Sepp Graessner, MD

Ein Artikel in "Der Spiegel" hat auch deutschen Lesern die neueren Erkenntnisse über eine erfolgreiche Pharmakotherapie bei oder besser: vor PTBS erschlossen. Propanolol, ein Betablocker, soll nach den zitierten Studien, die wesentlich von Pitman und Marmar in den USA und Vaiva in Frankreich durchgeführt wurden, die Symptomatik nach extremem Trauma so sehr dämpfen, dass ein chronisches PTBS verhindert werde, zumindest die Wirkung der Symptome auf den Alltag gemildert würden.

Was ist der physiologische Mechanismus, der derzeitige Kenntnisstand? Welche Voraussetzungen binden sich an eine Therapie mit Propanolol? Können die Ergebnisse der vorliegenden Studien auf Folter Überlebende übertragen werden? Werden Psychologen und Psychotherapeuten ihre Kompetenz in der Behandlung von PTBS einbüßen?

In den USA, in Kanada und Frankreich werden zur Zeit mehrere randomisierte Studien durchgeführt oder sind mit kleinen Zahlen an Probanden bereits abgeschlossen, die Propanolol als wirksam bei posttraumatischer Symptomatik ausweisen, wenn das Präparat kurze Zeit (1-20 Stunden) nach dem Traumaerlebnis für rund eine Woche (9 Tage; Dosis 120-160 mg) verabreicht wird.

In jüngster Zeit wird auch über Studien berichtet, die Propanolol bei manifester, seit Jahren bestehender posttraumatischer Symptomatik einsetzen und von Erfolgen berichten, wenn traumatisierte Personen ihre traumatischen Erlebnisse durch Erzählen aktualisieren und anschließend Betablocker einnehmen. Die Überprüfung des Wirkerfolgs fände Wochen später statt. Den Probanden wird ihre aufgezeichnete Darstellung vorgespielt und dabei beobachtet, ob sie z.B. weniger heftig reagieren.(SZ von 29./30.8.2009: „Reset-Taste für das Gehirn“ von Christian Weber)

 

Es macht Sinn, nach dem Zeitgeist zu fragen, der hinter diesen Forschungen stehen mag, denn die Hektik und der Lärm, die diese Ergebnisse der Forschungen begleiten, werden nur verständlich, wenn sie in ein Muster von politischen und ökonomischen Bedürfnissen und Strategien eingeordnet werden können.

So kam die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung wieder in die Welt, als heimgekehrte Vietnam-Veteranen in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts über anhaltende Beschwerden klagten, die sie auf Kriegserlebnisse zurückführten. Von da ab entwickelte diese Diagnose eine krakenhafte Existenz, die sich auf viele emotional belastenden Situationen des Lebens ausweitete. Traumaidentifikation und Traumatherapie hatten Hochkonjunktur. Sie haben es noch.

Der 11. September 2001 hat bei direkt Betroffenen Ängste hinterlassen und weltweit bei indirekt über Bilder Betroffenen eine existenzielle Unsicherheit ausgelöst, die in Verbindung mit ökonomischen Sorgen und der Aufkündigung der sozialen Sicherungssysteme ein Klima produziert hat, in dem individuelle psychische Probleme gedeihen können. Dieses Klima und die reaktiven Kriege nahmen von den Menschen das Gefühl des bislang sicheren Lebens, nachdem der kalte Krieg mit atomarer Bedrohung beendet war. Ehrenberg sieht im erschöpften Selbst die Ursache für die kontinuierliche Ausweitung der Diagnose: Depression.

Unter den Gesichtspunkten von Effizienz und Effektivität waren folglich Methoden zu evaluieren, die eine rasche Linderung der seelischen Folgezustände erlaubten. Terroranschläge, Amokläufe, technische Katastrophen und Kriege forderten implizit von den Heilberufen eine wirksame und rasche Reaktion. Sicherheit ist Illusion, dauerhafte Gesundheit ist Illusion, Linderung ist von Psychotherapeuten wegen Personal- und Zeitaufwandes nur begrenzt zu erwarten - da kommt die Pille ins Spiel, die schon einmal als „Pille danach“, in anderer chemischer Zusammensetzung, eine „Revolution“ des Verhaltens, des Sexualverhaltens, ausgelöst hatte. Zwar ging in diesem Falle eine Gegenrevolution von einem Virus aus, aber das psychologische Muster einer befreienden Wirkung durch einen pharmakologischen Eingriff blieb erhalten. Diese compliance hatte, möglicherweise ausgelöst durch die Wirkung der Kontrazeptiva, eine überschwemmende Wirkung beim ADHS entfaltet: Zahlreiche Kinder mit umschriebenen Auffälligkeiten und folglich klinischen Diagnosen konsumieren heute Ritalin wie das tägliche Brot. Bevor die Ursachen für das auffällige Verhalten erforscht sind und bevor die langfristigen potenziellen Risiken für die Gehirnentwicklung abgeschätzt werden können, hat der Markt die Macht übernommen. Genau in dieser globalen Atmosphäre erreichen uns jetzt die Forschungsergebnisse, die Propanolol eine heilsame Wirkung bei PTBS zuschreiben.

Es wäre verkürzt zu sagen, die Forschungen mit Propanolol stammten aus Aufträgen des Militärs, obschon etliche Forscher mit Mitteln der Militärs ausgestattet sind und ihre beruflichen Erfahrungen mit Veteranen von Kriegen gemacht haben, folglich über ein Netzwerk in den militärischen Komplex hinein verfügen. Es geht auch um Zivilisten, die durch traumatische Ereignisse ihre Effizienz für die Gesellschaften einbüßen und Kosten für die nationalen Gesundheitssysteme und Versicherungsgruppierungen verursachen. Es geht also nicht nur darum, die Pille für die akute combat stress reaction zu finden, die es erlaubt, eine komplexe Reaktion (mit Schuld, Scham, Angst, Enthemmung, Lähmung, Aggression, Trauer usw.) zu besänftigen, gar zu unterdrücken, sondern es geht wesentlich darum, dass Menschen insgesamt mit dieser Vielzahl an Reaktionen auf heftig einschlagende Ereignisse, mit ihrer physiologischen Reaktion auf Traumata nicht erwünscht erscheinen. Statt der Anerkennung seiner Verletzlichkeit soll der Mensch sich pharmakologisch gegen diese Einsicht panzern. Nach der Zerstörung der familiären Sicherheitssysteme durch enthemmte soziale Atomisierung und Individualisierung der Gesellschaften des globalen Kapitals stellt der Staat fest, dass er den Schutz und die Geborgenheit seiner vorgeblichen Keimzellen nicht länger übernehmen kann. Dies sei nur noch möglich, wenn die Menschen die Komplexität (und Unberechenbarkeit) ihrer Reaktionen auf Lebensbelastungen reduzierten. Dafür bräuchten wir chemische Eingriffe in die menschliche Physiologie und damit Psychologie.

Unsichere Prognosen hinsichtlich der Reaktionsbreite auf traumatische Erfahrungen beginnen als jene fundamentalistischen Widerstände gewertet zu werden, die "bekämpft" werden müssen, obschon sie oder weil sie die Komplexität von Reaktionen auf existenzielle Unsicherheit verkörpern. Die Illusion von Sicherheit darf nicht in Zweifel gezogen werden.

Die Behandlungen mit Propanolol, die heute in randomisierten Studien als Durchbruch zu einer medikamentösen Therapie gefeiert werden, sind so neu nicht. Bereits 1984 haben Kolb et al. über positive Einflüsse von Betablockern berichtet. Es hat folglich 20 Jahre gedauert, bis in evaluierter Form die ersten Behandlungen mit Betablockern wieder aufgegriffen wurden. Dafür kann es sehr wohl spezielle Interessen geben, die aus dem Zeitgeist erwachsen. Der Zeitgeist hat Angst, und er kann Angst als dauerhaften Begleiter nicht ertragen. Es drängt ihn, die Angst abzutreiben. Sie schadet der Achse der Börsen. Shareholders´ fear ist Gift für ökonomische Expansion im Sinne der Globalisation.

Der Spiegel-Artikel weist nun auf eine Innovation im Forschungsprozess hin: mit einem verbesserten Verständnis des Prozesses des Vergessens sind Cannabinoide ins Zentrum des Interesses geraten. Jeder Hanf-User kennt den Effekt, dass am nächsten Morgen die Erinnerung an den Abend zuvor schwach bis lückenhaft ist. Ein Cannabinoid-Verwandter, D-Cycloserin, ein Tuberkulosemittel, soll jetzt in Versuchen (nach Tierversuchen) das Vergessen traumatischer Eindrücke belegen und damit gezielte Löschungen von Gedächtnisspuren begünstigen. Die Forscher sagen, was man nicht vergessen will, geht auch nicht verloren. Die Persönlichkeit werde folglich nur an negativen Spuren ärmer, wenn das Bewusstsein dies zulasse. Diese Argumentation ist dumm, weil gerade die Wirkung von Vergessen unterstützenden Botenstoffen eben nicht dem Bewusstsein unterliegt, sondern eine individuell unterschiedliche autonome Reaktion und damit abhängig von dem jeweiligen individuellen Erregungsniveau ist.

 

I.

 

Was also ist der bislang erforschte Mechanismus der Traumareaktion beim Menschen, in den Propanolol "segensreich" eingreifen soll?

Wenn ein Mensch (Säugetier) in eine stressige oder (lebens) bedrohliche Situation gerät, mobilisiert er, induziert durch Reize, die den Mandelkern erreichen, in seinen Nebennieren die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin (epinephrine), damit er erfolgreich sein reaktives Verhalten anfeuern kann: fight, flee oder freeze. Im zentralen Nervensystem hat ein durchschnittlicher Mensch Rezeptoren, die Impulse als chemische Reaktionen von den Botenstoffen Adrenalin und Noradrenalin empfangen und in elektrische Signale umformen. Im Mandelkern, der für die bedrohliche Ereignisse begleitenden emotionalen Qualitäten verantwortlich ist und der die Konditionierung von Angst vermittelt, gibt es zahlreiche Rezeptoren für diese Übertragungsstoffe. Zugleich auch im mitbeteiligten locus coeruleus, indem ferner die Endorphine gebildet und sezerniert werden. Die Ansprechbarkeit der Rezeptoren kann man blockieren, durch so genannte Betablocker (Betaadrenalinrezeptoren-blocker). Der Mandelkern scheint zudem zentrale Verantwortung für die Gedächtnisengrammierung und das Reaktivieren von gespeicherten Spuren bzw. Begleitaffekten zu haben. Mitbeteiligt ist hierbei notwendigerweise ein neuronales und hormonelles System von Hypothalamus-Hypophyse und Nebennieren. Letzeres System stellt den reaktiven Kreislauf bei Angst und Panik dar.

Die neuere Hirnforschung zeigt, dass nun durch Adrenalin (Noradrenalin) nicht nur vegetative Reaktionen (Schwitzen, Herzrasen, Gefäßverengung = Blässe, Zentralisation des Blutes usw. bewirkt werden, sondern auch der Vorgang der Speicherung und Abruf traumatischer Eindrücke durch (Wieder-) Aktivierung bestimmter neuronaler Bahnen begünstigt wird, so dass fortgesetzte Aktivierung neuronaler Strukturen für das Wiedererleben der traumatischen Situation im Sinne einer Konditionierung verantwortlich ist. Aktuelle Sinneseindrücke oder Emotionen können dann über die Aktivierung von Bahnen, die vom/zum Mandelkern führen, einen so genannten Flashback induzieren. Bei dieser Konditionierung im Sinne einer Autogeneration ist Adrenalin beteiligt, so dass die Blockade von Adrenalin zu einer Minderung der Aktivierung der neuronalen Bahnen führt. Man kann folglich schließen: Je intensiver die Freisetzung von Adrenalin erfolgt, desto länger und dauerhafter wird eine Gedächtnisspur konditioniert. Das sind die vorläufigen Arbeitshypothesen, die freilich nicht erklären können, warum nur rund 25% der Traumaopfer eine posttraumatische Belastungsstörung ausbilden, also "erfolgreich" konditioniert werden. Die Risikofaktoren, die trotz einer Adrenalinwirkung peritraumatisch für die Symptombildung prädeterminieren, sind damit nicht angesprochen. Sie können im biologischen Verständnis in dem erniedrigten Spiegel von GABA (s. AnhangI) liegen, dessen Serumspiegel und Vorkommen im Gehirn genetisch determiniert sei. GABA regelt u.a. die Dauer der Adrenalinbefeuerung. Damit befinden wir uns im Bereich einer selbstregulativen Zwangsläufigkeit, auf die unsere Kognition und unser Bewusstsein nur beschränkt Einfluss nehmen können.

Von klinischer Seite betrachtet bedeutet dies, dass durch die Blockade von spezifischen Rezeptoren die Ausbildung eines akuten Stresssyndroms gedämpft wird und damit das Risiko einer lang dauernden chronischen PTBS gemindert wird, oder die ausgebildeten Symptome keine krankheitswertige Schwelle überschreiten, also subjektiv nicht als gravierend oder sozial einschränkend wahrgenommen werden.

 

II.

 

Die Behandlung mit dem relativ billigen Mittel Propanolol erfordert in den Studien eine Reihe von Vorgegebenheiten und Ausschlusskriterien, die eine breite Anwendbarkeit ausschließen. Sie gehen durchweg von der Vorstellung aus, dass ein Traumatisierter vor seinem erlebten Trauma gesund gewesen sein soll, dass er keine psychischen Erkrankungen hatte und körperlich so normal und ohne vorausgehende Medikation, dass etwaige Nebenwirkungen von Betablockern eindeutig auf die Einnahme von Propanolol zurückgeführt werden können. Die Listen der potenziellen Nebenwirkungen von 3X40 mg Propanolol sind beträchtlich lang und enthalten Risiken für das Herz-Kreislaufsystem, das Bronchialsystem, für Libido und Stimmungslage.

Es wird in den bereits durchgeführten Studien stets darauf verwiesen, dass nur Personen in die Studie aufgenommen wurden, die auch 20 Minuten nach der waagerechten Lagerung eine Herzfrequenz von mehr als 80 Schläge pro Minute aufwiesen. Dabei muss es sich folglich um Menschen mit erheblicher Dauer- und Traumafolgeangst handeln, denn eine solche Frequenz haben wir bei unseren Patienten (nach Folter, Flucht, Entfremdung und Kulturschock) nur bei Fieberzuständen feststellen können oder beim ersten Kontakt in einer ihnen unbekannten Situation (hier aber nicht über längere Zeiträume). Es handelte sich bei den Probanden der publizierten Studien um Menschen, die noch unmittelbar unter dem Eindruck eines lebensbedrohlichen Autounfalls oder Angriffs mit Gewaltanwendung oder -androhung standen. Sie waren folglich in der Phase, in der ein akutes reaktives Syndrom ausgebildet werden kann. Dabei wird wohl nicht die Ausbildung eines Vollbildes geprüft, sondern lediglich das Vorliegen von  A-Kriterien des DSM-IV, also eines Erlebnisses von existenzieller Bedrohung, vorausgesetzt. Die gesteigerte Pulsfrequenz wird bei ihnen in einen direkten Zusammenhang mit der Ausschüttung von Adrenalin gebracht. Die gesteigerte Pulsfrequenz ist folglich das Äquivalent zur Adrenalinproduktion.

 

Wesentliche weitere Ein- und Ausschlusskriterien nennt der Aufruf  des National Institute of Mental Health für die Studie: "Propanolol for the Treatment of Acute Stress Disorder": Die Kandidaten müssen psychisch gesund gewesen sein und nach einem Trauma die Diagnose ASD erhalten haben. Sie sollen ihr traumatisches Erlebnis innerhalb von 1 bis 3 Wochen vor Aufnahme in die Studie gehabt haben. Routineblut(urin)untersuchungen sollen Normwerte erbracht haben. EKG soll unauffällig sein. Nach dem Unfall keine chirurgische Intervention. Probanden sind auszuschließen, wenn sie bereits vor dem jüngsten Trauma eine zu DSM-IV A1 gehörige Diagnose erhielten, psychotrope Medikamente nehmen, RR von mehr 150/100 oder weniger 100/60 aufwiesen oder Pulse von über 100/min und weniger als 60/min. Probanden der Studien sind frei von Arrhythmien oder coronarer Herzkrankheit sowie Bronchospasmen und Raynaud´scher Erkrankung. Sie sollen nicht in Rechtsstreitigkeiten verwickelt sein, solange sie Teil der Studie sind. Selbstmordtendenz ist Ausschlusskriterium. Sie sind ferner frei von größeren körperlichen Erkrankungen und Substanzabhängigkeit und sollen hinreichend intelligent sein, den Versuchsverlauf zu begreifen.

Zahlreiche dieser Kriterien, ob Ein- oder Ausschluss sind bei Folter überlebenden Flüchtlingen nicht gegeben. Das bedeutet zunächst nur, sie könnten an den Versuchsreihen nicht teilnehmen. Es bedeutet aber auch, dass sie, unabhängig von der Zeit seit dem Trauma, nach den Ergebnissen der bisherigen Versuchsreihen für eine medikamentöse Therapie nicht in Betracht kommen, weil bei ihnen sich bereits eine manifeste PTBS ausgebildet hat, wenn sie Behandlungskontakt aufnehmen.

Diese Klienten sind nach neueren Studien nicht ausgeschlossen, wenn sie ihre traumatischen Erlebnisse aktualisieren.

Nicht übertragbar auf Folter überlebende Flüchtlinge sind die Ergebnisse der Propanolol-Studien, wenn man berücksichtigt, dass im Feld der politisch/ethnischen Verfolgung und Folter stets von kumulativen Traumata (Razzien, Anblick von toten und verstümmelten Dorfbewohnern, wiederholte Kurzfestnahmen mit Drohungen, usw.) ausgegangen werden muss, die ein Ausschlusskriterium für die Studien, aber nicht zwangsläufig für medikamentöse Behandlungen, darstellen. Zahlreiche Traumata im Kindesalter fallen gleichfalls aus der Behandlung und Bewertung, da für sie die Medikation nicht Betracht kommt oder weil Kinder gehindert sind, in der Zeit des offenen Fensters (nach Pitman 6 Stunden) eine Medikation zu erhalten. Das könnte gedeutet werden als ein Versuch, Verkehrsunfallopfer oder Beteiligte an lebensgefährlichen Einsätzen als Adressaten für eine Propanolol-Behandlung zu akzeptieren, zugleich jene auszuschließen, deren Trauma bereits manifest geworden ist. Bei den Studienteilnehmern handelt es sich zudem offenbar um solche Menschen, die mittelgradige Verletzungen aufweisen oder die sich durch verifizierbare Schreck- und Panikreaktionen auszeichnen.

Die zukünftigen Versuchsreihen bemühen sich, durch Dosiserhöhung auch jene Phasen zu behandeln, die lange nach dem traumatischen Ereignis bereits zum Vollbild der PTBS geführt haben. Das sind Dosen von mehr als 160mg Propanolol. Als Arbeitsansatz wird dabei die Übererregung angesehen, deren Dämpfung in jedem Falle als zweckmäßig bewertet wird.

 

Das führt zur generellen Frage einer medikamentösen Therapie von PTBS und seinen Symptomkomplexen, soweit sie in der Literatur publiziert wurden. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Forschungen mit bekannten Wirkstoffgruppen zwischen 1987 und 1991 mit hektischem Nachdruck erfolgten, und dann trat eine Pause von rund 10 Jahren ein, möglicherweise, weil die Ergebnisse nicht so ermutigend waren oder nur Teilsymptomatiken gelindert wurden, nicht aber das komplexe Bild der PTBS, das - dies muss berücksichtigt werden - nach der Ausbildung des Vollbildes in den meisten Fällen von rechtlichen Verfahren wegen Anerkennung, Schadensersatz oder Wiedergutmachung gekennzeichnet ist. Hier wäre der Einfluss eines gesellschaftlichen feedbacks im Sinne eines "neurotischen Begehrens" zu erörtern.

 

Zwangsläufig registrieren wir nach dem 11.9.2001 und den daraufhin entfesselten Kriegen dann wieder ein vermehrtes Engagement bei der Erforschung von Pharmakotherapien bei posttraumatischen Symptomen. Joseph Stieglitz und Linda Bilmes haben nachgerechnet: Die Kosten für die Gesundheits-, die Invalidenversorgung und die Erwerbsunfähigkeitsrenten für Veteranen des Afghanistan- und Irakeinsatzes betragen im günstigsten Szenario 422 Milliarden Dollar, in einem realistischen Szenario 717 Milliarden Dollar. Davon entfällt ein nicht unbeträchtlicher Teil auf Beschädigte mit posttraumatischen Leiden (S. 102). Da machen Kosten für neue Forschungsvorhaben mit Medikamenten, die lindern oder gar Vergessen bewirken, nur einen Bruchteil aus.

Heute hat sich das Hauptinteresse auf wenige Wirkstoffgruppen konzentriert, so dass Monoaminooxidasehemmer und Antikonvulsiva der Carbamazepingruppe vernachlässigt werden können, trotz ihrer statistischen Wirkung auf Teilaspekte des Symptomenkomplexes.

 

Übrigens: Es zeigte sich in Studien, dass posttraumatisches psychologisches Debriefing, lege artis eingesetzt, keine dämpfende Wirkung auf die Ausbildung einer Belastungsstörung hatte, ja, es gibt Indizien aus den Untersuchungen, dass Debriefte eher schlechtere Prognosen haben. Wer kann das erklären? Wer hat soviel....Zeit, Geduld, Verständnis, Respekt, Schutzhaltung?

An diesbezüglichen Untersuchungen kann man zeigen, dass, physiologisch betrachtet, das "entlastende" Gespräch die Daueraktivierung von Adrenalin nicht hemmt, vielleicht sogar verstärkt, weil die kommunikativen Sinngebungsversuche eine fortgesetzte Beschäftigung mit dem traumatischen Ereignis initiieren. Man könnte auch sagen, dass Debriefing nicht den entspannenden, gesicherten Schutzrahmen bietet, damit die Adrenalinbefeuerung gedämpft wird. Es könnte aber auch bedeuten, dass bewusstseinsgesteuerte Erkenntnisprozesse unter Adrenalinbefeuerung gehemmt sind, was wohl schon belegt ist (s. Herta Flor). Das Bewusstsein hat seine Zweitrangigkeit anzuerkennen, wenn vegetative Regelkreise in Gang kommen.

 

III.

 

In einer früheren, unveröffentlichten statistischen Auswertung meiner Patienten habe ich gezeigt, dass Folterüberlebende, die als Flüchtlinge nach Berlin kommen, im Mittel 24 Monate nach ihrer jüngsten Traumaerfahrung in Behandlung gehen. Das erklärt sich aus den Problemen für politisch Verfolgte, ihre Flucht oder Ausreise zu organisieren. Obschon sie sich oft um eine frühere Behandlung bemühen, machen Kapazitätsgründe, Warteliste und Unkenntnis über therapeutische Möglichkeiten auf Seiten der Flüchtlinge eine frühere Feststellung ihrer Symptomatik unmöglich. Selbst wenn wir einige Menschen mit lange zurückliegender Traumatisierung aus der Statistik nehmen, bleiben immer noch 20 Monate von der letzten identifizierbaren Traumatisierung und dem Beginn einer Diagnostik (mit westlichem Symptomverständnis). Hierbei sind risikobehaftete  Umstände und möglicherweise Stress verursachende Rahmenbedingungen einer Flucht oder eines risikoreichen Transports unberücksichtigt, obwohl vorstellbar ist, dass diese Ereignisse traumatischen Charakter haben können.

Propanolol soll nach dem Verständnis der Autoren der Studien so bald wie möglich nach dem traumatischen Ereignis eingesetzt werden, also Stunden nach dem Ereignis, damit das wiederholte Aktivieren der Erinnerungsspuren durch interne oder externe Stimuli  unterbleiben oder wirkungslos bleiben kann und sich somit eine Chronifizierung von einschießenden Spontanerinnerungen als Grund einer persistierenden Übererregung und Konditionierung vermeiden lässt. Wenn also eine Foltererfahrung eine Symptomatik produziert, die über ein akutes Stresssyndrom hinausreicht, somit als chronischer Stress  qualifiziert werden kann, dann wird folglich die Gabe von Propanolol wirkungslos bleiben, weil sich die selbstgenerierende Aktivierung von Angst erzeugenden Erinnerungen nicht mehr hemmen lässt. Somit muss für Flüchtlinge, denen eine PTBS diagnostiziert wurde, ein anderes als ein medikamentöses Behandlungsmuster offeriert werden, oder sie fallen ganz aus dem Interesse der Forscher, was sich aus einigen Indizien durchaus ableiten lässt. Eine Frühbehandlung für Folterüberlebende als Flüchtlinge ist daher ausgeschlossen, weil kaum anzunehmen ist, dass die Verhörer und Folterer (gewalttätige Erwachsene gegenüber Kindern) Betablocker verabreichen, um psychische Spätfolgen zu lindern. Es ist ja gerade ein Kennzeichen der praktizierten Folter, dass sie auf die Ausbreitung der Wirkung psychischer Spätschäden auf die soziale Umgebung spekuliert, wie sich an der jetzt bekannt gewordenen Folter mit entwürdigenden und sexualisierten Praktiken in Irak plastisch erweist.

Die im Titel angesprochene Frage, ob Pharmakologen Psychotherapeuten in der Traumabehandlung ersetzen, erscheint damit beantwortet, wenn man sie auf Flüchtlinge und Folterüberlebende bezieht, weil während der Periode der Übererregung - Stunden, Tage, Wochen - die adrenerge Stimulation neuronaler Strukturen irreversibel wird (?), somit Konditionierung eintritt. Hier wäre also wesentlich zu beurteilen, inwieweit die sozialen Dispositionen (von Ressourcen und Abwehr) unter der Konditionierung leiden. Nicht alle Folterüberlebenden sind in der gleichen Weise geschädigt.

Entscheidend für diesen Vorgang dürfte sein, ob es zu einer peri- oder posttraumatischen Entspannung kommen kann. Die Bedingungen unter der Folter (mit ihren konsekutiven Scham- und Schuldgefühlen und der fortdauernden Unsicherheit, ob sich die Quälereien wiederholen) stellen diese Klientel außerhalb der möglicherweise lindernden Propanolol- Behandlung. Diese Menschen werden weiterhin auf Erfahrungen angewiesen bleiben, die ihnen Hoffnung und zeitlich begrenzte Sicherheit versprechen, weil eine "Gegenkonditionierung" nur aus der andauernden Erfahrung von sozialer Sicherheit erwachsen kann.

Pharmakologen mögen hilfreich bei Unfall- und Gewaltopfern, bei von Natur- oder technischen Katastrophen Betroffenen sein, sie können es nach ihrem physiologischen Vorverständnis jedoch nicht bei Folterüberlebenden, die oftmals erst nach längerer Haftperiode in professionelle Hände gelangen.

Bei Flüchtlingen und Folterüberlebenden stellt sich gleichwohl die Frage, auch ohne Hintergedanken an Effizienz und Effektivität, wie viel Sicherheit sie benötigen und wann ein Prozess der Gegenkonditionierung abgeschlossen ist. Wenn man sich in Überlegungen verstrickt, die Konditionierungen zum Gegenstand haben, kann man schlechterdings nicht mehr von Autonomie als therapeutischem Ziel sprechen. Autonomie ist ein so hohler Begriff wie Unabhängigkeit.

Die immer wieder in den Vordergrund gerückte Tendenz von Traumatisierten, zu erregungsdämpfenden und betäubenden Mitteln zu greifen, wird mit einer kurzfristigen Einnahme von Propanolol nicht begünstigt, wenn aber subjektiv ein positiver Effekt registrierbar war, ist die Gefahr der dauerhaften Bindung an die Einnahme oder Dosiserhöhung bei persitierenden Symptomen vergrößert. Damit erhöht sich zugleich das Risiko von unerwünschten Nebenwirkungen.

Aus den genannten Gründen kommen wir daher zum Schluss, dass ein Höchstmaß an Misstrauen gegenüber der Pharmakoeuphorie angezeigt ist. Dieses bezieht sich auch auf die Kreise der potenziell Betroffenen. Wenn ganze Gesellschaften ihr angstgetriggertes Erregungsniveau steigern, also in die Nähe von klinischen Störungen geraten, dann kann die Gefahr wirtschaftsrelevanter Ausfälle an Leistungskraft und -bereitschaft nicht ausgeschlossen werden und dann wird die Beeinflussung von bewussten Zweifeln, widerständigem Handeln, interesselosem Mitschwimmen, Dienst nach Vorschrift oder gar der Vernachlässigung von Überlebensstrategien in den Vordergrund rücken. Nur dafür wird die Pille benötigt, weil sie effizient sein soll und alle von Mitmenschlichkeit gekennzeichneten kommunikativen Bewältigungsstrategien von Leid und Elend auslöschen soll. Vielleicht ein wenig paranoid, solche Gedanken; sie liegen jedoch innerhalb der Logik kapitalistischer Herrschaftsphantasien. Der Nutzen der pharmakologischen Forschung bezieht sich auf die Interessen der Industrie. Wenn auch von anderen Herrschaftsinstanzen ein Nutzen erkannt wird, lassen sich Bedarfsanalysen anstellen. Das Militär, das zunehmend sich auf ein umschriebenes Berufsheer stützt, kann Ausfälle nicht leicht kompensieren, zumal die Ausbildung des einzelnen Kriegers immer teurer wird. Da erscheint es nahe liegend, die Ausfälle durch psychische Überforderungen zu minimieren. Das muss schnell und effizient geschehen: also die Pille danach. The pill after the kill. Das kann auch noch als Fürsorge ausgegeben werden. Das ist die Logik der Risiko-Folgen-Abschätzung unter Kostengesichtspunkten, ein Prinzip, das in der Ökonomie angewandt wird.

Die mit der Zuwendung zur Pharmakotherapie verbundenen Misstrauensbekundungen gegenüber einer verbalen Psychotherapie haben ja auch eine Wurzel, die im heutigen Menschenbild der Psychotherapie zum Ausdruck kommt: Emanzipation, Skepsis, Selbstbestimmung oder gar Autonomie.

Wie man es auch wendet, das Militär hat das größte Interesse an der Pharmakotherapie von seelischen Erschütterungen. Da die Erschütterungen aber Teil einer normalen physiologischen Reaktion sind, kann es sich nur um die Beseitigung des Normalen handeln.

Fragen: soll man alle akut Traumatisierten mit Propanolol behandeln, obschon nur 14% von ihnen eine chronische PTBS ausbilden? Wird nicht eine normierte Reaktion auf Traumata vorausgesetzt, die eine individuelle Ausgestaltung der Reaktionen auf Traumata negiert?

 

Anhang I:

 

Gammaaminobuttersäure, kurz GABA, wird im Bereich der biologischen Psychiatrie immer mehr zu einem Prädiktor für die Voraussage, welche Menschen nach einem traumatischen Einschlag an PTBS erkranken. Die Forschungsgruppe um Guillaume Vaiva in Frankreich hat eine Studie vorgestellt, nach deren Ergebnissen verminderte Plasmaspiegel an GABA das Risiko erhöhen, posttraumatisch an einer dauerhaften Belastungsstörung zu erkranken. GABA reguliert die Intensität und Dauer der zentralen hyperadrenergen Reaktion während hoher Stressbelastungen. GABA ist damit "negativ assoziiert" mit Angst, Depression und Schlafstörungen. Wenn man davon ausginge, so Vaiva et al., dass der Plasmaspiegel von GABA genetisch prädeterminiert sei, so könne man folgern, dass erniedrigte Spiegel vulnerabel für PTBS machen oder PTBS-Erkrankte einen verminderten Spiegel aufweisen.

Interessant fand ich den Verweis auf A. Adler, der 1943 beobachtet hatte, dass Traumabetroffene im Falle einer vom Trauma ausgelösten Ohnmacht eine geringe Tendenz zur Ausbildung von PTBS zeigen. Offenbar erscheinen im bewusstlosen Zustand die Dauerbefeuerungen mit Adrenalin nicht die Wirkungen zu entfalten wie im bewussten Zustand oder sie entfallen ganz. Hier wären Beobachtungen heranzuziehen, mit denen sich manche Trauma-Opfer (Frauen) in einen bewusstseinsgetrübten oder bewusstlosen Zustand entziehen, wenn sie mit dem Auslösertrauma assoziativ oder passiv erneut konfrontiert werden. Aber auch der Verlauf von PTBS - nach meiner Auffassung eine Angststörung und sonst nichts - bei Folterüberlebenden, die eine oder wiederholte Bewusstlosigkeiten erlebten, ist darauf zu überprüfen, ob sich bei ihnen andere Ausformungen der Symptomatik als solche des Katalogs zeigen. Auch hinsichtlich ihrer Aussagefähigkeit ergäben sich forensische Konsequenzen.

Interessant an der genannten Studie ist ferner folgendes:

 

Von 108 Teilnehmern (74/34) erfüllten bei Aufnahme in die Notfallambulanz 72 die Kriterien A1 und A 2 des DSM-IV (66%), 36 (35%) erhielten die Diagnose Acute Stress Disorder und 6 Wochen nach dem Beginn der Studie zeigten 57  das Vollbild einer PTBS. Das würde bedeuten - bei korrekter Diagnostik - dass Kranke mit PTSD nicht durch das Stadium eines akuten Stress Syndroms laufen müssen, bevor sie PTBS ausbilden. Dies würde natürlich der physiologischen Erklärung widersprechen. Da kann man schon nachdenklich werden. Ich hätte vermutet, dass die Zahl mit ASD höher liegt als die mit PTBS, weil einige der akut Erkrankten spontan konsolidieren. Es könnte aber auch heißen, dass einige PTBS-Diagnostizierte post trauma zeitweise symptomstumm sind, bevor sie das Vollbild der PTBS ausbilden bzw. formulieren können. Das wären dann die Menschen, die Fischer und Riedesser unter dem Begriff: verzögertes PTBS fassen. Ob das so sein kann?

Da es sich um Opfer von Unfällen mit motor vehicles handelte, darf man unterstellen, dass 6 Wochen nach dem Unfall die Fragebögen in einem eher versicherungsrechtlich relevanten oder Entschädigung erwartenden Sinne beantwortet wurden, folglich ein Einfluss eines sekundären Begehrens sich entwickelt hatte oder die soziale Umwelt erst im nachhinein die existenziell bedrohliche Unfallsituation in ihrer Bedeutung vermittelte. "Du hättest sterben können..."

An Roger Pitmans et al. Studie, randomisiert mit Placebo-Vergleichsgruppe, zeigte sich, dass die Senkung der Herzfrequenz bei den Placebo-Einnehmern einen Monat nach Studienbeginn etwas größer war als bei den Propanolol- Probanden. Pitman folgerte daraus die Notwendigkeit einer höheren initialen Propanolol-Dosis. Warum das?

 

Anhang II:

 

Die Studie von Vaiva et al. zur Gabe und Wirkung von Propanolol lässt eine Reihe von Fragen aufkommen. In der Studie ist lediglich von einer kleinen Zahl an Probanden die Rede. Jene aber, die Propanolol erhielten, seien 2-20 Stunden nach ihrer Einlieferung in eine Notfallambulanz in die experimentelle Reihe aufgenommen worden. Es ist nicht zu erkennen, ob die erste Drogengabe bereits 2 Stunden nach stationärer Aufnahme (genauer: nach traumatischem Ereignis) erfolgte oder ob 2 Stunden nach ihrer Aufnahme in die Ambulanz die Einwilligung ins Programm erfolgte. Man erhält den Eindruck, dass einzelne Probanden bereits 2 Stunden nach ihrer Einlieferung mit einer Propanolol- Behandlung begonnen haben. In der Zeit zuvor hätten folglich 20 min für die Ruhiglagerung für die Bestimmung einer Tachykardie berechnet werden müssen. Es hätten die Fragebögen zur Ermittlung von Kriterien nach DSM IV vorgelegt und beantwortet sein müssen. Es hätte das Prozedere erklärt werden müssen, damit eine ethisch geforderte Einwilligung erfolgt. Es hätten ferner die Ausschlusskriterien (frühere PTBS-Erkrankung, psychiatrische Erkrankungen, Suizidtendenz, Herzkrankheit, Asthma usw.) gesichert werden müssen. Die körperliche Gesundheit hätte überprüft werden müssen (Oder ist sie nur abgefragt worden?). Außerdem hätte die Notfallsituation zu einer Klärung und Behandlung führen müssen, also zumindest Kurzanamnese. Vom Transport oder der Gehstrecke wollen wir gar nicht reden. Und das alles in 2 Stunden? Da erheben sich doch Zweifel. Es ist daher zu vermuten, dass allein das Kriterium der beschleunigten Herzfrequenz - als Ausdruck einer Katecholaminwirkung - gemessen wurde. Die Herzfrequenz wurde dann mit einem Ereignis verbunden, nach dem PTBS sich entwickeln kann. Das und die Sicherung von Ausschlusskriterien ist folglich das Profil eines Probanden.

Dass Propanolol zur Dämpfung einer Tachykardie erfolgreich eingesetzt werden kann, ist seit über 40 Jahren bekannt.

Das Neue nun soll jedoch die Hemmung von Symptombildungen im Sinne von PTBS sein. Da Betablocker den Angriff von Adrenalin auf die entsprechenden Rezeptoren im ZNS, hier vor allem in den Mandelkern und den locus coeruleus (neben dem angstkonditionierenden Kreislauf von Hypothalamus-Hypophyse und Nebenniere; Propanolol passiert die Blut-Hirn-Schranke leicht) blockieren, sollen auch die adrenalinvermittelten Erinnerungsspuren, der gesamte Speicher- und Abrufvorgang, also die adrenergen Aktivierungen von neuronalen Bahnen in dem Sinne beeinflusst werden, dass Daueraktivierung dieser neuronalen Bahnen unterbleibt oder gemildert ist. Denn: Die Daueraktivierung und Übererregung sind der physiologische Ausdruck einer sich potenziell entwickelnden PTBS. Ohne temporäre Übererregbarkeit keine PTBS. Das ist die Quintessenz dessen, was van der Kolk 1998 in Berlin berichtete. Dem kann man erfahrungsgemäß zustimmen. Er hatte bereits damals gefordert, die Übererregung als erstes medikamentös zu dämpfen, um Spätfolgen zu lindern oder zu vermeiden.

Es erheben sich weiterhin Zweifel, weil die Feststellung der Traumaintensität durch subjektive Angaben unter Belastung erhoben wird. Der Trauma-Score stellt eine Orientierung, nicht jedoch eine objektive Maßeinheit dar. Vaiva et al. hatten in ihrer nichtrandomisierten Studie, die die randomisierten Untersuchungen von Pitman stützte, lediglich 11 Patienten mit Propanolol behandelt und 8 Unbehandelte herangezogen. 3 der 8 Unbehandelten bildeten PTBS aus, während 1 Person der 11 Behandelten zwei Monate später PTBS diagnostiziert bekam. Wenn man zugrundelegt, dass, statistisch betrachtet, lediglich 15-25% von Traumabetroffenen eine PTBS ausbilden, sind die Ergebnisse nicht so ermutigend, wie die Autoren uns glauben machen wollen. Hier wird aus der Hüfte geschossen - und das hat neben physiologischem Erkenntnisdrang mit dem Zeitgeist, den Kosten der Gesundheitswesen, dem hegemonialen Anspruch von biologischer Psychiatrie und persönlicher Profilierung der Forscherteams zu tun. Das hat auch damit zu tun, dass kurzzeitige Interventionsmethoden (z.B. Debriefing) sich als unbrauchbar erwiesen haben, während der Zeitgeist von Effizienz und Effektivität ein rasches Vorgehen wünscht. Die Durchdringung von ökonomischen Kategorien in alle Lebens- und Arbeitsbereiche - man kann auch von Zersetzung sprechen - macht es den langfristig angelegten psychotherapeutischen Methoden immer schwerer, sich zu behaupten.

 

Daraus ergibt sich, spielerisch gesprochen, dass Kultur als  die Beherrschung der Übererregung, als die Eindämmung physiologischer Effekte auf reale äußere Reize aufgefasst werden kann. Das ist der Sinn von Freuds Libido(verzicht): Die elastische Konditionierung der Libido erzeugt Kultur. Wer diese Effekte nicht kontrollieren kann, wird dennoch schuldig der Folgen sein. Das gesamte Strafrecht beruht auf einer vorausgesetzten Kontrolle von Übererregungsimpulsen. Es räumt zuweilen deshalb mildernde Umstände ein. Traumatheoretisch sind große Teile des Strafrechts nicht zu halten, weil es eine erzieherisch induzierte Kontrolle (= Konditionierung) über einen vom Bewusstsein nicht oder wenig erfassten physiologischen Bereich menschlicher Reaktionen erfordert. Ein freier Wille kann in diesem Feld der Konditionierungen nicht vorkommen. Provokant gesprochen: Folterer ist man nicht, als Folterer wird man konditioniert. Damit ist das jeweilige sozial-kommunikative (Macht)System für diese Konditionierung verantwortlich, mithin wir alle, der Daschner in uns.

Die Folgen von traumatischen Erlebnissen sind komplexer, als es sich monokausal operierende Forscher ausdenken. Die Folgen einer selektiven Dämpfung oder gar Ausschaltung von traumatischen (hochemotional eingefärbten) Erinnerungen - wie sie jetzt auch im Film "Vergiss mein nicht" thematisiert werden - sind nicht abzusehen. Die Pille zum gezielten Vergessen, auch wenn sie scheinbar zum Nutzen von Traumatisierten und Phobikern verwandt werden soll, ist ethisch unhaltbar, weil die Missbrauchsmöglichkeiten riesig sind. Schützende Konditionierungen könnten ausgeschaltet werden, konditionierte Angst soll nicht mehr zur Persönlichkeit gehören und Ursachen für überschwemmende Angst müssten nicht mehr beseitigt werden. Schöne neue Welt!!

 

 

Eine generalisierte Kritik an den in Schwung kommenden Pharmakotherapieversuchen kann nicht die Verlockungen verhehlen, die in ihr liegen. Wenn es z.B. gelänge, die Zahl und Intensität von Flashbacks zu reduzieren, wenn es also möglich würde, die Ausgeliefertheit an das traumatische Gedächtnis, die intrusiven Symptome, zu durchbrechen, dann wäre es in der Tat verführerisch, diese Behandlung einzusetzen. Wenn durch zeitlich begrenzte Betablockergabe eine allgemeine Senkung der Erregungsschwelle bewirkt würde, die zu verringerter Aggression in den Familien, zu besserem Schlaf und zu verbesserter Impulskontrolle führte, dann verbliebe möglicherweise nur noch die durch Konditionierung induzierte Angst - und die ist möglicherweise nicht unerwünscht, weil sie durch Vermeidung, Verdrängung oder Sublimierung zu beherrschen ist und ansonsten ein normales Warnsystem darstellt. Vielleicht  verbliebe dann aber auch eine ausgedehnte Depression, wenn es dem einzelnen nicht gelingt, die Angst zu beherrschen.

 

 

Wenn man nach den perspektivischen Ausmaßen der Forschung fragt, dann fallen einem Sicherheit, Effizienz, Vorbereitung auf soziale und Naturkatastrophen ein. Hier haben wir es mit einer Goldgräberstimmung zu tun. Und zwangsläufig geht meine Assoziationskette zu einem koreanischen Forscher, der seine angeblichen Stammzellforschungen komplett gefälscht hatte, den der Wunsch nach Ruhm zum Betrug führte und der seinen eher jugendlichen Größenphantasien erlegen war. Auch hier beobachten wir das Gesetz des unkontrollierten Wettbewerbs. Nur der Erste erntet die Anerkennung.

So erscheint es auch im Feld der Entwicklung von Medikamenten, die langfristige Therapien von posttraumatischen Störungen, die betroffene Menschen aus ihren Bahnen werfen können, rasant zu verkürzen in der Lage sind und damit eine industriell modulierte Behandlung an die Stelle von eher traditionellen kommunikativen Ritualen setzen. Die Verluste durch funktionalen Ausfall menschlicher Leistungsfähigkeit werden als so gravierend berechnet, dass sich die Entwicklung von Drogen zu lohnen scheint. Soldaten sollen nicht unter den Folgen ihres Tuns leiden, Opfer von Katastrophen sollen sich schneller und wirksamer in den Wiederaufbau integrieren können, sie sollen ihr soziales Umfeld nicht mehr mit ihren Leiden behelligen. Drogen sollen verhindern, dass sich die Selbstwahrnehmung von Krankheit und von Grenzen der Belastbarkeit nicht weiter ausdehnen. Die Tempi erhöhen sich in allen Bereichen. Überforderungen und Zusammenbrüche werden zunehmen. Da kommt die Pille, die uns dies wahrzunehmen hindert, gerade recht.

Am Ende sind traumatisierte Flüchtlinge nur noch Instrumente für Aneignungen, die von einer rechtsarmen Klientel gewonnen wurden.

Die Nähe zur Pharmaindustrie, z.B. bei der beabsichtigten Gründung eines Europäischen Instituts für Psychotraumatologie, kann nicht ohne Folgen bleiben. So lesen sich die Verweise im Prospekt des geplanten Instituts, die pharmakologische Forschungen von Pitman und Vaiva preisen und psychoneurobiologische Vernetzungen fordern, wie eine artige Verbeugung vor den potenziellen Geldgebern aus der Pharmaindustrie. Verbeugen ist eine schreckliche Haltung, jedoch wird in einer solchen Haltung auch der Ritterschlag entgegengenommen!

Ich bleibe dabei: die medikamentöse Therapie von traumatischen Erlebnissen zerstört kulturelle Errungenschaften, die in Geschichte, Erinnerung, Identität liegen.