Ein besonderes und unauflösbares Kapitel stellen von alters her die machtgestützten Urteile von Menschen über Menschen dar. Sie gründen auf Übereinkünften und machen dadurch den Machtaspekt unbewusst, wenn er bereitwillig als notwendig akzeptiert wird. Macht ist so ziemlich der einzige Begriff, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint. Damit das so bleibt, werden Gesetze erschaffen. Der Common sense in staatlichen Gesetzen setzt sich aus Zwecken, Zielen und Willkür zusammen und möchte die Willkür beherrschbar machen. Aus jedem Urteil schaut die Macht heraus, und wir haben uns angewöhnt, machtbewehrte Urteile zu akzeptieren, wenn wir nicht selbst betroffen sind. In Bewerbungsgesprächen kommt Macht zum Ausdruck, polizeiliche Befragungen enthalten Macht in ungleicher Verteilung, die meisten Männer-Frauen-Beziehungen beruhen auf ungleichen Machtverhältnissen, Anhörungen zu Fluchtgründen werden zu machtvollen Urteilen mit endgültigem Charakter, ohne Zeugen bilden Indizien und der diskursive Zeitgeist den Rahmen für Urteile über Menschen, die andere Menschen durch Machtdemonstration in ihrer Entwicklung behindert und psychisch verletzt haben. „Illegale Einreise“ und die sexualisierte Gewalt gegenüber abhängigen Personen gleichzusetzen, hat insofern etwas Willkürliches, als beide Formen richterliche Personen zu Urteilen herausfordern, die mit Wahrheit in schwammiger Verbindung stehen. Das nennen wir Zivilisation, die uns Machtfaktoren und Machtwirkungen anbietet, die Süchte erzeugen. Macht ist die gefährlichste Droge. Dabei ist Macht nichts als die Abwehr der eigenen Verletzlichkeit.

Vor einer ähnlich knirschenden Zivilisation stehen wir, wenn wir die Versuche betrachten, reale von vorgetäuschten posttraumatischen Symptomen zu differenzieren. Es geht immer um mehrdeutige und interpretationsoffene Phänomene. Es gibt allerdings benennbare und inkommensurable Interessen. Es gibt keine so genannten objektiven Beweise. Beiden Formen, der realen und der erfundenen, liegen Schilderungen von kardinalen Symptomen und Nebenzeichen zugrunde. Diese stehen in den Manualen und Lehrbüchern. Sie sind sehr einfach zu wiederholen. Ob diese Symptome in agitierter Stimmung oder in sehr reduzierter Verfassung vorgetragen werden, beide Vorträge können als Beleg für die Wahrheit des Inhalts angesehen werden. Ob Ängstlichkeit bei der Erinnerung an traumatische Erlebnisse zu registrieren ist oder ob es sich um Ängstlichkeit vor der Entlarvung einer erfundenen Geschichte handelt, wer soll das sicher unterscheiden? Ob invasive Fragen zu einem Erstarren als Abwehr der Erinnerung auftreten oder als Zögern bei der Suche nach der „richtigen“ Antwort, wer hat die passende Wünschelrute zur Hand? Die biographische geprägte Aufnahmebereitschaft des Zuhörers geht in tausend möglichen Varianten in sein Urteil ein.

Bleibt die zentrale Frage nach der Überzeugungskraft des geschilderten traumatischen Erlebens. Wenn es aus politischen Gründen in fernen Ländern geschah, gibt es folglich nur Indizien und keine Zeugen. Der/die KlientIn ist nach seiner/ihrer Darstellung Opfer von Willkür und zugleich Zeuge. Hat der Mensch eine Nummer auf dem Unterarm tätowiert, ist das ein wesentlicher Hinweis auf den Ort der Traumatisierung. Die Nummer erzählt eine bedrückende Geschichte.

Eine besondere Schwierigkeit, Traumata anzuerkennen, liegt in der Tatsache, dass das A-Kriterium des DSM für posttraumatische Störungsbilder subjektiv erlebte Lebensbedrohung vorschreibt oder das passive Betrachten von Verwundeten oder Leichen, die durch Gewalt verletzt oder getötet wurden. Das darf man bei zwangsweise rekrutierten Kindersoldaten und in Bürgerkriegsregionen für wahrscheinlich halten. Flucht, Verlust der Heimat und des sozialen Umfelds sowie des sozialen Status fallen aus dem Traumakatalog heraus. Man fragt sich doch, welches Bild von verletzbarer Psyche die Erfinder des Katalogs hatten. Sicher nur ein beschränktes und zu jener Zeit interessengesteuertes.

Der wesentliche Punkt vom Standpunkt von Entscheidungsträgern ist aber die unsichere Antwort auf die Frage, warum, mit welchen Absichten und zu welchen Zwecken tritt ein traumatisches Erlebnis in den Bereich der Kommunikation und der geforderten Schilderung, die einer subjektiven Wahrheit entspricht. Ein sehr persönliches traumatisches Erlebnis von Erniedrigung und Demütigung, das durchaus Schamgrenzen oder Schuldgefühle berührt, wird dann öffentlich, weil es im Gegensatz zu anderen intimen Erlebnissen als  anmaßend und ungerecht erlebt wurde und den Wunsch nach Gerechtigkeit aufruft. Mehrere Motive sind hier zu nennen: Der Zuhörer wird zum indirekten Zeugen einer Anklage. Seine Empathie soll erkennbar mobilisiert werden. Leid sucht nach Teilung und nach bestätigender Anerkennung. Und weil das traumatische Erlebnis Schmerzen und Störungen des Alltagsverhaltens verursacht, drängt es zu einer Kompensation, die allerdings in einer Zweiteilung Ausdruck findet. Einerseits werden Gerichte zu den Instanzen, die über Kompensation bei Kriminalitätsbetroffenen entscheiden, andererseits werden Verwaltungsgerichte mit den traumatischen Erlebnissen von abgelehnten oder nicht hinreichend bewerteten Asylbewerbern konfrontiert. In diesen Fällen geht es nicht um einen finanziellen Ausgleich für erlittenes Unrecht, sondern um rehabilitative Maßnahmen, die einen gesicherten Aufenthaltsstatus voraussetzen. Man sieht, dass die psychische Verletzung sehr davon abhängig ist, wo sie beklagt wird. Flüchtlinge geraten in einen Raum mit wenig gesetzlich verbrieften Rechten. Die Menschenrechte bilden lediglich einen interpretationsfähigen Rahmen. Keine exakten Maßstäbe nirgendwo! Selbst der EMGh sonnt sich in Madrid in Lebensferne. Traumatische Erlebnisse können ein Indiz für politische Verfolgung sein, und wenn posttraumatische Symptome in ein chronisches Stadium übergehen, ist die Anerkennung der Ursachen ein bedeutsamer Teil des Weges in die „Normalität“. In beiden Fällen, der Kriminalität und der Asylsuche, ist eine Prüfung der geschilderten Umstände unumgänglich. Dazu werden dann Gutachter*innen aus dem psychomedizinischen Komplex herangezogen, die nach Indizien für eine plausibles Urteil suchen, gleichsam ein vorgelagertes Urteil. Bei Urteilen über Menschen, ihre Vergangenheit und ihre unsichtbaren Prozesse ist besondere Akkuratesse gefragt, damit der Unterschied zwischen „wissenschaftlich“ fundiertem Urteil, Vorurteil, Interessensteuerung und Treppenhausklatsch erkennbar wird. Ich habe alle diese Spielarten mit teilweise katastrophalen Konsequenzen erlebt.

Rufen wir uns nochmals die Ursprungsidee bei der Erfindung der posttraumatischen Belastungsstörung in Erinnerung. Sie kann Aufschluss über die Zwecke geben, die in der Darstellung von psychischen Traumata angestrebt werden können. Sie liegen in der politischen Großkonstellation ebenso wie in der individuellen Absicht. Im und nach dem Vietnamkrieg, der zu einer Polarisierung der US-Gesellschaft geführt und Veteranen zu lautstarken Gegnern der US-Politik gemacht hatte, wurde nicht nur eine Pathologisierung der Kriegsfolgen in den Individuen beschlossen, sondern zugleich ein finanzieller Ausgleich für die erlittenen Störungsbilder in Aussicht gestellt. Mehr als 400.000 Veteranen erhielten mit der Diagnose PTSD Renten oder Teilrenten, obwohl sie durch die psychiatrische Mühle der Veteranenhospitäler gegangen waren. Das bedeutete, dass Therapien keinen Effekt im Sinne einer befriedigenden Dämpfung der individuellen und sozialen Symptome erzielen konnten. 20 Jahre nach dem Vietnamkrieg war die Zahl der Rentenempfänger aus dem Vietnamkrieg nicht geringer geworden. Es wurden Publikationen in die Öffentlichkeit getragen, die begründeten Zweifel an den Betroffenenzahlen aufkommen ließen. Mit den finanziellen Aufwendungen in zweistelliger Dollar-Milliardenhöhe wurde ein Teil der innenpolitischen Polarisierung beruhigt. Das heißt, psychische Verletzungen als Störungsbilder im Sinne von PTBS waren von Beginn der Erfindung der Diagnose mit finanziellem Ausgleich verknüpft, und sie riefen solche Ansprüche wach. Vielen Veteranen kam erst nach der Erfindung der Diagnose PTSD zu Bewusstsein, dass sie eine verletzliche Psyche besaßen, die sich dem Gehorsam unter den Willen entzog. Vielen kam zudem zu Bewusstsein, dass sie den Krieg von Politikern und nicht ihres Landes geführt hatten. Als der Propagandaschaum aus Lügen und speziellen Interessen sich auflöste, fühlten sich etliche Veteranen nicht mehr zur Loyalität verpflichtet, sondern erfanden sich Ansprüche auf dauerhafte soziale Stützung.

Psychische Verletzungen bei der Landung der Alliierten in der Normandie, bei der Ardennenoffensive oder im pazifischen Krieg führten in keiner vergleichbaren Weise zu Kompensationzahlungen. Der Misserfolg bei den Kriegszielen in Vietnam hat offenbar eine neue Kultur der Bedeutung soldatischer Psychen ermöglicht. Erinnerungsfeiern fallen nach Siegen leichter als nach Niederlagen, was Hollywood keine Ruhe lässt. Andere Gesundheitsbeeinträchtigen im zivilen Sektor durch Kunstfehler oder Gewalteinwirkungen haben in der Folge von einer psychomedizinischen Diagnose profitiert. Alle Psychotraumata nehmen für sich in Anspruch, dass sie wesentliche Elemente der späten Störungszeichen aus der Betrachtung und dem Verständnis von Holocaust-Überlebenden aufgreifen und sich dadurch in diese Traumakontinuität stellen. Das halten wir für unstatthaft, weil es die psychische Verfolgung auf die Arbeits- und Vernichtungslager beschränkt und die langjährige Vorgeschichte einer latenten Traumatisierung, auch von Schwulen, Kommunisten, Szinti und Roma, „Asozialen“, d.h. Minderheiten, außer achtlässt.

Wie bei allen definierten Diagnosen kommt es im Verlauf der praktischen Anwendung zu Erweiterungen und dehnbaren Neubestimmungen, besonders wenn eine ursprünglich für Veteranen geschneiderte Diagnose auf den zivilen Sektor übertragen wird. Das traumatische Gedächtnis registriert und reproduziert Symptombildungen und hat als Band der Erinnerung eine individuell unterschiedliche Reichweite in die Vergangenheit, die Autosuggestionen unterliegen kann, die ihrerseits von Stimmungen, Wünschen, Identifikation und Zwecken gebildet werden. Das traumatische Gedächtnis ist kein definierter Ort im Gehirn, sondern fasst unterschiedliche reale Wahrnehmungen als neuronale Vernetzungen aus multiplen Arealen zusammen. Es dient dazu, wenn man es von der Perspektive des Zwecks betrachtet, Sicherheit zu erzeugen und nicht primär, quälende Gefühle oder Schmerzen zu bereiten. Die Schmerzen bezeugen einen Alarmismus, der traumatische Wiederholungen wie bei den meisten Lernprozessen verhindern will. Wie jedes Gedächtnis setzt sich das traumatische aus bewussten, unbewussten (verdrängten) und vielleicht (als These) dissoziierten Anteilen zusammen. Das traumatische Gedächtnis hat in der Literatur eine Sonderstellung eingenommen, wohl vor allem dadurch, dass Erinnerungen an traumatische Erlebnisse sowohl bewusst aufgerufen werden als auch spontan und autonom auftreten können und sich negativ und störend auswirken. Darin unterscheiden sie sich kaum von spontanen Erinnerungen an peinliche und ohne Vorsatz entstandene Situationen, als z.B. auf der Hochzeitsfeier der Tanz mit der Schwiegermutter durch Sturz auf glattem Parkett in eine Oberschenkelhalsfraktur mündete. Erinnerungen an traumatische Erlebnisse unterscheiden sich in ihrer stechenden oder lähmenden Auswirkung nicht von gebrochenen Versprechen oder einer unterlassenen Hilfeleistung oder einer Lüge zum eigenen Vorteil und zu Lasten Anderer, wenn diese vollends ins Bewusstsein aufsteigen. Es handelt sich um moralische Raster, die eine erlernte Matrix voraussetzen. Sie können ebenso lange Zeit als quälend wahrgenommen werden wie die Ungerechtigkeit eines psychischen Traumas von absoluter Abhängigkei,  Hilflosigkeit und Erniedrigung. Moralische Energie rangiert weit nach der Energie des Lebens. Vermutlich zeichnet sich das traumatische Gedächtnis allein durch seinen Inhalt aus und nicht durch den Mechanismus der Speicherung, der Abrufbarkeit und der Begleitaffekte sowie der Verwandlung in Sprache. Durch Suggestion oder Hypnose lassen sich offenbar unangenehme Erlebnisse in traumatische transformieren, wenn eine gewisse biographische Disposition zur Autosuggestion besteht. Wenn man dem traumatischen Stress eine Energie unterstellt, dann darf man von einem Energieverlust im Verlauf des weiteren Lebens ausgehen. Die Energie geht nicht verloren, sie wandelt sich um. Ebenso wandelt sich die Präzision der Erinnerung.

Diese kurzen Gedanken gehen in die False-Memory-Kontroverse ein. Sie finden sich in den vermeintlich überzeugenden Belegen für strafrechtliche Konsequenzen bei sexueller Gewalt oder gar frühkindlichem Missbrauch. Sie bleiben ohne eindeutige Antwort. Sie machen die Komplexität des Problems deutlich, das bereits besteht, bevor sich Fragen nach richtigen und wahrheitsgemäßen Angaben und nach angestrebten Zwecken erheben. Sie machen zudem deutlich, dass unergründliche Subjektivität die Motive, Intentionen und Ziele des Berichts vom traumatischen Erlebnis offenbart, besser: verschleiert. Der scheinbar elegante Umweg über die Prüfung der Glaubhaftigkeit eines Berichts und der traumatisierten Person erreicht nicht den Grad von Wissen, das keine Zweifel zulässt. Daher geht es allein um Wahrscheinlichkeit und Plausibilität, die von Indizien ausgehen. Das Existenzrecht von Flüchtlingen oder die berichtete Traumatisierung von Gewaltopfern von Indizien abhängig zu machen, ist per se unmenschlich und offenbart eine Nähe zu Vorurteilen. Der Zweck eines Aufenthalts- und Existenzrechts auf der Erde lässt sich nicht mit Indizien verwehren.

Auch wird die Interpretation mimischer oder gestischer Zeichen immer in zwei Richtungen geführt werden können: trauriges Versinken, Verstummen, Suchen nach Formulierungen können als Verstärker der Darstellung angesehen werden, sie können aber auch aus anderer Ursache verständlich sein. Der geforderte Detailreichtum traumatischer Erlebnisse ist abhängig von der Kenntnis der Forderung, Bildung, situativer Wahrnehmung, vor allem von der emotionalen Bereitschaft, Details zu berichten. So ist eine Anhörung zu Verfolgungsgründen kein Plauderstündchen. Sie findet unter höchstem Stress statt. Richter und Anhörer des BAMF bringen ihre Erfahrung, die Vorgaben ihrer Vorgesetzten und ihre geballte Subjektivtät in den Prozess der „Wahrheitsfindung“. Daraus kann niemals Objektivität werden. Da alle Beteiligten sich irren können, ist der Irrtum als konstituierendes Element bei Entscheidungen über Existenz- und Aufenthaltsrecht anzuerkennen und zu berücksichtigen. Das Recht auf Asyl ist nicht nur ein äußerst politischer Begriff, es ist auch mit einem Prozedere verknüpft, das alle Beteiligten in tiefe innere Konflikte stürzen kann. Wer Waffen in aller Welt sät, wird Flüchtlinge ernten. Die Reflexion der eigenen schuldhaften Beteiligung am Flüchtlingsschicksal lässt zuweilen Zweifel in den Urteilen erkennen, natürlich nur, solange man lebt und das Leben höchster Wert ist: Es gibt kein deutsches oder ungarisches Leben!!! Wer Leben mit Nation verknüpft, feiert sein Ableben.