Die nachfolgenden uneinheitlichen Beiträge haben im Wesentlichen ein Thema: die Geschichte, Ausbreitung und Wirkmächtigkeit einer psychiatrischen Diagnose, der posttraumatischen Belastungsstörung, deren phänomenologische Bandbreite von der belastenden Störung bis zur bedrohlichen Krankheit reicht, wenngleich diese Aussage nicht für eine Mehrheit traumatisch Betroffener gilt.

Dabei lässt sich feststellen, dass der Diskurs über psychosoziale Verletzungen durch alle Formen von Gewalt, der eigentlich uralt ist, von der Existenz der ins Klinische verschobenen Diagnose profitiert hat. Trauer und Schmerz haben nun einen verwandelten Namen. Breite gesellschaftliche Anerkennung haben diese Verletzungen erst erfahren, als sie mittels einer Diagnose als gesundheitswidrig bezeichnet wurden. Vulnerable Potenzen wurden breit aufgefächert. Ein verstärkender Einfluss wurde mit der Begriffswahl „Trauma“ erzielt. Zugleich wurde die Hoffnung genährt, dass das Thema einer psychischen Verletzlichkeit zu einem behutsameren Umgang mit Machtinstrumenten führen würde. Bislang war die Hoffnung trügerisch. Dennoch erlaubt die Einführung der Diagnose einen Blick auf den politisch-kulturellen Zeitgeist wie alle neuen Diskurse, also einen Blick auf Wünsche, Hoffnungen und alternative Zwecke. Es entstanden Qualifikationen, Arbeitsfelder und Praktiken, die allesamt signalisierten, der Mensch komme mit allen Unglücken zurecht. Er könne zwar nicht die Effekte von Willkür und Gewalt beherrschen, bei den Wirkungen von Gewalt auf Individuen zeige er sich überaus handlungsfähig.

Die neue Diagnose hat als wichtigen Nebeneffekt neue Machtkonstellationen – Vertragsverhältnisse unter Ungleichen -  begründet, obwohl die Reflexion der Macht, die zu Traumata führt, das eigentliche Anliegen hätte sein sollen. Die Folgen von Macht fand man im Individuum, das dadurch zugleich in Verantwortung genommen wurde.

Eigentlich ist die posttraumatische Belastungsstörung ein Laienkonstrukt, das sich von Alltagsbeobachtungen herleitet, jedoch durch Symptomensammlung und durch die Eingemeindung in den psychiatrischen Kanon auch die Aufmerksamkeit der Psychiatrie-Expert*innen auf sich zog. Mit tiefer Erleichterung konnten nun Traumatisierte feststellen, dass ihre Beschwerden, dass ihr Leiden den Status einer Krankheit erhalten konnte, der durch diese einordnende Definition zum Zwecke von Reparationsforderungen und Renten in die Rechtsprechung führte, weil Leidtragende und Verursacher (scheinbar) klar getrennt werden konnten.

Mit der Einführung einer Diagnose ließen sich zahlreiche Praktiken rechtfertigen, die zumeist im psychotherapeutischen Bereich angesiedelt waren. Aber nicht nur die Psyche Traumatisierter wurde therapeutischen Strategien zugänglich, auch ihr Körper wurde mit physiotherapeutischen und esoterischen Entlastungen überzogen. Es entstand eine Traumaindustrie mit Kongressen, Aus- und Weiterbildung, workshops, Supervisionären, Fachzeitschriften, Verlagen und Spezialist*innen für Selbstschutz von Heilberufenen. Dazu ertönte ein Ruf wie Donnerhall in die Forschungsabteilungen von Universitäten und Pharmafirmen („Wo ein Wille, hilft die Pille.“). Die Expansion der Traumaindustrie habe ich klagend benannt. Da sich das Objekt der Begierde im Leiden von Menschen abbildete, war eine positive Konnotation garantiert. Denn wer sollte sich gegen Hilfe für leidende Menschen aussprechen? Sie mussten allerdings ganz nahe kommen. Für die fernen Leidenden war die christlich geprägte Politik zuständig, die freilich ihre speziellen Hierarchien und Prioritäten mit dauerhafter Anästhesie ummauerte (Frontex, mare nostrum).

Die Diagnose PTBS habe ich zu dekonstruieren versucht, indem ich ihre wissenschaftliche Bedeutung anzweifelte. Die Liste der Symptome hat nach meiner Überzeugung keinen spezifischen Charakter, wie es bei Laienkonstruktionen nicht unüblich ist. Die Inkorporation in die psychiatrische Nosologie ist wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen. Die Diagnose hat sich mit moralischen Prinzipien positiv angereichert und damit eine mögliche soziale Kritik erschwert. Daher kann Kritik sich allein auf die Unwissenschaftlichkeit der Diagnose und ihrer Symptomkataloge sowie auf die Stellvertreterfunktion für religiöse Bezüge durch die Psy-Wissenschaften beziehen, die mit symbolischen Bedeutungen, Analogien und Metaphern operieren. Nicht zuletzt ist der politische Einfluss zu thematisieren, denn ohne das Zusammenspiel von Militär, Pharmaindustrie, Versicherungswirtschaft, Studenten, Universitätsdepartments und Berufsverbänden ist die Thronbesteigung der PTBS nicht zu verstehen. Ferner war das Übergreifen in die populäre Kultur zu beschreiben, das heute als Traumapop in Filmen, TV, Radio und Feuilletons sich ausgebreitet hat. Die physiologischen Mechanismen einer Entwicklung vom traumatischen Erlebnis, d.h. Subjektivität, in die symptomreiche PTBS ist längst noch nicht aufgeklärt, reizt aber besonders, weil die Subjektivität den Kern aller Neugier und Kontrollphantasien bildet. Bislang existieren nur Beschreibungen (daher Laienkonstruktion), die jedoch Beweise und überprüfbare Begründungen nicht ersetzen können. Empirie in Laboren kann reale, subjektiv erlebte Verletzungssituationen nicht nachstellen, und Evidenz öffnet sich nicht für Fortschritte von wissenschaftlichen Erklärungen, findet sich mit dem ab, was auf der Hand liegt, möchte jedoch gleichrangig neben Wissenschaft stehen.

Eine bedeutsame Frage hatte sich ergeben, als die ursprünglich für US-amerikanische Vietnamveteranen aus innenpolitischen Erwägungen geschneiderte Diagnose auf kontinuierlich wachsende Fallbeispiele im zivilen Sektor übertragen wurde. War es denkbar, dass Menschen, die sich über das Tötungstabu hinwegsetzten, unter den gleichen Symptomen litten wie zivile Opfer von Folter, Vergewaltigung, Geiselnahme? Soldaten als Opfer, gar als Überlebende von Grausamkeiten zu beschreiben, hatte eine verwirrende Wirkung, die zwangsläufig den Sinn solcher Kriege komplett bezweifeln ließ. Die US-amerikanische Frauenbewegung (mit kurzer Verzögerung auch die europäische) nahm mit Fug und Recht für sich die traumatischen Wirkungen in Anspruch, wenn sie männlicher Herrschaft und Gewalt ausgesetzt war. Aktive Ausübung von Gewalt und Herrschaft und passive Erfahrungen von Gewalt und Herrschaft können nach unserer Überzeugung nicht in dieselbe Symptomatologie münden.

Die bildgebenden Verfahren zur Lokalisation traumabezogener Aktivitäten haben für die Aufklärung der stofflichen Prozesse bei der Umwandlung von Wahrnehmungen in eine Symptomatik keinen wesentlichen Beitrag (außer der Kartierung des Gehirns) geleistet. Da ist wohl die Schmerzphysiologie etwas weiter. Wenn man Erniedrigung und Demütigung als schmerzerzeugend auffasst, könnten Chemie und Physiologie des Schmerzes incl. Phantomschmerzes (wegen der Latenz der quälenden Symptome und der durch Trigger hervorgebrachten Schmerzen, die einen früheren identischen Schmerz reinszenieren) einen Fortschritt der Erkenntnis bringen. Es gibt immer noch keine spezifischen Nachweise für Traumasymptome.

Ein Teil meiner Überlegungen bezog sich auf meine Praxis und auf die spezifische Klientel: traumatisierte Flüchtlinge aus allen Erdteilen. Ihr Leiden nährte die Unterstellung, traumatische Symptome hätten einen universellen Charakter. Sie träten überall auf der Erde in gleicher Weise auf und gestatteten daher eine einheitliche, normierte Behandlung. Das war ein großer Irrtum! Auch mit imperialer  Attitüde erlaubte diese Auffassung keinen Wahrheitsanspruch. Kulturell erlernte Bedeutungen von Realität können beträchtliche Differenzen aufweisen. Die Vielfalt und Intensität von Gewaltformen bringt vielfältige differenzierte Symptomatik hervor. Flüchtlinge repräsentierten die Subjekte, an denen die Symptomatik überprüft, zugleich als Katalog in die traumatisierten Flüchtlinge hineingelesen wurde. Das psychische Befinden der Flüchtlinge wurde, da die Diagnose bereits da war, bevor die Diagnostik einsetzen konnte, folglich durch die Lupe der katalogischen Auflistung betrachtet. Etliche posttraumatische Symptome wurden dabei vernachlässigt. Die sozialen Defizite von Flüchtlingen wurden weit gehend mit psychologischen Verfahren bewertet. Das war zwangsläufig ungenügend, weil die kommunikativen und affektiven Verluste in ihren individuellen Bedeutungen so nicht erfasst werden können. Nicht jedes schlechte Befinden eines Flüchtlings geht auf traumatische Erlebnisse zurück. Das Zufluchtsland und dessen Bedingungen und Forderungen haben einen hohen Anteil an der reduzierten Verfassung. Mit einer sicheren Differenzierung von Störungen aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart wird die Begleitung traumatisierter Flüchtlinge, aller Flüchtlinge wesentlich leichter zur Überwindung des Opferstatus führen.

Meine kritische Betrachtung von Trauma und traumatischer Erinnerung sowie die Infragestellung der Diagnose wollen nicht das Leiden von Menschen mit schrecklichen Erlebnissen bestreiten, sondern widmen sich allein der homogenisierenden Bewertung durch Expert*innen mit ihren Klassifikationen. Ich habe mich stets gescheut, die Wirkungen komplexer Zusammenhänge von Gewalt als behandlungsbedürftig allein im betroffenen Individuum zu begreifen. Psychosoziale Entlastung von den Folgen traumatischer Ereignisse finde ich eher in sozialen Zusammenhängen, die Trauma nicht zur Ware machen und ihre Besänftigung nicht als teure Dienstleistung betrachten. Meine Vorstellung von Therapie beinhaltet auch Elemente von Widerstand und Revolte, die sich gegen die Ursachen und Verursacher von legitimer und illegitimer Gewalt richten. Ich habe auch immer wieder Zweifel an der Messbarkeit des Subjektiven geäußert. All die Inventare, standardisierten Interviews, screenings schauten mich in stumpfer Oberflächlichkeit an; ich kann sie einfach nicht ernstnehmen. Sie schaffen immer nur neue Klassifikationen und vernachlässigen das genaue Beobachten.

In den jüngsten Beiträgen habe ich mich mit der Rolle der Psychologie befasst. Ich denke en passant, dass klar geworden ist, dass ich sie nicht als den Oberschiedsrichter oder als den Königsweg aus Krisen sehe, sondern ich halte Psychologie, sofern sie eine Theorie zur Grundlage hat, für eine Alternative zum Religionsersatz, die emanzipatorischer Schritte entbehrt.

Bis auf kurze Verweise habe ich die Traumatisierung der zweiten und dritten Generation, die durch extremtraumatische Erlebnisse der Eltern und Großeltern induziert werde, nicht zu meinem Thema gemacht. Diese sekundäre Traumatisierung spielt sich weitgehend in der Vorstellung und der Phantasie der nachfolgenden Generation ab, ist durch emotionale Informationen, Sachinformationen und reduzierte und widersprüchliche Erziehungsstile, durch andauernde Trauer und sozialen Rückzug geprägt, entzieht sich dadurch Bewertungen von außen. Das Resultat aus solchen negativen Einflüssen kann man Trauma nennen. Man kann es auch unterlassen. Es kann die Ausbreitungsdauer der Gewaltwirkungen veranschaulichen, die sich in Geschichtsausdeutungen manifestiert. Jede Weise der kollektiven Anteilnahme wird mit hoher Wahrscheinlichkeit den Opferstatus überwinden, auch in den nachfolgenden Generationen.

Insgesamt handelte es sich bei den Essays und Einwürfen um Meinungen, die ihren berechtigten Platz neben anderen Meinungen behaupten möchten. In aller Vorläufigkeit der Erkenntnisse verabschiede ich mich von Leser*innen und Interessent*innen, weil das Thema Trauma als Gedankenanregung bis auf weiteres hinter mir liegt.