Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat sich eines Vertrauensbruchs schuldig gemacht, der mit Skandal nur ungenügend zu beschreiben ist. Was ist geschehen?

Mit rund zweimonatiger Verspätung erfährt ein Teil der Öffentlichkeit durch Recherchen von NDR, WDR und SZ, dass ein von deutschen Behörden beauftragter Rechtsanwalt mit türkischer Staatsangehörigkeit in der Türkei unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet worden sei. Dabei sei türkischen Behörden ein Aktenkonvolut von rund 60 Protokollen (in anderen Quellen: 200) in die Hände gefallen. Die Protokolle hätten die Anhörungen von Asylsuchenden in verschiedenen Außenstellen des BAMF enthalten. Der inhaftierte Anwalt, dessen ethische Qualitäten als Rechtsanwalt man mit Fug und Recht als sehr niedrig beschreiben darf (denn er kennt die inneren Verhältnisse der Türkei), sollte im Auftrag des BAMF überprüfen, ob die in den Protokollen vorgebrachten Verfolgungsgründe reale Tatsachen zur Grundlage gehabt bzw. stattgefunden hätten.

         Die erste Frage, die sich hier stellt, bezieht sich auf die Quellen, die eine Überprüfung gestatten. Wenn es nur um Auskünfte der deutschen Botschaft in Ankara oder deutscher Konsulate in der Türkei gegangen wäre, hätte es keinen Anwalt gebraucht. Das hätte mit Anfragen über Diplomatenpost erledigt werden können. Wenn es zu Überprüfungen des Familienstandes oder geographische Angaben oder speziellen Hinweisen aus den Protokollen notwendig erschienen wäre, vor Ort zu recherchieren, dann wäre ein Konsulatsangehöriger beauftragt worden, wie es lange Zeit Praxis war. Der türkische Anwalt hat offenbar detektivische Funktionen gehabt, die ihn ins polizeiliche oder geheimdienstliche Milieu befördert haben. Aber selbst für solche Detektivaufgaben benötigt man nicht die Wortprotokolle der Asylgründeanhörung. Da genügt ein Zettel mit Namen und ein, zwei Fragen.

         Die zweite Frage bezieht sich auf den Auftraggeber. Hat das BAMF den türkischen Anwalt beauftragt oder war er im Auftrag der deutschen Botschaft unterwegs?

         Die dritte Frage erhebt sich, weil (noch) unbekannt bleibt, warum der Anwalt mit so vielen Protokollen festgenommen wurde. Für Recherchen nimmt man so viele Akten mit, wie man auf einem Wege überprüfen kann. Selbst wenn man nicht spekulieren will, gibt es nur eine Antwort: Die Akten wurden gezielt (gleichsam auf indirekte Weise) an türkische Behörden adressiert.

         Das bringt uns zur vierten Frage: Um welche Asylsuchenden handelte es sich in den Protokollen: um türkische Oppositionelle, um so genannte Gülen-Anhänger oder um kurdische Verfolgte und Kämpfer? Wenn man vom Verfolgerstaat Auskünfte fordert, hätte dieser beklagte Verfolgerstaat das letzte Wort im Asylverfahren in Deutschland, und das gibt das bundesdeutsche Asylrecht nicht her. Der türkische Staat hat in den vergangenen Jahren intensiv mit islamistischen Organisationen zusammengearbeitet, sodass Auskünfte von diesem Staat über den Radikalisierungsgrad von Asylsuchenden in Deutschland oder fundamentalistische Strömungen in Zweifel zu ziehen sind.

         Übrigens: Die vom BAMF behauptete Praxis sei überall in Europa die Regel, kann sich nach unserer Kenntnis nur auf die Türkei beziehen. Wir haben noch nicht von Überprüfungen durch Anwälte im Kongo oder in Bürgerkriegsgebieten wie z.B. Myanmar, Jemen oder Syrien gehört und vermuten, so etwas finde dort nicht statt.

         Man darf ferner davon ausgehen, dass die Asylsuchenden, die mit den beschlagnahmten Akten überprüft werden sollten, benachrichtigt werden, dass sie wegen überzeugender Nachfluchtgründe als asylberechtigt anerkannt werden. Wir dürfen jedoch unserer Skepsis Ausdruck geben, dass wir nicht überzeugt sind, dass alle Betroffenen benachrichtigt werden. Wenn eine deutsche Behörde außerhalb geheimdienstlicher Befugnisse sich geheimdienstlicher Methoden bedient, hat sie jeden Kredit verspielt.

         Unter einem gewissen Vertrauensschutz ist die Übergabe von BAMF-Akten an einen ausländischen Staatsangehörigen ein skandalöser Bruch des Datenschutzes, über dessen offenbar übliche Praxis die Asylsuchenden nicht informiert werden, weil sie offenbar auch nicht in den Bereich des Datenschutzes gehören, also nur Objekte eines Verwaltungsaktes sind.

         Die Weitergabe von Akten des BAMF an fremde Staatsangehörige zerstört jegliches Vertrauen in die Aufrichtigkeit der Behörde. Man darf wohl davon ausgehen, dass politische Vorgaben solche Überprüfungsdeals gelenkt haben. Wir vermuten, dass das Bundesinnenministerium sehr wohl Kenntnisse dieser Praxis hatte und daher den Skandal bewusst lange verborgen gehalten hat.

         Wir erwarten prompte Antworten auf unsere Fragen!!