Von Sepp Graessner 

Das griechische Wort für Verletzung, Narbe wurde vor über 120 Jahren in Europa von körperlichen Verletzungen auf psychische Verwundungen und Narben der Seele übertragen. Eine Übertragung von physischen Verletzungen auf psychische Vorgänge ist nur dann möglich, wenn man das seit der Antike gebrauchte Wort Trauma aufspaltet in ein körperliches und ein psychisches, (obschon beide Traumata einen Körper benötigen, um sich zu materialisieren, d.h. von außen beobachtbar, angeblich messbar oder beurteilbar zu sein). An der Entwicklung des Begriffs vom Trauma lässt sich der über Jahrhunderte anerkannte Dualismus von Körper und Psyche aufzeigen, die nun allmählich als gleichwertig und gleich bedeutend anerkannt werden. Das moderne Psychotrauma erfasst als Sinnverwirrung oder als Sinnentleerung auch den Geist in einem europäischen Sinne, wenn Gewalt als politisch, willkürlich oder geheimnisvoll erfahren wird.

Im Allgemeinen steht hinter solchen Transformationen oder Bedeutungserweiterungen eine Geschichte, eine Erzählung von archaischer Dimension, denn jeder Diskurs und jeder neue Begriff im Feld der menschlichen Kommunikation und ihres schädigenden Einflusses bezieht sich auf eine Meistererzählung (oder sucht sie sich), die ein erwünschtes, allzu oft  nur scheinbares Kontinuum herstellt.

Die Lektüre des Buches Hiob muss verblüffen: Es scheint wegen seiner poetischen Sprache nicht recht hineinzugehören in das Alte Testament. Es handelt sich wohl eher um eine alte, damals gut bekannte Erzählung eines Dichters, der sprachliche Bilder und Metaphern beherrschte. Daher wurde das Buch Hiob in der heutigen Fassung um 500-400 v. Chr. unter die Lehrbücher aufgenommen[1]. Die Volkserzählung, die einen märchenhaften Charakter („Es war ein Mann aus dem Lande Uz, der hieß Hiob.“) im ersten Kapitel und später im letzten Kapitel aufweist, wurde Teil einer (damals eher unbeliebten) Priestererzählung. Neue Akzente der Hiob-Erzählung gehen auf Absichten und Verständnis der Kirchen des Mittelalters und der Neuzeit zurück.

 

Hiob in Kurdistan

Neben anderen, vom westlichen Verständnis unterschiedliche Denktraditionen finden sich in Kurdistan zusätzlich andere  narrative Traditionen als Praxis, die sich in der regionalen, mündlichen Überlieferung erhalten hat. Die begriffliche Form außergewöhnlicher und quälender Erlebnisse ist folglich nicht hinreichend mit dem Begriff Trauma zu umschreiben. „Xurpe“ kann man in Kurdistan als Äquivalent zu Trauma auffassen. Eigentlich bedeutet Xurpe den Schlag des Herzens, das Herzklopfen. Der Herzschlag ist abhängig von vegetativen Einflüssen, die als Folge von unterschiedlichen Affekten auftreten. Daher umfasst das kurdische Wort jedoch viel mehr als die Europa verstandene Verletzung von Körper und/oder Psyche: Es versammelt Affekte von Trauer, Schmerz, Mitgefühl, Verwandlung in der Erinnerung.

Die Erzähltradition des Orients, auch im Bereich religiös oder moralisch ornamentierter Geschichten (d.h. fast aller), kennt nicht die Verdichtung von Erzählungen zu Syndromen oder Krankheitsnamen, wie sie im Westen im Zusammenhang mit seelischen Zuständen gebräuchlich war und ist. Eine mit ambivalenten Gefühlen beladene Bestattung eines Bruders, die vom Herrscher oder vom herrschenden Regime verboten wird (solche Fälle hat es in allen Teilen Kurdistans gegeben!), hat narrative Dimensionen von Moral und inneren Konflikten. Sie kann im Orient nicht auf ein Antigone-Syndrom verkürzt werden, wenn eine Person, zerrissen zwischen den Pflichten aus der Tradition und Kultur und einem vom Machthaber gestützten Beerdigungsverbot, sich entscheiden soll. Nebenbei bemerkt: die genannte Konstellation, in der sich die überlieferte, in Tragik gestürzte Antigone befand, war in Kurdistan wiederholt anzutreffen. Im Allgemeinen übernahm das Kollektiv (des Stammes, des Dorfes) die Entscheidung zugunsten einer Beerdigung, die sich nicht um Verbote scherte. Daher wohnte solchen kollektiven Handlungen ein Widerstandsmoment inne, und daher ist ein Trauma durch tyrannische Willkür und Gewalt im Orient eine Erzählung von unterschiedlicher Länge und Intensität, niemals aber in seinen Folgen durch PTSD verkürzend zu erfassen. Solche syndromalen Verkürzungen sind in Kurdistan absolut unüblich. Weder von betroffenen Personen noch von der menschlichen Umwelt werden sie verwandt. Eine solche Verkürzung würde weder der traditionellen Erzähllust noch der eingeübten Erzählkultur entsprechen.

Im Koran wird Hiob (als Ijob, Ayyub) genannt. Er wird für das Unheil, das über ihn gekommen ist, von Allah rehabilitiert und erhält seine Kinderzahl, d.h. sein Sozialprestige, in einem Happy-end zurück (Sure 21, 83/84). Seine Leidensgeschichte und sein Protest werden nicht erwähnt. Sie werden als bekannte Erzählung vorausgesetzt. (In erläuternden, mündlichen Erzählungen werden die Leiden des Hiob im Familienkreis detailliert beschrieben.)

In seinem Buch „Der Schrecken Gottes“ hat Navid Kermani in einfühlsamer Weise die mühevollen, quälenden persönlichen Erfahrungen und die Gottessuche nebst Zweifeln  des persischen Dichters Faridoddin Attar (12. Jahrhundert) mit der Rebellion Hiobs gegen Gott verglichen. Dabei hat er neben anderen Erkenntnissen auch zentrale Fragen des traumatisierten Menschen zur Sprache gebracht: Warum ich? Was bleibt von mir nach schrecklichen Verlusten und Leiden? Was soll ich noch mit meinem Leben anfangen? Wie kann ich vergessen? Kermani macht deutlich, dass die aufklärerische Seite der Hiob-Erzählung (die sie Jahrhunderte vor Christus besaß) eine Entsprechung im persischen Islam hatte. Aufklärung sei das Ergebnis von Frömmigkeit und einer Gedankentiefe, die nach Antworten außerhalb der routinierten Lehre sucht. Dabei beschränkt sich die altpersische Aufklärung nicht auf die Entfesselung des Verstandes.

                                                                                              *

 

Das Lehrbuch des Alten Testaments von der Figur Hiob ist solch eine Meistererzählung. Sein Zorn, seine Klage und die Antwort des aus dem Wetter sprechenden Gottes der Juden wurden, so vermuten wir, ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa säkularisiert. Daran war nicht zuletzt das neu entstandene Wissenschaftsverständnis einer post-aufklärerischen Ära, der Szientismus und die Empirie beteiligt. Dabei konnte auch ein weltlicher Humanismus in Europa seine Wurzeln im christlich-jüdischen Glauben nicht vollständig beseitigen. Taylor sieht eine fortbestehende wechselseitige Abhängigkeit zwischen Humanismus und religiösen Wurzeln in Europa und Nordamerika.[2] Taylor beschreibt u.a. den Kampf gegen Sklaverei als ursprünglich aus religiösen Motiven entstanden. Das 19. Jahrhundert hat sich wiederholt als Jahrhundert des Mitgefühls gefeiert. (Nach der formalen Abschaffung der Folter werden in diesem Jahrhundert erstaunlich wenige Folterhandlungen oder –exzesse überliefert.)

Die moderne Literatur hat sich im 20. Jahrhundert vermehrt der Figur Hiob zugewandt, z.B. Joseph Roth, Alfred Döblin, Ernst Bloch, C.G. Jung und andere mehr. Durch Verwandlung und Umgestaltung wurde die Geschichte von Hiob aus dem christlich-jüdischen Glauben in eine Leidminderung versprechende, sich humanistisch verstehende Haltung gezogen. Der Mensch übernahm Funktionen, die zuvor Attribute Gottes gewesen waren. Allerdings erfährt die Hiob-Erzählung in der Neuzeit eine Rezeption unter dem Hauptakzent des Duldens und der Geduld. Die Rebellion gegen Gottes (Jahwes) Gerechtigkeit, die noch in der Volkserzählung Bedeutung hatte, wurde schon in frühen Zeiten herausinterpretiert. Das Selbstbeherrschungsdogma des Protestantismus tat ein Übriges: Affekte wie spontane Wut, Gerechtigkeitsempfinden, Rebellion gar, wurden vom stillen Erdulden überzogen und verdrängt. Dadurch erhielt Angst eine beherrschende Wirkung. Sie war nicht nur Folge existenzieller Bedrohung von außen, sondern zugleich Folge des konventionellen Verbots von Wut- und Rachegefühlen als innerer reaktiver Instanz.

Plötzlich, so lässt sich also vermuten,  fand sich also in Europa die Geschichte von Hiob als Aspekt des Psychotraumas in psychologischen und psychiatrischen Lehrbüchern wieder. Dort teilt das traumatische Erlebnis das Schicksal Hiobs in allen, auch seinen Freunden unverständlichen und metaphysischen Dimensionen. Verständlich ist jedoch dem Leser, was Hiob verborgen bleibt: Die Ursache des Leids liegt in einer Wette zwischen Gott und Satan; Satan ist damit nicht der alleinige Verursacher des Todes der Kinder Hiobs und seiner Frau sowie der Hautkrankheit Hiobs. Subjektives Trauma und das Unbewusste werden nun zu Triebkräften von menschlichen Handlungen und geraten unter die Aufsicht von Experten. Der von Theologie befreite Atheist vergeude nicht mehr seine Schätze an Gott, sondern stelle sich mit Hilfe der Wissenschaften heroisch der Wahrheit der Realität[3]. Die Verwandlung von Hiobs Erlebnissen und Verlusten zum weit verbreiteten klinischen Trauma (seit den 1940er Jahren) hat einerseits Hiob zu einem gegenwärtigen Menschen gemacht, andererseits sind im Zuge der Säkularisierung die alte Geschichte mit Gottesgespräch, die Herausforderung durch den Satan und  eine charakteristische rebellische, zornige Klage über Ungerechtigkeiten entfernt oder verwandelt worden. (Gott liebt die Übeltäter wie die Frommen und Gottesfürchtigen. Wozu braucht es dann noch eine Moral, wenn präfinale Reue ausreicht, um ins Himmelsreich zu gelangen?) Elementares Empfinden von Ungerechtigkeit mit ihren charakteristischen Affekten war nicht schicklich, wozu die Selbstbeherrschungsdisziplin Psychiatrie einen wesentlichen Beitrag leistete.

An die Stelle der Prüfung der Treue zu Gott tritt heute die Prüfung durch den Psychiater, der die traumatischen Verluste Hiobs, sein Verhalten und seinen Schmerz in die Pathologie eingemeindet hat. Die Verwandlung von der literarischen Gestalt Hiob zum Trauma hat dem heutigen Begriff vom Trauma als Psychotrauma - wie eine Reihe von säkularisierten Begriffen und Geschichten -  nicht gut getan, denn sie hat sich, wie in der fiktiven Literatur üblich, zahlreichen Perspektiven der Interpretation geöffnet, die sich einer Eindeutigkeit, z. B. einer diagnostischen und therapeutischen oder sozialen Praxis, entziehen. Das Trauma hat sich zu einer Beliebigkeit entwickelt. Eine existenzielle Bedeutung ging dabei verloren. Zudem hat diese Verwandlung der allgemeinen Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit in der Bevölkerung das Objekt ihrer Empathie entzogen, indem sie Angst, seelische Schmerzen, Hader, Mitgefühl und Trost in eine Fachsprache eines Expertentums eingliederte und damit dem Trauma den Geschmack von Pathologie und Störendem verlieh.

Die Psychoanalyse des ausgehenden 19. Jahrhunderts[4] und die Archetypisierung der Jungschen Schule haben ja nicht nur ein historisches Kontinuum hergestellt, indem sie zu bestimmten Phänomenen des menschlichen Verhaltens aus der griechischen Antike Geschichten und Sagen entlehnten und in neue (personalisierte) Begriffe umwandelten, auch die noch älteren Geschichten des Alten Testaments wurden als Teil eines europäischen Kulturguts umgewandelt und erschienen in verkleideter Form auf dem Markt der Seelendeutung (von Kain, Moses und Abraham über Joseph, Jakob und Isaak zu Jonas und einigen Frauengestalten). Der Verweis auf alte Geschichten suggeriert eine Unwandelbarkeit menschlichen Verhaltens und menschlicher Reaktionen auf äußere Belastungen: Kränkungen, Verletzungen, Konflikte.

 

Hiob ist nach heutigem Verständnis eine traumatisierte Person, die durch den Tod ihrer Kinder und durch entstellende Hautkrankheiten gezeichnet ist. Nun wäre im 19. Jahrhundert niemand auf die Idee gekommen, Symptome des posttraumatischen Belastungssyndroms in Morbus Hiob oder Hiob-Komplex umzutaufen, obschon sich zahlreiche Analogien ergeben, die an Identität heranreichen. Der sehr weit verbreitete Antisemitismus in Europa und die Distanz der Forscher zu Religion (seit Descartes) hätten dies wohl ebenso verhindert wie eine kulturelle Korrektheit, die Geschichten der Bibel nicht zu Bestandteilen einer Pathologie machen wollte und konnte. Und die Kirchen hatten aus Hiob ausschließlich den Dulder gemacht, den Rebellen der alten Volksgeschichte gestrichen, was an dem gebräuchlichsten Zitat der Hiob-Erzählung abzulesen ist: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“.

Daher wurde das Psychotrauma als traumatische Neurose eingeführt. Dem Wissenschaftsverständnis der Zeit lag die Kosmologie der klassischen Antike der Griechen näher als das alte Testament.

 

Bei genauer Lektüre des Lehrbuchs Hiob findet man zahlreiche Symptome der so genannten posttraumatischen Belastungsstörung aus der anklagenden Selbstbeschreibung Hiobs. Zur quälenden Wirkung von Albträumen oder Flashbacks als Charakteristika erfahren wir z. B. aus Hiobs Worten:

„Wenn ich gedachte: Mein Bett soll mich trösten, mein Lager soll mir meinen Jammer erleichtern, so erschrecktest du mich mit Träumen und machtest mir Grauen durch Gesichte, dass meine Seele wünschte erstickt zu sein und meine Gebeine den Tod.“(Hiob 7, 13-15).

Eine soziale Isolation des Traumatisierten von menschlicher Umwelt  wird ebenso thematisiert wie der Wunsch, nicht mehr zu leben und den Tag der Geburt zu verfluchen.

Vor allem eins wird erkennbar aus dem Aufbegehren Hiobs: Er kann nicht verstehen. Er kann nicht erfassen, was ihn getroffen hat. Wie er sein Unglück auch betrachtet und fühlt, es verbleibt ein Loch von Unfassbarkeit. Was Hiob nicht begreifen kann, erfüllt ihn mit Zorn, den er an den Allmächtigen richtet. Die Verursacher von Mord und Totschlag an seinen Kindern werden erwähnt (Chaldäer). Hiobs Klage richtet sich nicht an sie. In der damaligen Kosmologie waren auch die Räuber und Mörder dem Willen Gottes unterworfen.

Mit den Worten Hiobs, die in einem trostlosen Streitgespräch mit Freunden (Bloch nennt sie Glaubensspießer) indirekt an seinen Gott gerichtet sind (19, 7-11, 13-14):

„Siehe, ob ich schon schreie über Frevel, so werde ich doch nicht erhört; ich rufe, und ist kein Recht da. Er hat meinen Weg verzäunt, dass ich nicht kann hinübergehen, und hat Finsternis auf meinen Steig gestellt. Er hat meine Ehre mir ausgezogen und die Krone von meinem Haupt genommen. Er hat mich zerbrochen um und um und lässt mich gehen und hat ausgerissen meine Hoffnung wie einen Baum. Sein Zorn ist über mich ergrimmt und er achtet mich für seinen Feind...Er hat meine Brüder fern von mir getan, und meine Verwandten sind mir fremd geworden. Meine Nächsten haben sich entzogen, und meine Freunde haben mein vergessen.“

In der Tat – das Buch Hiob versammelt alle Grausamkeiten, Verluste und inneren Qualen, die ein Mensch erleiden kann. Hiobs Klagen könnten mit eben diesen Worten von einem Folteropfer geäußert werden. Seine Geschichte zeigt Möglichkeiten der Überwindung von traumatischen Erlebnissen. Sie liegen für den Traumatisierten in einem Aufbegehren, das spontane Emotionen als Wut darstellt, in einer Rebellion als formales Handlungskonzept. In der menschlichen Revolte gegen seinen Gott, sagt Ernst Bloch, bezweifelt, ja verneint Hiob Gott als Gerechten. Der Weg zur Revolte führt aus dem Schmerz, der Angst und aus körperlichen Fehlfunktionen[5]. Hiobs Wegesziel im Alten Testament bleibt jedoch etwas im Dunkeln, weil die Auflösung recht unvermittelt einsetzt. In einer Welt der Vorbestimmung scheint Gott für die Miseren der Verluste und Krankheiten ebenso verantwortlich wie für eine Linderung posttraumatischer Qualen: am Ende lebt Hiob ein glückliches Leben. Den märchenhaften Ausgang der Hiob-Geschichte teilt das Alte Testament mit dem Koran.

Eine solche Auffassung ist auch bei vielen Menschen der islamischen Welt verbreitet, die eine Figur wie Hiob in einem umfangreichen, poetischen Lehrbuch nicht kennt. Allerdings werden Gläubige in der Sure „die Propheten“ ermahnt, sich an Hiob ebenso  zu orientieren wie an Propheten des Alten Testaments, deren Wirken und Reden von Allah gelenkt wurden. Gläubige entwickeln durch die Sätze des Korans Kraft und innere Stärke für die Überwindung von Schicksalsschlägen und Willkürerlebnissen. Sie können aber sehr wohl mit Gott hadern oder sich in Ohnmacht, Kraftlosigkeit und Resignation fallen lassen

Der zitierte Abschnitt aus dem 19. Kapitel des alttestamentarischen Lehrbuchs Hiob deutet in den Worten Hiobs an, dass seine menschliche Umwelt, einschließlich seiner Frau und seiner drei Freunde, zu einer psychischen Entlastung nichts beitragen. Im Gegenteil: ihre orthodox moralische oder pragmatische (Ehefrau) Position, die sie in ihren Reden einnehmen, entfremdet sie von Hiob. Sechs Tage schweigen sie nach ihrer Ankunft angesichts des Kummers Hiobs. Sie wissen nicht, was sie zu seiner Entlastung und zu seinem Trost sagen sollen. Das ist deshalb nicht schlecht, weil auch sie letztlich nicht verstehen und die Lücke der Unfassbarkeit nicht schließen können. Schweigende Präsenz ist besser als normatives Gefasel, sagte einmal ein Feuerwehrmann, der unmittelbar nach dem Schulmassaker von Erfurt eintraf. Und, wie sich erweist, die Freunde Hiobs können, als sie zu sprechen beginnen, in ihrer orthodoxen Haltung über die Wirkweisen Gottes – sie nehmen für sich Anspruch, die „Arbeitsweise“ und Forderungen  Gottes zu kennen - mit dem konkreten Menschen und Zweifler Hiob und seinem Hader nichts anfangen. Ihr moralisches Gebäude hat für Haderer keinen Platz, obwohl sie sich wortreich viel Mühe zu geben scheinen bei der Reintegration Hiobs. Es fehlt ihnen an einer emotional glaubwürdigen Anerkennung der Qualen Hiobs, die sie allein als Folge von Sünden, die Hiob in selbstgerechter Weise offenbar verdrängt, verleugnet, begreifen können.

Das führt zu der Frage, wie soll ein Mensch die zugefügten Grausamkeiten, die aus einer Wette zwischen Gott und Satan resultieren, überwinden? Gott hat direkt und leichtfertig der Schädigung eines Menschen zugestimmt und damit seine Unreife, sein nicht hinreichendes Bewusstsein unter Beweis gestellt. Gott aber kann lernen, so zeigt er später bei der etwas unvermittelten Rehabilitation Hiobs.

C.G. Jung erkennt im Handeln Hiobs und der Einsicht Gottes in seine Entwicklungsmöglichkeiten eine Haltung, die durch die Opferung seines Sohnes Jesus die menschlichen Dimensionen von Existenz und Leiden erfährt.[6] Kann also die alte Erzählung hilfreich sein bei der Überwindung und Integration multipler Traumata?

Bei Gewalt, die von willkürlich gestimmten, angemaßt allmächtigen Menschen ausgeht, suchen wir oft vergeblich die Einsicht von Verursachern traumatischer Beschwerden. Eine Rehabilitation wird dem gesellschaftlichen Umfeld des Traumatisierten überlassen, die es im Verlauf der Geschichte zunehmend an die Juristen und ihr kausales Denken delegiert. Von der menschlichen Umgebung erfahren wir aus der Hiob-Geschichte, dass sie keine hinreichende Unterstützung bietet. Folter, Demütigung und Krankheit werden heute nur noch selten und offen dem Wirken Gottes zugeschrieben. Allein Gläubige werden einen solchen Bezug herstellen. Alle übrigen sehen in ihren Verletzungen ein Zusammenspiel vieler Ursachen und geraten nicht selten in eine Unerklärbarkeit, wenn sie die Frage „Warum ich?“ stellen.

Kurt Vonnegut hat dazu in „Schlachthof Nr. 5“[7] lakonisch festgestellt: Die Frage nach dem Warum stellt sich nicht.

Die Fragen nach dem „Warum ich?“, „Warum ich nicht auch?“, „Warum ich nicht an Stelle von?“ stellen Sinnfragen, die niemand beantworten kann, denn wer eine rationale Begründung für solche Fragen nach Ursachen und Gründen erwartet, darf sie nicht an Menschen richten. Die Warum-Frage sucht nach Gründen, die Wozu-Frage nach einem Zweck für das Leiden, den es wohl nur für manifeste Sadisten gibt. Die Warum-Frage deutet ferner an, dass der Fragesteller die Realität nicht hinnehmen kann. Indem er jedoch die Realität nicht akzeptiert, kann er kaum erwarten, dass die menschliche Umwelt statt seiner die Realität anerkennt. Oder, wenn die menschliche Umwelt die Realität anerkennt, bringt sie zum Ausdruck, dass sie sich der Warum-Frage nicht stellen wird. Ich bin der Auffassung, dass in dieser zwiespältigen Unfähigkeit der Grund dafür liegt, dass einem Hiob, einer traumatisierten Person, kein hinreichender Halt in der menschlichen Umwelt zuwächst und vielleicht auch nicht zuwachsen kann, wie die Reden der drei Freunde Hiobs belegen.

Simone Weil hat einmal gesagt, das Böse habe zwei Formen: die Sünde und das Unglück. Aktiv Leid Zufügen und passives Erleiden seien zwei Phänomene, die im Bösen enthalten seien. Was das Böse sei, ist zu allen Zeiten umstritten gewesen. Die Definitionen des Bösen haben sich in der Geschichte so sehr gewandelt, dass sie in der Beurteilung der Shoa ins Unverständliche, ins Unerklärliche fielen, wie heute zahlreiche Autorinnen meinen[8]. Die Warum-Fragen der Überlebenden führen zurück zu Hiob.

Im posttraumatischen Befinden wehrt sich die traumatisierte Person gegen seine Affizierung durch das Böse, die gesetzlose Gewalt und Verletzung. Der traumatisierte Mensch bleibt durch seine Erinnerung im Banne der Willkür, wird von der gesetzlosen Gewalt besessen und sucht sich von dieser Besessenheit zu befreien. In seiner posttraumatischen Symptomatik gibt er Zeugnis von seinen vergeblichen Bemühungen, sich aus der Affizierung durch Willkür zu lösen. Nietzsches dialektische Rede vom Abgrund, in den man schaut und welcher den Betrachter anschaut, nimmt diese Affizierung durch das Böse auf.

Verwirrend erscheinen die Lehren aus dem Beispiel Hiobs, denn auch Hiob bleibt vom Handeln Gottes affiziert und kann sich vom Banne und der Besessenheit von Gott nicht aus eigener Kraft befreien. Allerdings auch nicht von der Besessenheit durch das böse Prinzip, das ihm Satan bereitet.

In meinen Unterstützungshandlungen von Folteropfern habe ich immer den Eindruck gehabt, dass der Folterer mit uns am Tisch sitzt, dass die Besessenheit des Klienten durch einen (oder mehrere) sadistischen Täter in seinen Erinnerungen und Symptomen uns einen unsichtbaren Gast aufdrängt, der in nicht unbedeutender Weise das Gespräch bestimmt. Die Vertreibung des Gastes hätte die gleiche illusionäre Wirkung wie Exorzismus. Teufelsaustreibungen haben noch nie einen gewünschten Erfolg gehabt, weshalb eher eine rituelle Käfighaltung des Teufels angebracht erschien. Er bleibt im Haus, kann aber nach einer gewissen Zeit und Präsenz in den Keller gestellt werden, wo direkt neben altem Wein auch andere einflussreiche Erinnerungen gelagert werden. Dies sei, so habe ich mir gesagt, ein rationales Vorgehen gegen die Macht von Imaginationen und Irrationalität.

Das Auffällige an der Hiob-Geschichte ist sein dialogischer Charakter. Hiob spricht, nachdem sein Unglück ausgebreitet ist, sowohl mit den Freunden als auch in indirekter Weise mit Gott. Trost suchende Hinwendung zu anderen Adressaten belegt für mich eine soziale Orientierung des eigenen Leids, das seinen Sinn allein in der Kommunikation mit anderen zu finden glaubt.

 

Die Säkularisierung Hiobs als Trauma hat solche Fragestellungen nach dem Warum und der Besessenheit (deutlich zu unterscheiden vom Hyperarousal, das lediglich die biophysiologische Basis darstellt.) verblassen lassen und im Verlauf von rund hundert Jahren in einen neurophysiologischen Kanon eingemeindet, in dem sich neuerdings, seit rund 10 Jahren, Fragen nach dem gezielten, medikamentös eingeleiteten Vergessen stellen. Wenn, wie ich unterstelle, Vergessen eng mit Erinnern verbunden ist (wie Tod mit Leben), können logischerweise mit gezieltem Vergessen die Erinnerungshorizonte oder Erinnerungskontexte nicht unbeeinflusst bleiben. Es wäre ein Paradox, den Verdrängungsprozess ins (reanimierbare) Unbewusste bewusst durch Drogen zu imitieren oder zu umgehen, ganz davon abgesehen, dass einzelne Erinnerungsfragmente als singuläre isolierte Informationen nicht gezielt dem Vergessen anheim fallen können, ohne damit auch Spuren des Kontextes, in dem sie erlebt werden, zu löschen. Es ist der sinnhafte Kontext, der Geschichte und soziale Orientierung ausmacht und damit Kommunikation, Solidarität und Empathie auslöst und aufbaut. Selbst wenn die gezielte Löschung nicht in der Intention von Forschung steht – die darüber berichtende Presse verkürzt gerne die Motive - sondern das Bemühen, eine spätere posttraumatische Symptombildung zu mildern oder zu vermeiden, bleibt ein Unbehagen, hiermit werde die Möglichkeit, vom Erlebnis zur Erfahrung zu gelangen, verengt oder gar beschnitten. In das Narrativ der eigenen Erlebnisse werden schwarze Löcher eingestreut: Die Erzählung vom Selbst geht verloren, und Identität macht sich abhängig von externen Pharmaka (Ricoeur).

Forscher wie Roger Putnam stellen nicht mehr die faustische Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, sondern wie das Pharmakon aussehen könnte, das solche Fragen löscht, wenn sie sich quälend auswirken. Seine Experimente finden mit Betablockern statt. Und der Bielefelder Psychologe Hans Markowitsch assistiert, der Mensch müsse selbst entscheiden, was er erinnern will und was nicht. So kann sich, was Hiob noch nicht konnte, jeder seine Realität selbst zusammenzimmern. Ob es dann noch verstehende Kommunikation und Mitgefühl geben wird, muss bezweifelt werden. Der Adressat der Hiobschen Beschwerden ist ein anderer geworden. Ob der Psychiater als neuer Adressat zu Antworten in der Lage ist, darf auf einer inhaltlichen Ebene bezweifelt werden, denn die zurzeit beherrschende Neurophysiologie mag zwar den methodischen und physiologischen Verlauf von quälenden Erinnerungsspuren herausfinden, der individuell bedeutsame Sinn und die individuellen Fragen liegen nicht in der Technik oder im Bauplan, sondern sie sind allein in der sozialen Genesis von kommunizierten und erfahrenen Sinnvorstufen zu finden. Das ist so banal, weshalb daran erinnert werden sollte.

 

Das Lehrbuch des Alten Testaments präsentiert der menschlichen Umgebung (neben anderen Ereignissen) die Leiden des Hiob in Form eines Gesprächs. Hiobs Zorn bleibt nicht auf monologischer Ebene (oder in seinem Inneren verborgen) stehen, wovon wir dann nichts erführen. Erst durch Kommunikation erhalten wir Einblick in den Hader Hiobs und seine Ursachen.

Da Gott zwar ein Gegenüber, ein Adressat für Klagen sein kann, jedoch niemand, der die Bedingungen für Kommunikation erfüllt: Information, Mitteilungsakt und Verstehen, haben wir es offenbar mit einer narrativen dialogischen Verkleidung eines Monologs zu tun. Hiobs Kommunikation seiner Beschwerden richtet sich an seine verständnislosen Freunde. Erst durch solche Kommunikation erfahren wir etwas zu seinem psychischen Befinden. Ohne Kommunikation wüssten wir in der Tat nichts von seinen Verlusten und wie er damit umgeht. Das Vergangene und zugleich gegenwärtige Unglück wird folglich erst real durch Sprechen (und für uns durch die Schrift). Der schwer Traumatisierte kann sprechen. Das sollten wir festhalten. Er ist nicht verstummt, obwohl er nicht versteht, was über ihn gekommen ist. Und weil er nicht versteht, stellt er Fragen und sucht Antworten, die seine menschliche Umgebung nicht geben kann. Das Trauma des Hiob können wir aus seinen Worten an den indirekten Adressaten, aus der rahmenden Erzählung, aus der Wahrnehmung seiner Empfindungen und aus seinem entstellten Äußeren entnehmen. Ohne Kommunikation würden wir seine Hautveränderungen, vielleicht seine Unruhe, seine wütige Haltung, seine soziale Isolierung, vielleicht noch als einen allmählichen  Prozess sein vermindertes Sozialprestige wahrnehmen, aber die Inhalte seiner Anklagen und die Beschreibung der Folgen seines Unglücks als subjektives Erlebnis blieben uns verborgen. Der Weg zur menschlichen Umgebung führt posttraumatisch folglich über Worte, die das Trauma in seiner subjektiven Dimension als psychischen Prozess dadurch erst in die gesellschaftliche Realität entlassen.

Im Zusammenhang mit unseren Klienten haben wir uns oft gefragt, wenn Sprechen Handeln ist, warum danach planendes Handeln, motorisches Handeln sehr wohl erfolgt, die symbolische Übertragung auf Sprechen über das traumatische Ereignis jedoch nicht, jedenfalls in einigen Fällen. Wir stellen Vergleiche an zwischen denen, die sehr wohl sich um Beschreibung ihrer traumatischen Erlebnisse bemühen, und denen, denen es die Sprache verschlagen hat, die möglicherweise keine Entscheidung treffen können, welche Selektion von Erinnerungsbildern und Emotionen sie für eine Darstellung im öffentlichen Raum vornehmen sollen. Bislang sind wir immer davon ausgegangen, dass eine Sprachlosigkeit das unmittelbare Ergebnis des traumatischen Einschlags und der Begleitaffekte sei. Nicht gekümmert haben wir uns um die Schwierigkeiten, eine Auswahl aus unverstandenen und verwirrenden Details treffen zu können. Das hätte wohl einer Wiederholung der traumatischen Situation entsprochen, weil auch darin eine Differenzierung der Details, durch Dissoziation?, unmöglich war. Es ist derzeit unbestreitbar (allerdings auch nicht beweisbar), dass eine lebensbedrohliche Situation nicht zur Registrierung von Details führt, sondern als Gesamtkomplex zu überlebenswichtigen Abwehrhaltungen veranlasst, die nicht dem Bewusstsein unterliegen, vielmehr Handlungen hervorbringen, die am Bewusstsein vorbei laufen. Solche spontanen Handlungen werden oft nachträglich mit Sinn ausgestattet. Die stofflichen Prozesse im Moment der Lebensbedrohung, die durchaus subjektiv und nicht objektiv bewertet werden, sind gut bekannt, soweit sie sich aus Tierexperimenten herleiten lassen. Wie aber aus chemisch-physikalischen Prozessen Subjektivität des posttraumatischen Erlebens wird, lässt sich aus der Erforschung dieser Prozesse nicht ablesen. Wie viel gesellschaftlich-kommunikative Einwirkung formt die subjektive Wahrnehmung? Während folglich eingeräumt wird, dass die Spontanreaktion auf Lebensbedrohung stets dieselben stofflichen Vorgänge auslöst (nur in der quantitativen zur Verfügung Stellung von Stoffen different = Produktion, Rezeptoren und Speicher), unterscheidet sich die Verarbeitung von Spontanreaktionen, wenn sie ins Bewusstsein eindringen und als kontextualisierte Bilder ins Gedächtnis gelangen. Manche Forscher behaupten nun, dass solche unter extremer Erregung erlebten Bedrohungsereignisse überhaupt nicht in der Lage sind, einen Platz im abrufbaren Gedächtnis zu finden. Sie postulieren damit ein cortexfreies autobiographisches Gedächtnis, das sich schrill aus älteren Hirnregionen meldet, als Albtraum oder Flashback. Es ließen sich allein Spuren diesseits der Hirnrinde nachweisen. Das wirkt doch ziemlich hilflos. An solchen Prozessen ist vor allem abzulesen, wie weit sich die Neurowissenschaften von Erzählungen, Motiven und Handlungen eines Hiob entfernt haben. Vielleicht sollten sie einmal innehalten und Hiob einen Besuch abstatten. Auch wenn sie zum Ergebnis gelangten, es bestehe ein Unterschied zwischen Anekdoten und Wissenschaft, Geschichten seien nur Illustrationen des Lebens, nicht seine Erklärung, sie hätten kurzzeitig Kontakt mit revoltierendem Verhalten.

 

Das Leiden des Hiob ist fraglos das Leiden eines ehemals reichen und erfolgreichen Mannes. Frauen wäre in alter Zeit eine Rebellion gegen Gott nicht zugestanden worden, und wenn sie erfolgt wäre, hätte niemand sie für überlieferungswert gehalten. Hiobs Ehefrau findet nur Erwähnung, weil sie Hiob auf Betreiben Satans auffordert, von seinem Glauben zu lassen. Nach dessen Weigerung zieht sie sich von ihm zurück. Wir erfahren nichts weiter über ihre Schmerzen und ihre Trauer. Sie hat sich abzufinden, der innere Prozess der Verarbeitung war ein männlicher. (Nicht nur in orientalischen Gesellschaften von heute kann man den Eindruck bekommen, dies sei immer noch so.) Frauen waren in gleichem Maße Opfer von Gewalt und Verlusten wie Männer. Die Darstellung traumatisierter Frauen fällt in alten Schriften kläglich aus. An ihnen ist seit Genesis I eher die vorausgegangene Sünde festzumachen. Damit wird das Trauma von Frauen zu einem Zeugnis männlicher Phantasien, Korrektur und Strafen, wenn es in einen Traditionsprozess gezogen wird. Das erinnert doch ein wenig an die Geschichte der Psychoanalyse. Ich vermute, alle „Hysterikerinnen“ stimmen mir zu, wenn sie nicht den männlichen Standpunkt komplett übernommen haben, wozu männliche Suggestion immer schon das treibende Medium abgab.



[1] Ernst Bloch (1968) Atheismus im Christentum. Frankfurt/M. Suhrkamp. S. 149.

[2] Charles Taylor (1996) Quellen des Selbst. Die Entstehung neuzeitlicher Identität. Ffm Suhrkamp. S. 563 und 703ff.

[3] Das ist die geheime Botschaft der Geschichte, zugleich das, was wir heute den Narzissmus und die Megalomanie des Autors nennen: Der Autor und der Leser wissen mehr als die beschriebenen Figuren, wodurch später Wissenschaften in ihren prospektiven Sehnsüchten ermutigt und  auf den Plan gerufen werden. Sie sind in der Lage, die Lücke zwischen den handelnden und erleidenden Figuren zu schließen. Damit gleichen die Humanwissenschaften dem allmächtigen Autor der Hiob-Geschichte, der quasi als Zeitzeuge und Reporter dem Gespräch, das die Wette besiegelt, beiwohnt und alle gesprochenen Worte notiert. Der Autor versteht selbstverständlich die Sprache oder Nichtsprache zwischen Gott und Satan. Nun läuft der Reporter keineswegs zu Hiob und sagt ihm, dass das Wettbüro Himmel ihm einen tödlichen Streich spielen wird. Der Reporter hat noch keinen ethischen Standpunkt. Gott hat auch keinen, braucht auch keinen. Offenbar handelt es sich um einen „embedded reporter“. (Das kann wegen der Allwissenheit eigentlich nur Gott selber sein. Oder hat Satan die Geschichte geschrieben?) Hiob ist dadurch nur ein Beispiel für eine Leidensgeschichte. Das, was der Autor zwischen seinen Zeilen und von seinem Standpunkt aus bekunden will, ist die schöpferische Potenz über Gott hinaus, wodurch Eigenschaften und Attribute von Gott auf den Autor ebenso übergehen konnten wie die Übertragung des Leidens zum klinisch relevanten Trauma, das in seinen Folgewirkungen nun beherrschbar und therapierbar geworden ist. Der Autor ist jedoch ein Mensch, ein Dichter und indem er aus den Schaltzentren des Weltenlaufs berichtet, beansprucht er, Teil des Numinosen zu sein. Recht hat er.

[4] Freud hat sich mit der Hiobgeschichte in seinem Werk nicht befasst. Im Register findet man nicht das Stichwort Hiob.

[5] Rebellion als Selbstheilung führte im Deutschen Reich zur Beteiligung an den Aufständen von 1918, als sich zahlreiche „Kriegsneurotiker“ unter den Rebellen befanden, die „plötzlich“ nicht mehr behandlungsbedürftig waren und aus den Lazaretten in ihren labilen Verfassungen zu den Aufständischen drängten und z.B. als Soldatenräte Herrschaft beanspruchten. Siehe dazu die pseudobiographische Schilderung in Ernst Weiß Roman „Der Augenzeuge“, S. 120.

[6] C.G. Jung (2001) Antworten auf Hiob. Erstmals publiziert 1952. München dtv.

[7] Vgl. Kurt jr. Vonnegut (1985) Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug. Hamburg Hoffmann & Campe.

[8] So z.B. die Autorin Cathy Caruth