Überlegungen von Sepp Graessner

 Zwei Begriffe sind hier zu bestimmen: Was ist Empathie? Und was bedeutet in diesem Zusammenhang ein komplexes System, das von den Teilnehmern Empathie einfordert?

 Empathie ist, allgemein gesprochen, ein auf Verstehen ausgerichtetes, erkenntnispraktisches Instrument für Kooperation und damit Voraussetzung für Gemeinschaften und ihre Funktionen. Heute wird Empathie eher unter dem Oberbegriff der Intersubjektivität mit anderen emotionalen und kommunikativen Zuständen/Prozessen zusammengefasst. Empathie im therapeutischen Prozess steht immer unter den Vorzeichen der Disziplinierung von empathischen Regungen, die damit konstant zur Selbstdisziplin aufrufen.

 Im Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin (wahrscheinlich auch anderswo) war es seit der Gründung üblich, das setting im therapeutischen Raum als Konstellation zwischen drei Akteuren zu erfassen: Klient, Therapeut und Dolmetscher. Für den Ablauf der Kommunikation zwischen diesen Akteuren wurden umfangreiche Regeln aufgestellt und deren Beachtung angemahnt. Hier wird das System der Dreierbeziehungen um zwei weitere Systeme erweitert.

Die allseits geschätzte  Coolness muss nicht Abwesenheit von Empathie bedeuten, sie stellt aber wohl eine Technik des Verbergens von Empathie dar, eine Form der kontrollierten, selektiven Empathie mit sich selbst. Hierin zeigt sich, dass Verhaltensweisen in Verbindung mit Emotionen oder Einfühlung Moden und kulturellen Formungen unterliegen können.

Als Voraussetzung für eine vertrauensvolle Beziehung mit Überlebenden von Folter wurde Empathie, empathisches Mitschwingen, Bereitschaft zur Empathie und professionelle Distanz zu verstrickender Empathie als wesentlich angesehen. Vertrauen aufzubringen ist nur auf der Grundlage von wechselseitiger, gleichgewichtiger Empathie denkbar (siehe Gedanken zur Gabe). Damit ist einseitiges blindes Vertrauen von partnerschaftlicher Empathie, wie ich sie verstehe, unterschieden. Geheuchelte oder gespielte Empathie, die Mitgefühle instrumentalisiert, verletzt das geforderte Gleichgewicht.

Da die Fähigkeit zur Empathie mit dieser spezifischen Klientel auf keinem Zeugnis auftaucht, wurden in Bewerbungsgesprächen für zukünftige therapeutische Mitarbeiter die Aussagen der Bewerber daraufhin abgesucht, ob ihre Geschichte, d.h. ihre bisherigen Aktivitäten und Entwicklungslinien, Hinweise auf die Fähigkeit zur Empathie mit Folteropfern gaben. Generalisierte Opferempathie, also Empathie mit dem geschädigten, schwachen Menschen, ist zu unterscheiden von Empathie mit Überlebenden von Folter, die sich trotz der oft unverstandenen gesellschaftspolitischen Räume bildet, nicht auf reflexive Muster zurückgreifen kann und daher neben einer emotionalen eine politische Reaktion, eine aktive Handlung und Bewertung erfordert. Es scheint nicht auszureichen, ein aufmerksames Zuhören mit der Bereitschaft zur Empathie  als aktives Handeln zu bezeichnen. Empathie, so zeigte sich rasch, ist eine sehr individuell geformte, niemals konstante Eigenschaft aus Psychologie, Physiologie und sozialer Prägung, die sich in Kommunikations- und Handlungssituationen erweist und nicht abzufragen ist wie gewöhnliches Wissen. Hierin liegt ein erster Punkt für Irrtümer im Rahmen von Bewerbungsgesprächen. Allerdings ist es in mancher Hinsicht übergriffig und unfair (und wurde auch so empfunden), die psychische Reagibilität in Bewerbungsgesprächen zu erforschen, obwohl genau dies heute allgemeine Praxis ist. Dies gilt letztendlich für alle persönlichen Eigenschaften und strategischen Handlungsmuster, die ein soziales Individuum erworben hat. Die resultierende Ambivalenz in der bewertenden Rolle wurde daher ebenso Quelle für Fehlbesetzungen wie der unzuverlässige subjektive Eindruck.

Was also ist für mich Empathie in der Begegnung mit Folteropfern im therapeutischen Raum? Welchen Steuerungen unterliegt sie?

Empathie setzt sich zusammen (nach der Ähnlichkeitsthese oder der Simulationstheorie):

-         aus Vorstellung, Erwartung, Vorhersehbarkeit, Voraussagbarkeit und Projektion, kurz: dem „futurischen“ Blick, der jede Beziehung unter Menschen kennzeichnet. Dieser Blick enthält eine temporale, geschichtliche Dimension, indem Vergangenes über die Gegenwart hinaus in die Zukunft (zumeist narrativ oder mit Phantasien) verlängert wird,

-         aus den Gefühlen, die den futurischen Blick begleiten, ihm möglicherweise um Millisekunden vorausgehen, wenn sie Reaktion auf ein Narrativ sind,

-         aus dem Abgleich mit eigenen Erfahrungen, mit „paradigm scenarios”[i], also assoziativ,

-         aus dem Absuchen nach Differenzen (der Andere ist nicht Ich, er ist auch nicht wie Ich, er ist anders, was aber definiert das Andere und wie bedeutsam ist die Differenz?),

-         aus der Deaktivierung von eingeübten Blockade-Mechanismen und

-         aus den zumeist unbewusst angestrebten Gewinnen und Belohnungen aus dem sozialen Raum, wenn Empathie als echt (mit psychophysischer Komponente) oder lediglich rhetorisch (z.B. bei Gedenkfeiern zur Erzeugung von kollektiver Empathie) kommuniziert wird.

 

Alle diese Teilschritte von Empathie werden von physiologischen Reaktionen begleitet, so dass man sagen kann, Empathie sei in erster Linie ein körperlicher Prozess, der über die Sinnesorgane Zugang auch zum psychischen System eines Individuums erhält. Das klingt banal, wenn Empathie oftmals als Emotion ohne Stofflichkeit empfunden und verstanden wird. Das, was futurischer, d.h. vorauseilender, abschätzender und bewertender Blick genannt wurde, ist dann der Verarbeitungsvorgang von Sinneswahrnehmungen in enger Verbindung zur eigenen Existenzsicherung, wodurch Empathie zum Kitt von Gemeinschaften wird, wenn Individuen sich sprechend und in unterschiedlichen psychischen  Konstellationen aufeinander beziehen.

Empathie sucht die Gefühle und Bewertungen eines Anderen nachzuvollziehen; die Perspektive eines Anderen soll ohne unmittelbare Betroffenheit eingenommen werden. Betroffenheit des Zuhörers einer grausamen Geschichte ist stets mittelbar. Die Erzählung und die erfahrbare Person eines Anderen sind damit Medium für empathisch geprägten Perspektivwechsel. Indem man sich auf Erzählung und Person einlässt, ist man zumindest für einen kurzen Moment nicht bei sich. (Es sei dahingestellt, ob es sich bei Empathie gleichsam um Verschmelzungsübungen handelt und ob es berechtigt sei, durch Liebe, Freude, Enthusiasmus oder Mitleiden verlorene oder entfernte  Verschmelzungswünsche in sich aufzusuchen.) Erst danach tritt als kognitiver Prozess die Mobilisierung hemmender Aktionen in Kraft, sodass eine Rückkehr zu sich selbst, aus abwägendem Interesse und Schutz, ermöglicht wird. Kommunikation mit Leidenden gleicht somit einem Oszillieren zwischen unterschiedlichen Perspektiven, in denen man durchaus außer sich sein kann. So habe ich es im Arbeitsablauf empfunden, und es erscheint mir folgerichtig, dass ich nicht immer sicher war, welche aktuelle Perspektive ich gerade einnahm. Meine Unsicherheit rührte daher, dass z.B. ein Ungerechtigkeit anklagender Standpunkt eines Klienten sich mit meinen Interessen, nicht nur mit meinen Erfahrungen, deckte, dass folglich der Perspektivwechsel meine Interessen verstärkte und legitimierte.

Bedeutsam sind die Hemmmechanismen und wann sie eingesetzt werden. Kein oder besser: kaum ein Mensch ist ununterbrochen empathisch mit anderen Menschen oder Lebewesen. Er würde binnen kurzem ausgehöhlt. Jeder trifft eine Auswahl, spontan oder reflektiert. Diese Hemm- oder Blockademechanismen scheinen Teil eines Selbstschutzes zu sein, um Erschöpfungen in den emotionalen Reaktionen vorzubeugen. Sie sind zugleich Gegenstand kulturell bedingter Manipulationen, weil durch kulturell vorgeschriebene Gebote die Bereitschaft zur Empathie vorbereitet und gelenkt wird. Nicht der Mensch an sich ist automatisch Gegenstand von empathischen Empfindungen, weil er ähnlich ist. Vielmehr erfährt jeder Mensch im Verlauf seiner Reifung zunehmend auch unähnliche Attribute bei anderen Menschen. Daher behauptet Breithaupt[ii]: Ähnlichkeit als Motiv von Empathie werde überschätzt. Empathie muss folglich gegen eine Wahrnehmung von Differenz aufgebracht werden. Daher können kulturell definierte Gruppen oder Einzelpersonen von Empathie ausgenommen sein. Ihnen wird Empathie auch bei der Wahrnehmung großer Miseren verweigert. Dieselben Menschen, die ihrem Hund Mitgefühl bezeugen, sind in der Lage, Flüchtlingen oder Gefangenen Empathie zu verweigern, wenn diese Flüchtlinge/Gefangenen/Verdächtigen gesellschaftlich in ein Gefährdungsraster gerückt wurden. Dabei spielt keine Rolle, ob die Gefährdung real ist. Entscheidend ist, ob die vermeintliche Gefährdung Teilaspekt der Selbstbeschreibung, also des regulierend eingreifenden Ichs, wird. Landläufig wird hier von ideologischer Prägung, Diskurs oder Zeitgeist gesprochen. Sie sorgen dafür, dass trotz sicherer Distanz und fehlender unmittelbarer Erfahrung eine Gefährdung durch definierte Menschen vermutet und geglaubt wird. Das ist der Kern des Schmittschen Denkens von Freund und Feind, der nicht nur Staatsgebilde betrifft. Es handelt sich um die Naturalisierung der in diffus umkreisten oder vorgeschriebenen Fällen vorenthaltenen Empathie. Schmitt, so könnte man sagen, hat in seiner politischen Theologie nichts anderes beschrieben als die von Interessen geleiteten (notwendigen?) Hemmungen von Empathie. Wie gesagt, jeder Mensch selektiert seine Bereitschaft zur Empathie. Wem sie gilt und wem nicht, das ist ein politischer Prozess. Wann und wem gegenüber diese Bereitschaft blockiert wird, entscheiden Interessen, Machtstreben und politische Diskurse, die nicht selten ein familiäres Muster der Zuordnung aufgreifen und damit an die individuelle Entwicklung in der Familie anknüpfen. Empathie mit dem Schicksal von Kindern fällt deshalb leichter, weil jeder Erwachsene einmal Kind war. Alle sonstigen Phänomene der Differenz, äußere oder mentale, sind kulturell produzierte.

Die Fähigkeit zur Empathie kann man nicht verordnen oder verbieten, verlernen in langsamen Prozessen kann man sie aber schon. Indem Empathie mit Lernen in unteilbarer Verbindung steht, enthüllt sie ihr neuronales Fundament wie alle Lernvorgänge. Der Kern solcher ambivalenten Lernprozesse bezieht sich auf Ähnlichkeit und zugleich Unähnlichkeit. Das menschliche Antlitz (Lévinas[iii]) motiviert nicht dauerhaft die Bereitschaft zur Empathie. Die Versammlung des Anderen im Ich kann aufgelöst werden, und die Einsicht in die eigene Verletzlichkeit (Judith Butler[iv]) behindert nicht zwangsläufig die Verletzung Anderer.

 

Empathie wird als ambivalentes Empfinden und Bewerten in Familien gelernt. In der Familie wird die Richtung von Empathie sowie deren Qualitäten erfahren und in Lernprozesse (szenische Mimetik) transformiert. Ohne eine solche wiederholte Erfahrung mit dem Umgang von Hilflosen, Verletzten, Ungerechtigkeiten ist eine Reproduktion von empathischer Kommunikation mit verletzten Anderen kaum möglich.

 

Nun ist Empathie im setting kein Privileg oder alleiniges Werkzeug des Therapeuten, der Empathie als Würze seiner Kommunikation einsetzt, mit der er/sie neben den lebensgeschichtlichen Fakten eines Klienten auch die emotionalen Begleitqualitäten zu erfassen sucht. Unbestreitbar teilen auch die übrigen Gesprächspartner diese Fähigkeit. Der Dolmetscher und der Therapeut mit einer ähnlichen Richtung, nämlich auf das Narrativ und die Person des Klienten gerichtet und die berichteten Begleitumstände, der Klient mit umgekehrter Richtung bzw. mit schwankenden Richtungswechseln. Alle Teilnehmer eines therapeutischen Gesprächs suchen die Motive und zukünftigen Handlungen der anderen zu erraten, wobei sie die Rahmenbedingungen zukünftigen Handelns und deren Grenzlinien im Blick behalten müssen. Therapie ist ohne fortlaufende Betrachtung des gesellschaftlichen Rahmens nicht möglich. Therapeut, Klient und Dolmetscher machen sich Bilder von Möglichkeiten, die von der eigenen Selbstbetrachtung abgeleitet werden und das strategische Sprechen und Handeln in weiten Grenzen bestimmen. Das Resultat dieses prüfenden Prozesses stellt eine Empfindung von Sicherheit dar oder auch nicht. Sicherheit steht in enger Verbindung zu Aktivitäten der Vertrauensbildung, also in Anknüpfung an frühe Erfahrungen.

 

Schon in früheren Einlassungen hatte ich darauf hingewiesen, dass als vierte Instanz der Folterer im Setting präsent ist, nicht nur imaginiert oder durch konkrete Erinnerungen, sondern handfest in Gestalt von Symptomen, in Verwandlungen von Macht in psychosoziale Gestalten und Ausformungen. Der Folterer und das Foltersystem bilden die Präsenz der Abwesenden.

Nun möchte ich diese Konstellation zu einer Fünferkonstellation erweitern durch ein ergänzendes System, das scheinbar unabhängig von der therapeutischen Situation einen breiten Raum einnimmt. Es handelt sich nicht um personelle Präsenz, sondern um Wirkungsweisen staatlicher Institutionen, z.B. Deutschlands, um das Bundesamt, die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Innenpolitik oder die Ausländerbehörden, kurz: um die herrschende und Herrschaft fordernde Macht im Exil des Klienten. Die Inthronisation dieser Macht ist völlig unabhängig vom Willen und der Geschichte des Flüchtlings. Es ist eine andere Welt, die sich durch Macht über Leben legitimiert. Existenziell bedeutsame Institutionen sitzen insofern im therapeutischen Raum, als sie Objekte von Empathie (oder deren Hemmung) waren oder sind und ihre bestimmende Rolle für alle Teilnehmer nicht ablegen. Das Ensemble dieser genannten Einflüsse auf therapeutische Gespräche formt sich zu dem im Titel angesprochenen komplexen System.

Wir haben uns im sprachlichen Alltag darauf verständigt, Empathie mit positiver Konnotation zu verstehen. Das ist jedoch keineswegs zwangsläufig der Fall, wenn es darum geht, mit Einfühlung zu verstehen. Der Folterer wird gleichfalls durch „negative“ Empathie gekennzeichnet, ja durch sein vergangenes Handeln fordert er fortlaufend eine wenn auch eingeschränkte Beschäftigung mit sich heraus. Negativ und Widerwillen bereitend sind die Gefühle, die den Vorstellungsprozess des Dolmetschers und Therapeuten vom berichteten Folterakt begleiten. Blockademechanismen hemmen auch wohlwollende Gefühle zu Institutionen, wenn diese Instanzen ein Abhängigkeitsverhältnis zum Klienten kontinuieren und somit das taube Selbstbewusstsein eines Objekts fördern, als handele es sich bei einem Flüchtling um eine Akte oder einen Störfall.

Wir haben unter dieser Betrachtung folglich fünf Systeme zu berücksichtigen, wenn wir trotz der verwirrenden Komplexität den Überblick und die therapeutisch, d.h. auch instrumentell eingesetzte Empathie bewahren wollen. Viel zu kurz greift folglich die These, im therapeutischen Setting mit sprachunkundigen Flüchtlingen hätten wir es nur mit drei Akteuren zu tun, die eine Wechselwirkung entfalten. Selbstverständlich werden dadurch die Betrachtung und die jeweilige Selbstbetrachtung im therapeutischen Gespräch komplizierter, unruhiger und unübersichtlicher, da die beteiligten Systeme sich gegenseitig interpenetrieren. Sie rufen zwangsläufig nach Selektion, wie Luhmann[v] feststellt, damit aus der Komplexität nicht völlige Unordnung für ein Sprechen und Handeln entsteht. Welche Ordnungswünsche in Bezug auf staatliche Machtinstanzen vordergründig werden, hängt wesentlich von der individuellen Geschichte, Erfahrung, der aktuellen Position und Bewertung ab. So können, wenn man eine Folterbiographie zu erfassen sucht, Gefühle von Erleichterung aufkommen, weil in unserem Staat nicht systematisch gefoltert wird, die Justiz Vertrauen findet, der einzelne Entscheidungsträger menschlich ansprechbar ist oder „natürliche“ Hierarchien anerkannt werden. Solche mitschwingenden Empfindungen gegenüber der fünften Instanz unterscheiden sich von einer skeptischen, misstrauischen oder enttäuschten Betrachtung, die oftmals in kämpferische Haltungen und in Abwehr der fünften Instanz übergehen kann. Wie man es auch betrachtet, auch die fünfte Instanz fordert den Beteiligten am therapeutischen Gespräch emotionale Reaktionen ab, die nicht konstant ins Bewusstsein drängen, jedoch vom Körper, vom autonomen Reaktionssystem registriert und beantwortet werden. In den Körpern der Gesprächsteilnehmer nistet die fünfte Instanz. Sie ist nach Bourdieu als Gesellschaft mit Institutionen in unterschiedlicher Weise in den Gesprächsteilnehmern inkorporiert und deshalb ist sie im therapeutischen Gespräch präsent, indem wir von einer Präsenz von Körpern sprechen[vi]. Indem die realen Gesprächsteilnehmer sich auf die zentrale Machtinstanz staatlicher Entscheidungsträger beziehen, erleben sie als Klient erneut ihre Ohnmacht, als Therapeut die Notwendigkeit einer konstanten Reflexion dieser Machtwirkungen. Dolmetscher nehmen mit Blick auf Macht und Machtdemonstration eine zumeist schwankende Position ein. Vielleicht ist es für sie gesünder, die fünfte Instanz willkommen zu heißen, statt sich in latentem Streit mit ihr zu befinden, wenn sie selbst Migranten sind. Die Einfühlung in die fünfte Instanz und die Voraussagbarkeit ihres Verhaltens haben immer eine emotionale Dimension zur Folge, je nach individuell-historischem Verhältnis zur Autorität. Sie kann taktisch geformt sein oder kognitiv abwägend. Es wäre aber falsch auszublenden, dass die fünfte Instanz sehr oft aktiv den Streit anheizt, indem sie die Kompetenz der Therapeuten anzweifelt und deren Bewertungen von Narrativen auf die Ebene des Rechts und der Paragraphen zieht, Termine diktiert oder selbst an Sinnesbeschränkungen leidet, sich also taub, blind, stumm darstellt und angesichts dieser Behinderungen Empathie mit sich selbst einfordert. Ohne ein empathisches Verhältnis zur fünften Instanz kann man nicht kämpfen, verhandeln, betteln. Das setzt allerdings nicht ein positives, anerkennendes  Verhältnis voraus. Durch ihre aktive Mitwirkung am therapeutischen Gespräch handelt es sich bei der fünften Instanz nicht um das Freudsche Über-Ich, das aus dem dunklen Unbewussten wirkt, sondern um ein sehr ursprüngliches und  schädliches Attribut der Macht im Setting.

 

In den Gestalten der Empathie unterscheiden sich therapeutisch arbeitende Partner von Folterüberlebenden. Nun könnte man einwenden, die Zahl der im therapeutischen Gespräch präsenten Instanzen sei noch um Eltern, Lehrer und humane Bildung und Idole zu erweitern. Sie sind verkörpert – ohne Frage – sie repräsentieren jedoch keineswegs Machtträger, die in der Realität über das Schicksal eines Flüchtlings und seine Traumasymptome befinden. Kennzeichen von Folterern und staatlichen Instanzen im Exil ist die Macht über Leben und Gesundheit. Das macht sie nicht gleich, keineswegs, in der unmittelbaren Wahrnehmung der Bedrohlichkeit für das individuelle psychophysische System treffen sich die vierte und fünfte Instanz, denn die Wahrnehmung des körperlich-seelischen Systems geht der rationalen Betrachtung voraus und stellt die Weichen vor einer vernünftigen Analyse auf Abwehr, Regression, Eigensicherung oder Fluchtphantasien. (Mir ist kein Asylsuchender bekannt, der sich im Verlauf seines Asylverfahrens nicht wenigstens zehnmal in ein Land phantasiert hat, in dem er sich willkommen erlebt.)

 

Wenn Spiegelneuronen[vii] existieren und die Grundlage für Mitgefühl bilden, erscheint eindeutig, dass Empathie eine physiologische Basis besitzt, die kulturell geformt wird, also eine Potenz, die ein Kleinkind erlernt, wenn es die Wünsche und Absichten der Eltern errät. In bildgebenden Experimenten wurde festgestellt, dass Menschen durch die sprachliche Vermittlung von Leid, Unglück und deren Gegenteil in denselben Arealen des Gehirns Aktivitäten zeigten wie die Menschen, die Freude, Unglück und Leid direkt erlebt hatten. Obschon es noch etliche Fragen an das Vorliegen von Spiegelneuronen gibt, wollen wir ihre modellhafte Existenz als gegeben hinnehmen. Ob es sich dabei um eine Sonderkategorie von Neuronen handelt, die nur auf ihre Belebung warten, sei dahingestellt, weil auch die übrigen Neuronen nur Potenzen darstellen, die, wenn sie nicht aktiviert werden, zur Verkümmerung verurteilt sind, ein Schicksal, das mit genetischen Potenzen geteilt wird.

Der Mensch ist kein Solitär. Er ist und bleibt ein soziales Wesen und ist somit abhängig von einem aktivierenden Input aus der sozialen Umwelt. Ohne vorausgehende Aufmerksamkeit für Signale aus der sozialen Umwelt gibt es keine Intelligenz, Sprache, Empathie. Somit ist die Existenz von Empathie auf eine Mixtur von Neurophysiologie und Sozialität angewiesen. Diese Faktoren werden von psychologischen Einarbeitungs- und Bewertungsstufen von Bedeutungen eingefärbt. Auch sie werden gelernt.

 

Der Kampf um Menschenrechte wird durch Empathie begleitet und leitet dadurch Moral, d.h. richtiges oder falsches Handeln ab. Die Menschenrechte mögen rational der gesamten Menschheit dienen. Ihre Verwirklichung stößt immer wieder an enge Grenzen, die zuweilen Rationalität als intrinsische Begründungen bemühen. Erst durch Empathie lässt sich der Einzelne bewegen, für sie einzutreten und sie in einen für ihn verbindlichen Kanon aufzunehmen. Wenn da nur nicht die kulturell implementierten Blockademechanismen von Empathie wie Unsicherheit, Angst, Gefährdung wären! Und die vielfältigen Perspektiven der Ichs, unter denen die Welt betrachtet wird. Solange Empathie als Form der Natur die Debatte der Menschenrechte erwärmt, zuweilen erhitzt, wird das jeweilige Recht diese unmessbaren und unbestimmten Naturanteile abzuwehren versuchen, obwohl es sich beim Denken gar nicht anders verhält, das ebenfalls als natürliches Phänomen abgewehrt werden kann, wenn es sich mit dem eigenen nicht deckt. Objektivität wird stets als Ausschaltung von Gefühlen und Mitgefühlen konzipiert. Hierin liegt ein gigantischer Selbstbetrug, dem autosuggestiv vor allem Gutachter unterliegen können.

 

Nahezu alle Hypothesen zu neurologischen Modellen der Empathie kranken daran, dass die Forscher sich nicht erinnern wollen, wie sie selbst mit dem Phänomen und kommunikativen Prozess Empathie in Kontakt gekommen sind und welche zusätzlichen Empfindungen das Einfühlen in andere Menschen verursachte. Einige Blockaden von Empathie könnten dadurch erklärt werden. Ferner wird offenbar ein Übergang vom Einfühlen zum Eindenken und später zum Einkalkulieren verleugnet. Der erwachsene, ausgereifte Forscher betrachtet Empathie als Variante eines Denkprozesses. Selten vernimmt man Aussagen, dass Empathie aus völliger Abhängigkeit gelernt und zur Konfliktvermeidung taktisch, d.h. zur Vermeidung von Unlust, eingesetzt wird. Selten auch findet Erwähnung, dass die erlernte Empathie als Einfühlung des Kindes  in die Eltern, die Einfühlung im optimalen Falle ja vormachen, bereits eine kulturell vermittelte Einfühlung mit Normen ist, die öfter Wut hervorruft, weil sie Bedürfnisverzicht voraussetzt oder fordert. So wird also vielfach Empathie als rationaler Vorgang dargestellt, dem sich der neuronale Ablauf unterordnet.

 

Eine oft gestellte Frage, die auf Antwort wartet: Wird Empathie im Verlauf einer Beschäftigung mit einem Objekt von Empathie wachsen können, gleichsam als Energieeinbuße unbeherrschbar? Wenn ich Ungerechtigkeit erlebe und dadurch immer wieder unbewusst auf Schlüsselerlebnisse bezogen werde, wird meine Empathie mit ungerecht Behandelten, die zahlreiche Emotionen einschließt, dann größer und überfordernder? Oder werde ich erschöpfter, weil ich emotionale Energie aufbringen muss und diese Energie begrenzt ist? Oder ödet mich die Wiederholung von Gegenständen meiner Empathie, und ich schalte dann meine Reaktionen ab, weil ein Schwellenwert überschritten wurde? Solche Fragen richten sich in erster Linie an die Neurophysiologie.

Mit anderen Worten: Was verursacht Erschöpfung und Burnout in der Arbeit mit Folteropfern? Wenn Empathie auch jene unverhüllte Wut und Traurigkeit einschließt, die Überlebende von Folter äußern oder verkappen, dann werden bei einem empathiebereiten Menschen alle jene neuronale Bahnen aktiviert, die bei erinnernden Erzählern stimuliert werden. Irgendwann hat ein Therapeut eine wiederkehrende Vorstellung oder Bilder von Gefangenschaft, Zelle, Misshandlung, von Geräuschen und Gerüchen entworfen, die seine emotionale Reagibilität bestimmt. Er hat solche Szenen vielleicht nie am eigenen Leib erfahren. Sie entstehen in der Phantasie und rufen Emotionen hervor, deren Objekt der Erzähler und seine Erzählung sind, die unabhängig vom Wahrheitsgehalt seiner Schilderung den Einsatz emotionaler Energie abverlangen. Empathie fragt nicht nach Wahrheit der Ursachen. Man kann durchaus Einfühlung in erfundene Geschichten/Literatur/Fiktion mobilisieren. Die Beobachtung spricht für die Fähigkeit zur affektiven Einschätzung, die einer kognitiven vorausgeht, nicht nur bei sentimentalen Menschen.

Die zweite Frage: Wie viel narzisstische Persönlichkeit braucht es zur Auslösung von Empathie? Darin ist der Verdacht enthalten, die narzisstische Persönlichkeit bringe Empathie mit sich auf und nicht in erster Linie mit einem fremden Objekt. Die Einrichtung der Funktion von Spiegelneuronen (oft Beschreibung neuronaler Verbände genannt) geht möglicherweise den Weg über die Empathie mit sich selbst und wird erst nach einer bestimmten Entwicklungsphase auf fremde Objekte übertragen, Narzissmus als notwendiges Durchgangsstadium von Empathie (?).

 

Empathie ist in Verbindung mit traumatisierten Flüchtlingen nicht nur Mitleiden, sie ist auch Mitwut, Mitekel, Mitfurcht, Mitentsetzen usw. Wird Empathie auf Mitleiden verkürzt, mag dies ökonomische Gründe haben, die wahrscheinlich im christlich geprägten Raum am Leidenskern der Religion andocken. Mitgefühl schließt alle denkbaren Emotionen ein. Welche dabei in der Hierarchie eines Beobachters vordergründig werden und welche eher stumm bleiben, darüber, so erscheint es, entscheidet die eigene prägende frühe Erfahrung.

 

Von Empathie kann man unter Berücksichtigung neurologischer Untersuchungen dann sprechen, wenn die Sofortreaktion des affektiven Systems durch das langsamere kognitive System bestätigt wird (unter der Annahme, dass die Thalamo-Amygdala-Route schneller ist als Weg über Thalamus und Cortex und von dort zum Mandelkern). Während die affektive oder emotionale Reaktion sich durchaus, weil sie eine alarmierende Schutzfunktion ausübt, irren kann (z.B. am 1. April) und im Falle einer Erzählung von Schrecken keine selbst bezogene Schutzhandlung vorbereiten muss, da es sich um eine geschilderte Realität eines Erzählers handelt, also virtuell oder nachvollziehend abläuft, wird erst durch die Bestätigung durch kognitive Einflussnahme eine genuine Empathie erzeugt.

Zum Beispiel: die unterschiedlichen Furchtqualitäten während eines Folterverhörs, die ein Überlebender schildert, können zu spontanen Emotionen beim Zuhörer führen: Traurigkeit, Wut, Ekel usw. Diese Emotionen müssen jedoch durch Kognition als kulturell angemessen bestätigt werden. (Man erfreut sich nicht an der Erzählung von Folter, aber es wäre möglich.) Dagegen ist die Imitation der geschilderten Furcht  als Selbstgefährdung nicht möglich, weil in den meisten Fällen der Zuhörer  selbst bezogen die Furcht vor der unmittelbar drohenden Folter und ihren sozialen und physischen Konsequenzen nicht real erlebt, sondern in der Vorstellung oder als Analogie nachvollzieht. Wenn dem Zuhörer keine Gefahr droht, ist ihm eine Imitation der Furcht nicht möglich, oder er wird sie mit kognitiven Bewertungen ebenso widerlegen, wie er auch den Wahrheitsgehalt, wonach affektive Spontanreaktion nicht  fragt, kognitiv in Frage stellen kann. Dies ist z.B. der Fall bei gewerbsmäßiger Bettelei, bei der es zu einer Aufspaltung von intendierten Emotionen, Empathie und kognitiver Korrektur kommt.  Eine Identifikation mit dem Leiden des Klienten wird erst durch kognitive Arbeit hergestellt, indem das Schicksal des Leidenden in die Zukunft verlängert wird, weil er von gesetzlichen und gesellschaftlichen Beschränkungen abhängig bleibt, die nicht die Linderung seiner Furcht, Wut, Existenznot zum Ziel haben. Durch kognitive Prozesse kann beim Zuhörer sekundär eine Notfallsituation entstehen, die zu Hormonkaskaden und viszeralen Reaktionen führt, wie wenn eine Gefahr drohte. Hierbei ist wesentlich, wie groß der Phantasieraum (Erfahrung) der für möglich gehaltenen Ereignisse gestaltet ist. Mit LeDoux lässt sich vorschlagen, Emotion und Kognition als zwei Erkenntnisformen zu akzeptieren, die zwar getrennt voneinander erfolgen, jedoch durch eine Bündelung in der Amygdala interagieren.

Es liegt in der Empathiebereitschaft und neurophysiologischen Empathiefähigkeit eine Nähe zur Psychose vor, wenn virtuelles Reaktionsvermögen auf für möglich gehaltene Gefährdungen und reale Bedrohung nicht unterschieden werden können. Empathie ist folglich immer in Gefahr, parapsychotisch zu entgleiten, wenn ein Zuhörer, der nicht nur die Ohren als Sinne einsetzt, sich in einen anderen Menschen „hineinversetzt“ oder von dessen Erzählungen in emotionale Zustände unterschiedlicher Intensität und Dauer hineingezogen wird. Empathie ist folglich ein Risiko, dem zwar Risiko vermindernde Mechanismen gegenüberstehen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass solche Mechanismen überwältigt werden oder untauglich sind. Evolutionäre Entwicklungen von Empathie als Kommunikationsmedium und als Gemeinschaft hervorbringendes oder verbesserndes Verhalten sind mit dem Risiko psychotischer Episoden oder Zustände verbunden. So sind mir einige Therapeuten – und ich sollte mich nicht ausnehmen - begegnet, die dadurch, dass sie Subjekte und ihre Narrative zu Objekten machten, so eng mit den Objekten verschmelzend identifiziert waren, dass sie ihren eigenen Status als Subjekt, das zu selbst schützenden Handlungen fähig ist, verloren. Ihr Ich büßte die Funktion einer Empathieblockade ein, und ihr Ich wirkte entleert und konnte auch durch Belohnungen aus der Umwelt nicht restauriert und stabilisiert werden.

Wie viel besser hatten es jene Kollegen, die ihre Empathie scheinbar auf rhetorische Einfühlung beschränken konnten! Sie äußerten beständig eine Furcht, ihr hygienisches System, das Selbstschutz garantieren sollte, könnte zusammenbrechen. Folglich waren ihre Handlungen vordergründig darauf gerichtet, einen Kordon sanitaire um sich zu errichten: Man müsse nicht alles (intensiv) an sich heranlassen, sagten sie. Ich habe mich gefragt, welche Auswahl sie für ihre Objekte von Empathie treffen, denn ohne Selektion funktioniert Empathie nicht. Woher also stammen die Kriterien für ihre Selektion, und wie haben sie sich festgesetzt? Weder für diese Form von Empathie, die in erster Linie Selbstschutz fordert, noch für die selbstvergessene sind klinische Kategorien angemessen. In beiden Fällen erscheinen Normen untauglich.

Unter Bezug auf das Verhältnis zur fünften Instanz – den Institutionen und Entscheidungsgremien – wäre vielmehr zu fragen, welchen Standpunkt zur Macht diese beiden Handlungsweisen (der Selektion von Empathie) einnehmen. Wenn wir davon ausgehen, dass machtvolle Institutionen eine verallgemeinerbare Position verkörpern, dann wird zwangsläufig die Therapeutenbeziehung von dieser Macht über Existenz, Freiheit, Freizügigkeit und Gesundheit affiziert.

 

Wer sich Gedanken über Gegenstände und Bedeutung von Empathie/Emotionen im Allgemeinen macht, landet, so scheint es, immer bei einer wissenschaftlich genannten Selbstanalyse, bei seiner individuellen Geschichte und Entwicklung von Empathieschritten sowie deren Blockaden. Selbstanalyse mag tiefschürfend oder oberflächlich sein. Unvermeidlich ist, bei der Frage nach der Herkunft von Empathie und ihren Objekten in die eigene Vergangenheit zu blicken. Zirkulär kehrt ein jeder zu seinen Erfahrungen, die prägend und bedeutsam oder nebensächlich waren, zurück. Die subjektiven Einflüsse von individueller Empathie, mögen sie biologischer Gesetzmäßigkeit folgen oder sozial induziert oder beides sein, machen es daher schwer (unmöglich?), Empathie zu einem Forschungsgegenstand zu machen. Aus methodischen Gründen sollte man vielleicht ganz darauf verzichten und sich allein deskriptiv annähern. Selbst wer sich um Objektivität in diesem Bereich bemüht, vergleicht sich beständig. Das Objekt, das der Forscher untersucht, ist in Teilen er selbst. Subjekt und Objekt fallen zeitweise zusammen. Freud hat daraus die Konsequenz abgeleitet, der ausforschende Analytiker müsse sich bewusst als Objekt (Lehranalyse) akzeptieren, damit er von sich abstrahieren könne, wenn er Andere zu Objekten macht. Man kann täglich erleben, wie oft dies misslingt. Neurobiologische oder naturwissenschaftliche Forschung möchte sich von solchen Problemen befreien. Es ist fraglich, ob solche Vorhaben nicht mit dem Verlust von „common sense“ und individueller Erfahrungsbewertung bezahlt werden. Jenefer Robinson fasste ihre Skepsis so zusammen: „Die tatsächliche Abfolge von kognitiven Zuständen, affektiven und kognitiven Einschätzungen, physiologischen Reaktionen, Handlungstendenzen usw. lässt sich vermutlich mit Hilfe von Introspektion oder Lehnstuhlpsychologie nicht verlässlich ermitteln“[viii] (). Da braucht es Methoden, über die wir zwar noch nicht verfügen, aber auch Frau Robinson ist von der Hoffnung getragen, dass Lehrstuhlpsychologie Lehnstuhlpsychologie einmal verdrängen kann.

 

Die Berufsarbeit mit traumatisierten Flüchtlingen (und das schließt Empathiearbeit ein) ist deshalb so verwirrend schwierig, weil sie durch die politisch begründeten Rahmenbedingungen die Zähmung „spontaner“ Aktionen des emotionalen Bewertungssystems erfordert und einen als „vernünftig“ angesehenen und von Macht durchdrungenen Regelkatalog aufstellt, mit dem Hilfeleistungen für den hilflosen oder beschädigten Anderen durch Überlegungen und Vorschriften des Macht- und Herrschaftsapparats eingeengt werden. Damit wird zugleich fremdgefordert, dass sich jeder Mensch in seinem erlebten Machtbereich und in seiner Spontanemotion einer Disziplinierung, d.h. einer Politik der Emotionen, unterwirft. Foucaults Mikrophysik der Macht[ix] charakterisiert nicht nur die Mechanismen der Disziplinierung, sondern verfolgt die Verästelungen von Macht in die ihm sehr wohl geläufige Psychologie/Psychiatrie. Das führt zu einer zentralen Frage: Dürfen der Staat und sein Machtapparat derart regulierend in unsere Physiologie und damit in unsere Ich-Identität eingreifen, so dass selbst an unseren Emotionen geschliffen und gefeilt wird und sie uns kaum gehören? Wenn ja, wäre dies absolute Entfremdung. Aber dagegen setzen wir gern die Illusion der individuellen Freiheit.



[i] Ronald de Sousa (1997) Die Rationalität des Gefühls. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

[ii] Fritz Breithaupt (2009) Kulturen der Empathie, Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 64

[iii] Emanuel Lévinas (1998) Jenseits des Sein oder anders als Sein geschieht. Freiburg/München: Alber

[iv] Judith Butler (2009) Krieg und Affekt. Zürich/Berlin: Diaphanes

[v] Niklas Luhmann (1987) Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Kapitel: Interpenetration.

[vi] Pierre Bourdieu (1997) Meditationen. Frankfurt/M.: Suhrkamp und Benjamin Moldenhauer (2010) Die Einverleibung der Gesellschaft. Köln: PapyRossa.

[vii] Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia (2008) Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. Frankfurt/M.: edition Unseld

[viii] Jenefer Robinson (2009) Emotionen: Biologische Tatsache oder soziale Konstruktion? In: Sabine Döhring (Hrg.) Philosophie der Gefühle. Frankfurt/M. :Suhrkamp. S. 326

[ix] Michel Foucault (1976) Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Berlin: Merve.