Ein sicher unauflösliches Dilemma entsteht, wenn Menschen das Gewicht ihrer erlebten Traumatisierung in Sprache zu verwandeln suchen. Den Kern der Traumatisierung kann mensch unter- oder übertreiben, niemals exakt vortragen, denn er ruht in einer Hülle von Subjektivität und Geschichte. Menschen wissen dabei, dass die Gleichzeitigkeit der Resultate von Gewalt nur in einer Kette von nacheinander erfolgenden Beschreibungen wiedergegeben werden kann. Ketten können reißen und einzelne Abschnitte verloren gehen. Sie wissen zudem, dass Schmerzen und Emotionen nur ein begrenztes Arsenal an Begriffen haben. Erinnerungen können bewusst oder unbewusst selektiv fragmentiert werden. Soziale Situationen ordnen die Inhalte von Erzählungen jeweils neu, obwohl die Forderungen an eine Erzählung bekannt sind, jedoch zumeist eine Überforderung darstellen: spontan, wahrheitsgemäß, vollständig, detailtreu, mit möglichst vielen überprüfbaren Aspekten, die Widersprüche aufzuspüren gestatten.

        Misstrauen verträgt sich nicht mit Empathie, weder zeitgleich noch nacheinander. In einer therapeutischen Situation gehen von beiden Dialogpartnern lenkende Einflüsse aus. Sie stehen im Wettstreit. Bei Kontakten mit Vertretern von Hoheitsaufgaben durchforstet das eingeübte sachbearbeitende Misstrauen die Erzählung eines Patienten/Klienten und beruft sich dabei auf Gesetze und Verordnungen. Der Rahmen des funktionalen Wissens, in dem die „Wahrheit“ einer Erzählung angenommen und verstanden wird, ist bei Behördenvertretern kleiner als bei PsychiaterInnen oder PsychologInnen. Letztere halten alles für möglich, erstere sind Fachpersonal für Misstrauen und Skepsis, wenn sie gezwungen werden, die eigene Persönlichkeit von der Funktion zu trennen. Die Funktion erfordert stets geringere ethische Prinzipien, als es humanitäre Überlegungen nahelegen würden. Das nennt man dann Pflicht. Sie richtet sich auf Vorschriften und nicht auf Menschen.

Sprechen und Beschreiben sind immer mit Absichten verknüpft. Ein Mensch kann seine Beschwerden ausführlich oder zögernd vortragen und in stolpernde Worte fassen. Er kann jedoch auch seine Beschwerden erfinden, als Dokument fassen und wie im Theater dramatisch ausgestalten und den Zuhörer in den Bann schlagen.

Mindestens zwei Zwecke lassen sich für die Schilderung posttraumatischer Beschwerden anführen, die sich innig vermengen können: der Mensch möchte von seinen Beschwerden, die landläufig Störungen genannt werden, befreit werden und Linderung erfahren oder er möchte einen Verursacher benennen und von ihm Wiedergutmachung erhalten, d.h. den jeweilig zutreffenden Rechtekanon in Anspruch nehmen. Diese  Schilderung der subjektiven Störungen enthält Wünsche. Sie  können, aber müssen nicht auf realen Tatsachen beruhen, vor allem ist die emotionale Gewichtung der genannten Tatsachen vom Zuhörer nicht mit Sicherheit zu erfassen. Mimik und Gestik können die Schilderung verstärken oder Skepsis nähren. Eine verlässliche Sicherheit gibt es nicht. Dennoch steht oft am Ende ein eisiges Urteil.

In diagnostischen Sitzungen soll, so die Intention der Schilderung, die Diagnose postraumatsche Belastungsstörung aufscheinen lassen, was durch alle wesentlichen Symptome lenkend vorgetragen wurde. Als Dokument soll es hernach beglaubigt werden, für die Krankenkasse, die Gerichte oder andere Behörden. Die Diagnose ist freilich nicht deshalb problematisch, weil ihre Symptome als Störungszeichen auch vorgetäuscht werden können, wie Robert Spitzer 1975 das Rosenhan-Experiment kommentierte. Allerdings trägt die Diagnose eine Portion Zweifel mit sich, weil sie durch die Aufzählung der Symptome berichtet werden muss und in den Symptomschilderungen die scheinbar logische Diagnose nahegelegt wird, ein zirkuläres Vorgehen, das mit der Schilderung eines extremen Stresserlebnisses  beginnt. Ob die Schilderung eines Traumas vorgetäuscht wird oder nicht, die mangelhafte Validität der Symptome, die alle möglichen Alltagserfahrungen (Kränkungen, Mobbing, Ausschluss, Diskriminierung usw.) begleiten können, macht eine Unterscheidung allein bei einem definierten extremen Ereignis fest und führt nur deshalb zu leidenden Empfindungen. Aus diesen Gründen ist die Diagnose ein Artefakt, wenngleich kein Artefake. Sie leidet zudem an sprachlichen Ungenauigkeiten: Wenn massiver Stress die Symptomkette in Gang setzt und ein Trauma, d.h. eine Verletzung bewirkt, dann wäre posttraumatisch nur zu verstehen, wenn der einwirkende Stress auch Trauma genannt werden könnte, aber es eigentlich poststressig heißen müsste. Ein Ereignis ist nicht per se ein Trauma, sondern kann lediglich eine Stressantwort hervorvorrufen. Eine spätere Stressbelastung würde korrekterweise in eine traumatische Belastungsstörung führen. Die Vorsilbe –post- wäre danach unsinnig.

Skepsis sucht nach Indizien, welche die äußeren Rahmenbedingungen einer Traumatisierung betreffen. Dabei handelt es sich um Dokumente, Zeugen Aussagewidersprüche. Innere Prozesse, die als Leidensprozesse geschildert werden, können nicht durch Indizien mit hinreichender Sicherheit widerlegt werden. Die Unterstellung eines sekundären Begehrens, das durch die Schilderung angestrebt werde, kann den subjektiven Wahrheitsanspruch anfechten, aber nicht widerlegen. Mit dem Anspruch auf objektive Wahrheit wird viel Schindluder getrieben, was Unsicherheit und Scham bei selbstkritischen urteilenden Personen auslösen kann. Deren Verantwortung wird dann gern auf Experten verteilt, deren Aufgabe darin besteht, komplexe Zusammenhänge wie eine Soße zu reduzieren. Diese Tatsache beleuchtet die unterschiedliche Perspektive auf eine Schilderung, die eine ultimative Sicherheit beim Zuhörer nicht gewähren kann. Das heißt, wir bewegen uns konstant auf schlüpfrigem Boden der potenziellen Fakes ohne eindeutige Kriterien. Kriterien müssen aber historisch hergeleitet werden, bedürfniskompatibel und vermittelbar sein, und sich aller Herrschaftsaspekte enthalten. Das ist das ultimative Dilemma, dass mensch nicht in andere Menschen hineinsehen kann, was herrschenden Kräften keine Ruhe lässt. Der Kontinent des Subjektiven wird nicht erobert, obwohl an den Küsten des Kontinents die Eroberer sich mit Algorithmen vorbereiten. Mit Bezug auf Motive für Wünsche und Konsum haben sie einige Brückenköpfe erzielt. Drehen wir zur Abwehr der Psychobesatzer den Spieß um!! Seien wir unberechenbar!!