimmten posttraumatischen Zeit ein bzw. sind erst nach einer unbestimmten Zeit erfahrbar.
Posttraumatisches Wachstum anerkennt, dass die Welt nicht in Schwarz-Weiß-Kategorien bewertet werden kann. Vielmehr können Traumatisierte aus ihren Erfahrungen in vielen Fällen berichten, dass Verallgemeinerungen unzureichend oder falsch sind, dass human und inhuman sich im selben Menschen zeigen, wenn die Lebensbedrohung wächst. Wachstum in diesem Sinne bedeutet Öffnung für Ambivalenz.
Bei der Lektüre von Fachbüchern (Maercker: Posttraumatische Belastungsstörungen, S. 71/72) zum Thema psychische Resilienz und posttraumatische Reifung/Wachstum (durch Insa Fooken) fällt auf, dass Resilienz – anders als bei Materialeigenschaften – keine Konstante darstellt, sondern durch bestimmte Entwicklungen und Konstellationen vermehrt werden könne. Da löst sich der Begriff der Resilienz komplett von seiner ursprünglichen Bedeutung. Zwar sind auch resiliente Materialeigenschaften veränderungsfähig, jedoch nur im Sinne einer Verminderung elastischer Eigenschaften. Es erheben sich daher Zweifel, ob mit Begriffen für Eigenschaften toter Materialien organische und lebendige Eigenschaften hinlänglich beschrieben werden können. Mit einem „Think positive!“ und „Vernetze Dich!“ ist ein realitätsnaher Bewältigungsprozess schwer vorstellbar. Überhaupt ist der Tenor des „Du sollst“ in den Empfehlungen der American Psychological Association (APA) nicht sehr hilfreich, wenn keine allgemeine Anerkennung durch die soziale Umwelt vorausgegangen ist.
Am Gegenpol zum positiv verstandenen Wachstum steht das, was man negatives Wachstum, Verengung, Schrumpfung, Kurzschlüssigkeit, unreflektierte Spontaneität, ungezügelte Wut nennen könnte. Diese Haltung fragt nicht nach Folgen von Gewalthandlungen, die sowohl erlitten als auch Anderen zugefügt wurden. Sie wird nicht selten bei Veteranen der vielen Kriege angetroffen. Negatives Wachstum riskiert den eigenen Untergang oder den gesellschaftlichen Ausschluss.
Wenn wir mit Resilienz nicht allein elastische Reaktionen nach Traumata verstehen, sondern eine weitere Materialeigenschaft übertragen, die wir Widerstandsfähigkeit nennen, so ergibt sich für ein posttraumatisches Leben ein anderer Akzent. Widerstandsfähigkeit richtet sich sowohl gegen physische als auch psychische Gewalt und deren Folgephänomene. Sie kann letztlich alles Mögliche bedeuten: z.B. Widerstand gegen Verdrängung, Leugnung, gegen eine kognitive Integration von Bedeutungen, die andere Personen vorgeben, oder Widerstand gegen Vergessen und Verblassen von gravierenden Ereignissen. Solch ein Widerstand bezieht seine jeweils aktuelle Energie aus sozialer Früh- und Folgeprägung. Er hat jedoch neueren Forschungen zufolge einen genetischen Helfer. Dieser besteht aus einem Hilfsmolekül, das die Wirkung des Stresshormons Cortisol verändert (P. Spork: Schutz aus dem Erbgut, SZ vom 3.12.2012) und in zwei Varianten vorkommen kann: einem wirkungsmindernden und einem wirkungsverstärkenden. Seine jeweilige negative Wirkung erzielt die risikoreiche Genvariante erst durch frühe Erfahrungen mit Gewalt, Erniedrigung, Double-binds oder anderen Traumata. Bleiben diese Erlebnisse aus und hat ein Mensch die risikoarme Genvariante, so erlebt er nach einem Trauma des Erwachsenenalters zwar eine Leidensphase, die jedoch nicht in Depressionen oder Belastungsstörungen oder erhöhtes Suizidrisiko übergeht. Erklärt wird dieser Mechanismus einer Zwiesprache oder Wechselwirkung von Erbgut und Umwelt mit den Steuerungsfunktionen des schützenden Gentyps. Risiko-Gentypen wiesen in Untersuchungen der DNS eine Minderung der Methylgruppen, sodass der Schluss berechtigt sei, ein Trauma führe zu einem Verlust an Methylgruppen an einem spezifischen Gen. Es handelt sich hierbei um spannende Experimente, die den Mechanismus epigenetischer Prozesse offen legen. Wenn die ForscherInnen zu den Konsequenzen für eine Therapeutik befragt werden, antworten sie, dass Risikogenträger vor allem durch Entspannung und Geborgenheit ihre Tendenz zu pathogenen Reaktionen lindern. Das hat man schon immer mal wissen wollen!! Geradezu abenteuerlich wird es, wenn die Pille nach traumatischer Exposition gesucht wird oder bei Kindern nach Pharmaka gefahndet wird, die frühzeitig verabreicht, die Geneinflüsse hemmen, sodass eine Traumaprägung im Kindesalter vermieden werden kann. Die Welt darf weiterhin so bleiben, wie sie ist! Wer traumatische Erfahrungen bei Kindern pharmakologisch dämpft oder gar ausschaltet, riskiert, dass solche Kinder nur sehr geringe Empathie entwickeln und sich kaum in das Leid anderer Menschen einfühlen können.
Es ist meine Überzeugung, dass posttraumatische Elastizität der Reaktionen auf traumatische Erinnerungen nicht ohne eine Kenntnis des individuellen oder kollektiven Gewissens verstanden werden kann. Denn es ist das Gewissen, das einer traumatisierten Person Streiche spielen kann oder Resilienz zu einer unsicheren Angelegenheit macht, weil sie keine Konstante darstellt.
Abschließend soll auf die Beziehung von Elastizität und dem therapeutischen Ziel der Stabilisierung einer extrem traumatisierten Person hingewiesen werden. Aus der Bionik wissen wir, dass ein bestimmtes Maß an Resilienz stabilitätsverstärkend wirken kann, wenn äußere Kräfte am Gefüge zerren. Auch Stabilisierung ist eine Metapher aus der Mechanik, was sprachlich die Armut psychologische Begriffe verdeutlicht.
Ein zentrales Problem besteht darin, dass Elastizität in einer Person schon vorhanden sein muss, wenn äußere Kräfte eine extreme Schädigung in Gang setzen. Nun ist der Elastizitätsbegriff insofern erweitert worden, als man auch posttraumatisch noch Resilienz erwerben und weiterentwickeln kann. Dadurch ließe sich die Analogie mit der Mechanik zwar nicht mehr verstehen eben weil Resilienz sich nicht als Prozess zu erkennen gibt.
Wachstum lässt sich wohl entwickeln, reaktive Elastizität oder Resilienz wohl eher nicht. Bei der Beobachtung von Kindern kann man davon ausgehen, dass sie noch nicht über traumareaktive Elastizität verfügen, weil sie biographisch noch kein entwickeltes Gerüst für differenzierte Reaktionen und Bedeutungen haben können. Sie werden hart irritiert und extreme Mühe haben, mit der resultierenden Enttäuschung zu überleben. Was sie traumatisch verletzt, nimmt offenbar andere Mechanismen als bei Erwachsenen. Es hat eher den Anschein, als ob Kinder traumatische Erlebnisse ohne differenzierte kognitive Anteile integrieren oder ins Unbewusste abschieben, sehr wahrscheinlich sogar eine eigene Verstehensweise kreieren. In therapeutischen Beziehungen soll das primäre Ziel einer Stabilisierung die Herstellung oder Wiederherstellung von Elastizität bewirken. Einer traumatisierten Person soll durch Sprache ermöglicht werden, auf sinnvolle Weise mit ihren Erlebnissen umzugehen. Dazu muss man nicht genau benennen können, was eigentlich „stabilisiert“ wird. Stabilität ist ablesbar am Verhalten oder wird subjektiv geäußert.
Bedeutsam ist fraglos die Beziehung von Resilienz und Zeit. Wenn, wie es eine alte Erfahrungsweisheit sagt, die Zeit psychische Wunden heilt, dann hat die angenommene Elastizität einen unmessbaren Helfer, der in der Wandelbarkeit des zellulären Gedächtnisses seinen Grund hat. Vielleicht sind in Bezug auf seelische Verletzungen Resilienz (als Metapher) und Zeit synonyme Begriffe. Zeit bedeutet in diesem Zusammenhang Distanz zu einem verstörenden Ereignis.