Überlegungen von Sepp Graessner

Alle Begriffe der Diagnostik von posttraumatischen Störungen und damit die entsprechende Praxis lassen sich im Einzelnen befragen und auf ihre Wertigkeit sowie ihren richtigen, richtig gemeinten oder falschen Gebrauch untersuchen. Dabei enthüllt sich eine große Portion Spekulation und „vererbter“ Bedeutungen, die sich zu Dogmen verhärten, weil die Vielzahl von Bedeutungen nicht anerkannt wird. Wir haben exemplarisch den Begriff des Flashback gewählt und stellen dazu einige Zitate in den Mittelpunkt. Sie sollen deutlich machen, dass es sich wesentlich um einen Kampf um eine Definitionshoheit in der begrifflichen Diagnostik handelt[1]. Der Kampf um Definitionshoheit ist mit hohen Gewinnen von symbolischem Kapital verbunden, nicht nur für die Forscher selbst, sondern auch für ihre Forschungseinrichtungen, Universitäten und Nation. Dadurch enthält dieser Kampf im wissenschaftlichen Feld eine politische Komponente, die „Nestbeschmutzer“ und Zweifler treffen kann.

Es handelt sich bei der Metapher „Flashback“ um einen Komplex, in dem noch wenig bekannt ist und der möglicherweise nie restlos aufgeklärt wird. Ferner operieren der Begriff und die Symptomatik mit Alltagserfahrungen, die in oft undifferenzierter Form als pathogene Fakten in die diagnostischen Kataloge von DSM und ICD aufgenommen wurden. Damit wurde der Flashback mit traumatischen Inhalten zu einem entscheidenden Kriterium (Intrusion) innerhalb der Diagnostik posttraumatischer Störungen. Zugleich transportiert der Flashback eine ideologische Aufladung, denn die Bebilderung durch Metaphern unterliegt Tagesereignissen und Zeitströmungen (Computersprache, Körperbilder, Technik). Metaphern wie Flashback sind primäres Handwerk von Experten. Sie werden nicht von betroffenen Patienten verwendet, es sei, sie hätten längeren Kontakt zu deutenden Experten. Der Gebrauch der Metapher vom Flashback borgt sich das Image und Wissen des Filmregisseurs, der in vollkommener Souveränität schon bei den ersten Bildern (Symptomen) das Ende einer Geschichte kennt.

 

 Wir zitieren:

„(..) images of traumatic reenactment remain absolutely accurate and precise, they are largely inaccessible to conscious recall and control“[2].

  

“The failure of information processing on a symbolic level, in which it is categorized and integrated with other experiences, is at the very core of the pathology of PTSD.”[3]

 „since trauma is an inescapably stressful event that overwhelms people’s coping mechanisms...“[4]

 

Ich werde auf diese Aussagen zurückkommen.

Ian Hecking bezeichnete Flashbacks als „a phenomenon at the frontier of scientific research.“[5]

Diese Auffassung hat ihre volle Berechtigung dadurch, dass ein Flashback insofern absolute Subjektivität repräsentiert, als die bildhafte Aufführung – das so genannte Wiedererleben - eines Erinnerungsbildes nur in einem Menschen und einem Gedächtnis existiert, nur von einem Menschen affektiv gefärbt wird und von keinem anderen Menschen erfassend geteilt werden kann. Insofern führen die paradox anmutenden Bemühungen, Objektivität in die Subjektivität zu bringen, zu einem Verlust, zum Verschwinden von Subjektivität. Selbst wenn man die Orte der Hervorbringung von Flashback im Gehirn lokalisieren und ihre Aktivitäten sichtbar machen kann, so ist es unmöglich, etwas über die Komposition des Bildes oder des Films und die begleitenden Affekte auszusagen. Der Flashback verhält sich wissenschaftlich wie der Schmerz, der sich in seiner Subjektivität einer Präzisierung, Beschreibung und Messbarkeit entzieht. Diese Unmöglichkeit wird zum Ansatzpunkt für forscherische Neugier, die zwar nicht den gesamten Komplex des Flashback aufklären kann, aber nun durch Segmentierung versucht, Theorien für den traumatischen Flashback und seine Einordnung in ein pathologisches Modell zu entwickeln.

Im angloamerikanischen Raum haben sich viele Forscher – in den frühen Jahren der posttraumatischen Belastungsstörung zum Teil mit missionarischem Drang – mit dem Problem der plötzlich einsetzenden, vom Bewusstsein abgetrennten Erinnerungen von traumatischen Erlebnissen befasst und Erklärungsmodelle zur Verfügung gestellt. Die heutigen Forscher haben sich dabei immer wieder auf Koryphäen der Vergangenheit bezogen: auf Janet, Freud, Kardiner. Dabei ist der pathogene Charakter vom traumatischen Flashback nie in Frage gestellt, weil der Flashback heute innerhalb der Klassifikation der posttraumatischen Symptomatik quasi das Rückgrat darstellt. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass Menschen nach traumatischen Erlebnissen solche einschießenden Erinnerungen als quälend oder lähmend berichten. Der berichtete Flashback wird zum Zeugen eines traumatischen Erlebnisses durch die Person, die das traumatische Erleben in der Vergangenheit erlitt. Zeuge und Traumaopfer fallen zusammen. Der Flashback als Gegenstand von „objektiver“ Wissenschaft muss daher, um diesem Dilemma zu entgehen, in spezifische und charakteristische Merkmale segmentiert werden. Da ist einmal (1) das Interesse an der unbewussten Hervorbringung eines Flashback. Der Zugang zum Unbewussten eines Menschen ist seit jeher ein Objekt der wissenschaftlichen Begierde. Er ist heute Domäne der Bild gebenden Verfahren und der Neurophysiologie, der Hirnforscher und Neuropsychologen geworden. Das Labor erlaubt die Abtrennung des Traumas von der betroffenen Person, indem externe Stimuli zur Reizung unbewusst generierter Bilder eingesetzt werden. Das Trauma der Unentrinnbarkeit kann an Versuchstieren und Versuchspersonen studiert werden[6].

Da ist zum anderen (2) die Frage nach der Präzision der bildhaften Aufführung in einem Flashback, die deshalb von überragender Bedeutung ist, weil sie bei der späteren Erinnerung oder Aktualisierung von frühkindlichem Missbrauch behauptet und in Gerichtsverfahren eingeführt wird. Hier liegt der wesentliche Streitpunkt von Therapeuten und einer Bewegung, wie z.B. der False Memory Syndrome Foundation[7].

Ferner erhebt sich (3) das Problem der begleitende Affekte. Führen Emotionen zu einer erlebten Szene von Lebensbedrohung oder führt die unbewusst generierte bildhafte Erinnerung zu Affekten, die eine genaue Kopie der Ursprungsszene darstellen? Oder sind beide Formen der Hervorbringung möglich? Werden mit steigender Zahl der Flashbacks die Affekte intensiver, störender, lähmender? Oder schwächen sie sich ab?[8] Solche Fragen verlagern die Antworten zwangsläufig ins neurobiologische Revier, in dem klassische Anhänger von Therapien der posttraumatischen Belastungsstörung zunehmend Asyl finden. Und es geht ferner (4) darum zu bewerten, ob die im Labor provozierten Flashbacks den natürlichen gleichzusetzen und wissenschaftlich zu ergründen sind. Fisler und van der Kolk räumen eine Unterscheidung ein, indem sie (als ethische Legitimation) behaupten, die im Labor erzeugten Flashbacks könnten das psychische Verarbeitungssystem nicht überwältigen oder überfordern (S. 12). Es ist allerdings festgelegt, dass bildhafte Flashbacks von traumatischen Erlebnissen an eine überwältigende traumatische Situation erinnern und von sonstigen „flashbulb-memories” unterschieden werden sollten.

Insgesamt stellt sich beim Blick in die Literatur der Eindruck ein, dass hier das Regime des Konjunktivs, der Möglichkeiten und Spekulationen herrscht. Man könnte respektlos auch von „may-day“ sprechen.

 

Ohne traumatischen Hintergrund (wenngleich mit traurigen Verlusten verbunden) müssen jene Flashbacks angesehen werden, die durch sensorische Stimuli an Kindheitsszenen erinnern. Von Geruch oder Geschmack angeregt tauchen frühe Bilder auf, die für Sekunden persistieren und keine Beziehung zu schrecklichen Erlebnissen aufweisen[9].

Verstöße gegen früh gelernte Normen können ferner in Form von Scham und Schuldgefühlen in blitzartigen Erinnerungen an eine Szene eines gebrochenen Versprechens, einer unterlassenen Hilfeleistung oder eines aggressiven Impulses aufscheinen. Sowohl die sehnsuchtsvollen Flashbacks als auch die unbewusst einschießenden Erinnerungsbilder von Verstößen gegen gesellschaftlich gelernte Normen (als Emanationen des Gewissens) scheinen der These von Rita Fisler und Bessel van der Kolk zu widersprechen, wonach traumatische Flashbacks einen spezifischen Speicher besitzen, aus dem sie in den Alltag einer betroffenen Person funken und sich quälend oder störend bemerkbar machen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass zwar die Art und Weise der Generierung die gleiche sei, aber aus unterschiedlichen Departments und Verknüpfungen zur Verfügung gestellt werde.

„Negative“ Flashbacks behaupten eine Sonderstellung im Gefüge des traumatischen Gedächtnisses. Hecking bezweifelt diese Annahme[10]. Flashbacks, die nach van der Kolk als Fragmente codiert werden, können als Fragmente keine Präzision beanspruchen, wenn sie in Narrativen erscheinen.

Auf eine grundsätzliche Art müssen die Beobachtung und Bestätigung van der Kolks irritieren, wonach Flashbacks auch dann andauern, wenn eine psychotherapeutische Behandlung als erfolgreich abgeschlossen gelten kann, weil der Klient eine zusammenhängende Erzählung seiner traumatischen Erlebnisse bewusst vorzutragen versteht. Ein kardinales Symptom, das wesentlich die klinische Manifestation eines traumatischen Erlebens definierte, bleibt bestehen. Hier nun verdichten sich die Zweifel, ob die Zwecke, die dem Gehirn und dem Selbst zugeschrieben werden, wenn es unabhängig vom Bewusstsein schreckliche Erlebnisse in Form von Flashbacks inszeniert, überhaupt richtig gedeutet werden können. In einem hermeneutischen Zirkelschluss besteht der Zweck der Flashbacks in der entlastenden Erklärung eines Leidens oder posttraumatischen Handelns. Die Empirie scheint dieser Interpretation Recht zu geben. Um den Zirkelschluss hat sich ein Medium verdient gemacht, das mit Bildern operiert: der Film.

 

Exkurs:

 

Flashbacks sind ein Begriff aus der Filmsprache, mit dem echte oder vermeintliche Realität der Vergangenheit in ihrer Wirkung auf die Gegenwart charakterisiert wird. Die Filmsprache benutzt dazu bildliche Szenen, die z. B. durch Farbwechsel oder wabernde Nebel angekündigt und von spezifischer Musik begleitet werden. Zuweilen werden Überblendungen benutzt, so dass die erklärende Ursprungsszene eher geahnt als gesehen wird. Schlecht eingesetzte Flashbacks benutzen in falschem Verständnis auch Sprache.

Flashbacks von traumatischen Erlebnissen haben keine Begleitmusik und zeigen keine Farbwechsel. Film und individuelle Realität sind eigentlich nicht zu verwechseln. Im Film stützt der Flashback ein kausales Bedürfnis von Regisseur und Zuschauern. Der Flashback im Film verweist auf eine bedeutsame, eine zentrale Ursache für ein Fühlen und Verhalten einer Filmfigur und kann nur deshalb vom Publikum verstanden und als überzeugend wahrgenommen werden, weil dadurch an seine Alltagserfahrungen angeknüpft wird. Der filmische Flashback behauptet, so und nur so sei es gewesen. Die dargestellte Szene, oft begleitet von dramatischer Musik, sei der alleinige (oftmals moralisch fragwürdige) Hintergrund für ein späteres Handeln oder Verharren. Sie habe mit Zwangsläufigkeit zu einem späteren Verhalten geführt, das zwar nicht verallgemeinerbar sei, aber für eine bestimmte Filmfigur spezifisch gelte. Der Regisseur allein weiß die Antwort auf das Warum eines Verhaltens. Er errät jene Bilder, die nur eine betroffene Person generieren und „sehen“ kann. Ein Regisseur setzt Flashbacks bewusst ein, bei einem Traumatisierten steigen sie unangekündigt aus dem („largely inaccessible“) Unbewussten auf. Eine traumatisierte Person generiert sie und wird zugleich durch sie gequält. Der Doppelcharakter von aktiv/passiv führt zu einer Verwandtschaft von Flashback zu Schuldempfindungen. Auch dabei kommt es zu Missempfindungen, die der Betroffene gegenüber einer Gesellschaft (Normen) selbst hervorbringt.

Individuelle Flashbacks nach überwältigenden Ereignissen sind nicht in Sprache gefasste Erinnerungen (wie Merk- oder Mahnsätze), sondern Szenen, die ein traumatisches Erlebnis in unwillkürlichen Wiederholungen in Bildern aufführen und dabei zu Emotionen, vor allem Angst und Panik, führen, sowie ein Verhalten hervorrufen wie in der ursprünglich erlebten traumatischen Szene. Der um die Erkenntnisse der Psychoanalyse bereicherte Film stützt sich bestätigend und in gewisser Weise zirkulär auf die Sehgewohnheiten und die Ängste der Zuschauer und Bewertungen der Psychoanalyse. Meisterschaft erlangte Alfred Hitchcock, der in „Ich kämpfe um Dich“ einen Flashback mit dissoziierten Anteilen vorführt, die erst von der Analytikerin in ihrer symbolisierten Bedeutung aufgeklärt werden. In „Für ein paar Dollar mehr“ erklärt Sergio Leone bildliche Erinnerungen von Mord und Vergewaltigung durch den Klang einer Spieluhr.

Der psychoanalytisch orientierte Film unterstreicht somit die Faktizität des Flashback hinsichtlich des Zwecks, der Ursache und der Symptome bildenden Folgephänomene.

 

Zurück zu den Überlegungen.

Wenn wir subjektive Erfahrungen von traumatisierten Personen, die Flashbacks berichten, zusammenfassen, können wir folgende Merkmale beschreiben:

-          Es wird behauptet, dass der Flashback einer traumatischen Situation zu Begleitemotionen wie Angst, Panik oder Erstarrung führe, zu kurzzeitiger Lähmung führe und dadurch Handlungsfähigkeit einschränke. Die Betroffenen sagen, sie hätten durch die Bilder oder Szenen dieselben Begleitreaktionen wie in der traumatischen Situation erlebt.

-          Die Bilder seien identisch mit jenen Wahrnehmungen, die Betroffene in der traumatischen Situation registriert hätten, wenngleich eingeräumt wird, dass es sich um wahrnehmbare Ausschnitte des Gesamtkontextes handelt.

-          Sie seien durch externe Stimuli ausgelöst worden, die nicht immer benannt werden könnten.

-          Die Gleichzeitigkeit der Bildinformationen ließe sich nicht im Nacheinander des Erzählaktes wiedergeben.

 

Schwierigkeiten bereitet nicht die Vorstellung, dass Erinnerungen von Lebensbedrohung zu emotionalen Reaktionen führen, die als Angst, Panik oder numbing imponieren. Schwierigkeiten löst die Vorstellung aus, dass ein Flashback unabhängig von Interessen, Motiven, Absichten und Wünschen, also frei von bewussten Anteilen, generiert werden soll, und der bewusste vorgetragene Bericht feststellt, hier handele es sich um präzise Wiederholung des traumatischen Erlebens und der peritraumatischen Reaktion. Dazu müsste eine Instanz (Hippocampus/Amygdala-Struktur) angenommen werden, die in der Lage ist, unbewusst generierte Bilder mit jenen abzugleichen, die einem dem Bewusstsein zugänglichen Gedächtnis von der traumatischen Situation zur Verfügung stehen. Anders gefragt: wie oft kann ein Flashback auftreten, bevor er Verbindung zum Bewusstsein in einem selbst bezogenen Vorgang des Gehirns herstellt und damit sprachlich die Identität und Präzision formulieren kann? Oder zieht es der Inhalt eines Flashback vor, im Warteraum des Vergessens Platz zu nehmen? Van der Kolk erklärt den Flashback zum lebenslangen Gefangenen im traumatischen Gedächtnis, weil er in einer speziellen „Einzelzelle“ verwahrt werde[11]. Wenn wir uns an die Erzählung des Mullahs (Interview IVa) erinnern, in der er negative Erlebnisse als dauerhaft präsent beschreibt, würde man Fisler und van der Kolk zustimmen.

In dem zitierten Artikel sagen Fisler und van der Kolk jedoch auch und damit mystifizieren sie den Flashback, obwohl sie vorgeben, zur Aufklärung des Phänomens beizutragen:

 

„.. initially the traumatic experiences were not condensed into a narrative. It appears that, as people become aware of more and more elements of the traumatic experience, they construct a narrative that „explains“ what happened to them. This transcription of the intrusive sensory elements of the trauma into a personal narrative does not necessarily have a one-to-one correspondence with what actually happened.“

 

Wir fühlen uns Hitchcock erinnert, der genau zeigte, eins-zu-eins, welches Bild im traumatischen Flashback (für den Zuschauer) zu Tage trat. Im Unterschied zu Filmleuten oder Schriftstellern kann der Wissenschaftler aber nicht in ein Gedächtnis hineinsehen[12], wenn er, wie van der Kolk, feststellt, die Identität von traumatischem Erleben und Flashback als Narrativ sei nicht gegeben.

Fisler und van der Kolk (letzterer hielt in einer Berliner Kirche einen Vortrag, was den Habitus einer Mission verstärkte) lassen sich von sowohl Janet als auch Piaget leiten. Von Janet entlehnen sie die Vorstellung einer Dissoziation in der traumatischen Situation, von Piaget die Erklärung, dass, wenn Erinnerungen nicht auf einer semantisch/linguistischen Ebene integriert werden könnten, sie dazu neigen, auf primitiverem Level organisiert zu werden: als Bilder oder somatische Empfindungen. Traumatische Erlebnisse fänden keinen Zugang zum expliziten Gedächtnis. Sie seien nicht in einem Automatismus in sprachlichen Formen kodiert wie nicht-traumatische Erlebnisse. Dafür spräche, dass das Broca-Zentrum während eines Flashback nur geringe Aktivität zeige, während Sehzentren vermehrte Aktivitäten aufwiesen. Allerdings ist die Versuchsanordnung unzureichend und sicher auch ethisch fragwürdig: Wie kann man wissen, dass ein Flashback ausgelöst wurde, wenn eine z.B. Angst erregende Szene vorgeführt wird? Wenn das Sprachzentrum nicht hinreichend aktiviert wird, sind Reihen von Gründen vorstellbar.

Auch dies muss als Argument gegen die Präzision und die behauptete Identität von Flashback und traumatischer Situation gewertet werden, wenn der semantische Raum des Traumas gegen symbolische Verwandlungen in Sprache (wie wohl bei allen intensiven Gefühlen. Man erinnere sich an das zahlreich gestammelte Wort „Wahnsinn“ nach der Maueröffnung in Berlin.) abgeschirmt ist.

Mein Eindruck verstärkt sich, dass van der Kolks Diktum von der Präzision des Flashback von Überlegungen abweicht, die der französische Soziologe Maurice Halbwachs[13] zur Präzision des Traumes angestellt hatte. Halbwachs kommt zum Schluss, dass wir im Trauma keine detaillierten Gemälde unseres Wachlebens heraufrufen können und der Traum nie eine vollständige Wiedergabe von real Erlebtem sein könne. Der Mensch als Komponist seiner Träume müsse folglich, denken wir, über ein weiteres System der partiellen Erinnerung verfügen, das von dem System, das Flashbacks generiert, zu unterscheiden sei.

 

Eine wesentliche Frage ergibt sich aus der Erfahrung, dass ein Gehirn, das traumatische Erlebnisse enthält und aufbewahrt, immer wieder Szenen vor Augen führt, die den Körper quälen. Was will die Zentrale der Informationsbearbeitung, der neuronale Server uns damit sagen? Dass bestimmte Erlebnisse nicht integrierbar sind? Dass sie entsorgt werden wollen? Dass wir Bedingungen schaffen mögen, unter denen Wiederholungen traumatischer Erlebnisse ausgeschlossen sind? Welche Zwecke verfolgen solche Aktionen des Gehirns? Rente, Fürsorge, Mitgefühl oder Anzeichen erhöhter Vulnerabilität?

Im Flashback bestätigen subjektiv generierte Zeugnisse realer Vorgänge einer betroffenen Person, dass es so gewesen sei, dass diese betroffene Person bestimmte Erlebnisse tatsächlich gehabt habe. Angesichts der Schwierigkeiten, aus den Erlebnissen ein Narrativ zu formen, resultiert nicht selten eine Resignation: „Ihr könnt nicht verstehen, was ich erlebt habe“ meint vielleicht eigentlich: „Ich kann nicht detailliert beschreiben, was ich erlebt habe. Ich will es auch nicht, weil ich mein Heil im Vergessen sehe.“

Diejenigen, die sich abmühen, ihre Flashbacks in Worte zu fassen, erinnern sich zwar nach wiederholten Erzählungen an die jeweils vorangegangene. Sie erhalten eine Bedeutung jedoch als Zeugen. Wir nehmen daher auch die unvollständigen Berichte von Flashbackinhalten als Zeugnisse und archivieren sie.

 

Eine nahe liegende Beziehung zwischen Flashback und Träumen, Albträumen in ihrer visuellen Ausprägung lässt sich hier anführen, würde aber den Rahmen der beispielhaften Überlegungen zum Flashback sprengen. Wenn beide Formen bildlicher Hervorbringungen ohne Einschaltung des Bewusstseins erscheinen, so kann man folgern, dass sie einen verwandten Ursprung haben, wobei einmal die Abbildung von Realität im Mittelpunkt steht, zum anderen die symbolische Umwandlung auffällt. Der Albtraum ist allerdings auch zur Abbildung von Realität, die mit Angst und Schrecken verbunden wird, fähig. Ist also der Albtraum in diesen Fällen lediglich der autogenerierte traumatische Flashback der Schlafperiode, oft zusammen mit weiteren Bearbeitungen und Symbolisierungsversuchen? Die körperlichen Reaktionen, vom Blutdruck, Herzfrequenz, Schweißproduktion bis zu ausgeschütteten Hormonkaskaden, sind sehr ähnlich. Der Bericht von Betroffenen zeigt in vielen Fällen eine dauerhafte Wiederholung derselben traumatischen Sequenzen. Die Beziehung von Flashback und Albtraum liegt noch im Dunkeln.

 

Der Flashback als individuelle, subjektive Emanation kann in Gegensatz, in Streit zu einer kollektiven Wahrnehmung von überwältigenden Ereignissen treten, ohne dass sich exakte messbare Wechselwirkungen ergeben. So kann das Verdrängen und Vergessen in gesellschaftlichen und traumatisch betroffenen Kollektiven rascher und nachhaltiger verlaufen als in Individuen, denen dadurch ihre Zeugnis und ihr Leiden an der Zeugenrolle abgesprochen oder gemindert werden. Es besteht daher ein Spannungsverhältnis zwischen individuellen Flashbacks als Spiegelungen realer Gewalt und dem historischen und Sinn stiftenden Erinnerungsvermögen von Kollektiven an katastrophische Situationen. Hierin muss zumindest ein Faktor für die Ausbildung neurotischer oder depressiver Reaktionen gesehen werden, weil ein angemessener Umgang mit der erhöhten Vulnerabilität von Traumaopfern unter der gesellschaftlichen Verdrängungs- und Vergessensstrategie unterbleibt[14]. Die Wahrnehmung von Flashbacks mit traumatischen Inhalten wird dadurch in vielen Fällen mit neuen Kränkungen aufgeladen.

Wir wollen weiterhin auf ein Paradox hinweisen: Flashbacks von Verfolgung und Gewalterlebnissen rechnen zum Kreis intrusiver Symptome. In der Eigenschaft als wiederkehrende Bilder, die erneut in Angst besetzte Situationen zurückführen, scheinen sie einem anderen Kardinalsymptom, der Vermeidung, zu widersprechen. Das körpereigene Reaktionssystem ist außer Stande, innerhalb seiner Wirkprinzipien die Wiederholung von quälenden Empfindungen zu vermeiden. Vielmehr leite die Beziehung Flashback als Intrusion zu Vermeidung von Triggerreizen in einen Teufelskreis, wie Maercker (2009, S. 159) ausführt. Dies führt uns zu der Frage, wie viel Bewusstsein ist bei der Vermeidung von Reizen, die an Details der traumatischen Situation erinnern, anzunehmen, um den Kriterien des DSM zu genügen? Wenn der Flashback als Hirnaktivität Vermeidung durch Reinszenierung  aushebelt, was genau ist es, was unter Vermeidung (avoidance) zu fassen ist? Benötigt die Vermeidung von Stimuli des Traumas einen bewussten Akt oder liegen hier Handlungen vor, die sich dem Bewusstsein und bewusstem Handeln entziehen? Oder Mischformen? Der Patient möchte vergessen, er will nicht mehr an die Ereignisse denken oder von ihnen heimgesucht werden. Ein solcher Wunsch oder Selbstbefehl muss erfolglos bleiben, wenn Bilder der traumatischen Situation auf den Patienten einstürmen. Der Reflex zur Verdrängung quälender Erinnerungen kann nicht ein bewusster Akt sein, er vollzieht sich aus Selbstschutz in unbewusster Weise. Das Ergebnis ist ein individuell sehr unterschiedlicher Prozess. Lebensfremd erscheint Maerckers „Teufelskreis,“ weil darin letztlich nahe gelegt wird, dass der Traumatisierte alle jene Umgebungsreize vermeiden könnte, die an das traumatische Ereignis erinnern. Aus dieser Unentrinnbarkeit erklärten sich die weiteren, eher sozialen Symptome des Rückzugs und der reduzierten Aktivität bis hin zur Depression. Ferner erheben sich Fragen nach einem Wiederholungszwang, wenn Traumatisierte, statt Triggerreize zu vermeiden, gerade solche Situationen begünstigen, in denen ihnen Flashbacks drohen (Berufssöldner, Feuerwehrmänner, Extremsport usw.).

Wir vermuten, dass van der Kolk dieses Dilemma gesehen hat und daher einen speziellen Speicher für traumatische Details, den wir mit einer unzulänglichen Metapher „Warteraum“ genannt haben, postuliert hat.

Bei einer Betrachtung des Zustandekommens von Retraumatisierung sind wir zuerst auf das Phänomen des Flashback verwiesen. Kein anderes physiologisches Reaktionsereignis befördert Retraumatisierung wie der Flashback, weil der Flashback direkt zum Ereignis und zu seinen Begleitaffekten lenkt. Dabei wird gefordert, dass es sensomotorischer Stimuli bedarf (z.B. Sehen, Hören, Riechen), um einen Flashback traumatischer Erlebnisse hervorzurufen. Diese können gemäß der Definition durch externe Reize angeregt werden. Sie können jedoch auch durch komplexe Konstellationen im Individuum generiert werden. Wenn wir externe Reize als Auslöser für Flashbacks annehmen, dann können letztlich alle kommunikativen und Umgebungsreize zur Retraumatisierung über Flashbacks führen. Solche Reize machen damit Retraumatisierung unvermeidbar. Zugleich wird die Verantwortung einer posttraumatischen Gesellschaft erkennbar.

Wir haben uns daran gewöhnt, konstellative Faktoren, die mit Macht assoziiert sind (Befehle, Drohungen, Double-binds usw.), allein für Retraumatisierung verantwortlich zu machen, wenn wir Warnungen an Mitarbeiter in richtenden Institutionen aussprechen. Dabei könnte es sich um eine Art Projektion handeln, weil in erster Linie Therapeuten an Reinszenierungen traumatischer Situationen interessiert und in vollem Bewusstsein beteiligt sind. Diese Projektion führt dazu, dass Machtäußerungen in Institutionen als retraumatisierend beschuldigt werden, nicht jedoch die offenen oder verborgenen eigenen Machtspiele von Therapeuten.

Hier werden nur wenige Überlegungen zum gegenwärtigen Wissen um und Gebrauch von Flashbacks ausgebreitet. Sie zeigen jedoch, wie undurchsichtig das Hantieren mit dieser Metapher ist. Inwieweit Dissoziationen von traumatischen Erlebnissen im Flashback auftauchen oder der Flashback lediglich ein Bild ohne dissoziierte Anteile aufscheinen lässt, ob sich Dissoziationen allein auf die affektiven Begleitempfindungen beziehen oder auch das virtuell optische, d.h. wahrnehmbare Bild von der Lebensbedrohung an einigen Stellen einschwärzen wie eine Zensur, ist Gegenstand von Spekulationen. In vielen Kulturen begnügt man sich mit der Feststellung des „inneren Auges,“ das sich einer eindeutigen Beschreibung widersetzt, zugleich aber Handlungen bestimmt.

Der auffallend häufige Gebrauch der Metapher „Flashback“ mit ihren Verbindungen zu Hirnphysiologie und Neuropsychologie wurde zum Eintrittsbillett in die Traumaindustrie. Für einen Export nach Kurdistan scheint die Metapher nicht geeignet. Sie müsste eine kulturell akzeptable Übersetzung finden.

 



[1] Dafür spricht die Evidenzbewertung E-III, die Meinungen von Experten mit klinischer Erfahrung oder von Expertengremien in den Rang von vorläufiger „Wahrheit“ rückt. Ein sinnfälliges Beispiel ist die Zurechtweisung von Elizabeth Loftus durch den Direktor des Harvard Trauma Center, B. van der Kolk, weil sie gesagt hatte, verdrängte Erinnerungen könnten nicht nach Jahre an der Türe klingeln, das Gehirn einer traumatisierten Person könne ein prägnantes Ereignis nicht erst verdrängen und später exakt reproduzieren. Traumatisches Gedächtnis sei nicht Gedächtnis von Schulbuchwissen, isolierten Fakten oder propositionalem Wissen, wurde sie belehrt. Vielmehr drücke es sich traumatisches Gedächtnis nicht in Sätzen aus, sondern in Szenen, die dem Opfer eines Traumas als Ganzes erscheinen; ferner in Gefühlen und inneren Bildern, den Flashbacks. (vgl. Ian Hecking: Multiple Persönlichkeit, S. 167)

 

[2] Cathy Caruth, Hrg. (1995) Trauma. Explorations in Memory, Baltimore, London, S. 151

Rita Fisler & Bessel van der Kolk (1995) Dissociation and the Fragmentary Nature of Traumatic Memories – Overview and Exploratory Study. http:// gladstone.uoregon.edu/ -dvb/vanderk2.htm, abgerufen am 20.2.1997 12:18:05.S. 11.

[4] Rita Fisler & Bessel van der Kolk ebda. S. 1

[5] Ian Hecking (1996) Memory Sciences, Memory Politics. In Paul Antze, Michael Lamber (Hrg.) Past Tense. Cultural Essays in Trauma and Memory. New York, London Routledge, S. 68.

[6] Unentrinnbar ist allein der Tod, weshalb die Begegnung mit der Möglichkeit oder Bedrohung des Todes, des eigenen oder des fremden, in das Zentrum der A-Kriterien der Klassifikation von posttraumatischen Belastungsstörungen gerückt wurde. Die Realisierung einer Todesdrohung im Leben führt die Unentrinnbarkeit vor Augen und bewirkt die tief greifende Erschütterung des Selbst, das sich, in unterschiedlichen Kulturen auf unterschiedliche Weise, auf Leben eingerichtet hat. Das Selbst ist außer Stande, seine Negation zu prozessieren. Salopp gesagt, stürzt bei dieser Konstellation die Festplatte ab. Die Vorstellung, den eigenen Tod unter erzwungenen Umständen zu akzeptieren, ist in der Tat absurd, weil ein auf Leben orientiertes Selbst in einen unauflösbaren Konflikt mit sich selbst geraten muss. Selbstverwirklichung und Realisierung der menschlichen Endlichkeit passen nicht zusammen. „Realitätssinn“ blendet somit einen entscheidenden Teil von Realität aus.

[7] vgl. Ian Hecking (1996) Multiple Persönlichkeit, München Hanser. Ferner Stoffels

[8] Die Crux mit den Metaphern: In deutschen Übersetzungen von Flashback ist von Nachhallerinnerungen die Rede. Dieser Begriff enthält Tröstliches. Echos können nur das zu Gehör bringen (akustische Metapher für den optischen Flashback), was tatsächlich erklungen ist, und Echos werden leiser und verlieren allmählich ihre Energie.

[9] Musterbeispiel sind die berühmten Madeleines des Marcel Proust.

[10] vgl. Ian Hecking (1996) Multiple Persönlichkeit, S. 151-169: Die Wahrheit in der Erinnerung.

[11] „The persistence of intrusive sensations related to the trauma after the construction of a narrative contradicts the notion that learning to put the traumatic experience into words will reliably help abolish the occurrence of flashbacks.“ (Fisler, van der Kolk, S. 11) Dies ist eine entmutigende Feststellung für Therapeuten.

[12] Diese Form der „Impotenz“ gegenüber den Möglichkeiten von Schriftstellern hat Richard Rorty in „Kontingenz, Ironie und Solidarität“ glänzend beschrieben.

[13] Maurice Halbwachs (1990) Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Darin das 1. Kapitel: Der Trauma und die Erinnerungsbilder, S. 25-72.

[14] Man muss hier an die Techniken der deutschen Gesellschaft nach dem II. Weltkrieg erinnern, vor allem an das Revival traumatischer Erinnerungen. 60 Jahre nach dem Krieg bemühen sich die Opfer von Vertreibung und Vergewaltigung und deren Nachkommen, einzelne Erinnerungen wieder im kollektiven Gedächtnis zu verankern, weil das kollektive Gedächtnis so lange im kollektiven Numbing verharrte.