Eine steile These

 

Es gibt keine begründbare Trennung von körperlicher und psychologischer Folter, wenn man nicht einer Mystifikation Vorschub leisten will. Jede physische Folter bringt psychische Wirkungen hervor, ja jeder operative Eingriff kann zum Zusammenbruch des psychischen Gerüsts beitragen, und ohne einen Körper lassen sich auch keine psychischen Wirkungen von Folter induzieren, wenn auch die spurenlose Folter das neuere Ziel der intensiven und unethischen Verhörpraktiken ist. Der Einsatz von Psychologen und Psychiatern zur Verfeinerung von Foltermethoden muss als Illusion betrachtet werden, denn  ihre Mithilfe kommt nicht am Diktum vorbei, dass die Trennung von Körper und Psyche unter Anwendung von allen denkbaren Foltermethoden keinen Sinn macht. Und das gilt für die Folter insgesamt, die, im imaginierten Angesicht konstruierter ticking-bomb-szenarios, den Beweis für Effektivität schuldig geblieben ist, d.h. keinen Beweis für die sichere Unterscheidung von richtigem oder falschem Geständnis erbracht hat. Das hätte allerdings auch schon die Lektüre Cesare Beccarias lehren können. Wir sind daher einer Manipulation erlegen, als wir die neuerdings zur Anwendung kommenden Foltermethoden als psychische qualifiziert haben, als wäre die psychische Quälmethode als Gegensatz zur physischen möglich, als würde sie immateriell ihre Wirkung entfalten. Gleichsam als Verfeinerung und mit luftiger Raffinesse ausgestattet. Angriffsort ist in allen Fällen der geschundene Körper, aus dem Folterer Wahrheit zu extrahieren trachten. Jan De Vos[i] hat überzeugend dargestellt, dass die Förderung psychologischer Foltermethoden durch US-amerikanische Geheimdienste einer Phantasie, einem Phantasma entsprang, welche durch die Berichte von Gefangenen aus den Koreakrieg aufblühten. Man konnte sich einfach nur vorstellen, dass die Desertion von Gefangenen zur Gegenseite das Ergebnis von Gehirnwäsche sei, deren Geheimnisse man in den USA schnellstmöglich aufklären müsse.

Eine relative Ausnahme darf man annehmen, wenn das soziale Gefüge einer bedrohten Person oder erlernte Tabuzonen bzw. die Gewissheit von Bedeutungen zum Angriffsort gemacht werden. Hier wären eher soziologische und kommunikative Wissenschaften angesprochen. In diesen Fällen kommt es zum Angriff auf den emotionale Sicherheit spendenden Rahmen und missbraucht dazu die Phantasie einer verhörten Person. Aber auch in diesem Falle sind die neuronalen Verschaltungen im Gehirn der Angriffspunkt, d.h. die Fähigkeit zur Antizipation drohender Gefahren ist ein stofflicher Vorgang. Das macht eine eindeutige Unterscheidung zwischen körperlicher und psychischer Folter überflüssig. Lediglich die Ansatzorte für Quälereien sind unterschiedlich. Es wäre aber absurd, wenn man die neuronalen Aktivitäten des Gehirns der psychischen Verursachung zusprechen würde, während das Verbrennen mit glühenden Kohlen der physischen zuzuordnen wäre. Jede Form von Schmerzverursachung setzt neuronale Reaktionen voraus und das schließt auch antizipierte Schmerzen aus Bedrohungen des sozialen Gefüges ein. Sagen wir es deutlich: Die Psychologie kann nicht ein Monopol auf Aktivitäten des Gehirns beanspruchen, als sei das Gehirn nur unabhängig vom Körper konzipierbar. Da individuelle Registrierung und Bearbeitung von schmerzhalter Folter ohne neuronale Aktivitäten unverständlich bleibt, wäre es wohl richtiger, von „Neurofolter“ zu sprechen, wenn man die Unterscheidung von physischer und psychischer Folter vermeiden will.

Die Unterscheidung zwischen physischer und psychischer Folter folgt einer Vorstellung eines Mysteriums, das in den 1960er Jahren in den USA als Reaktion auf die so genannte Gehirnwäsche der Kommunisten als Diskurs in die Welt gesetzt wurde und trotz logischer Fehler am Leben blieb: Es gab zu keiner Zeit einen überzeugenden Beweis für spezielle Verhör- und Foltertechniken, die über den Kenntnisstand in den USA hinausgingen. Die Tatsache, dass Gefangene regredieren und taktisch die Wünsche der Wächter (wie Kinder der Eltern) erraten, war zu jener Zeit schon bekannt, wurde aber in der Allgemeinheit für unbeachtlich erklärt, in den Handbüchern der CIA (KUBARK) allerdings forschend ergründet. Die raffinierte Bösartigket der Kommunisten wurde somit in diesem Diskurs aus Propagandagründen mystifizert. Man glaubte bei den Geheimdiensten wohl, nur durch paranoische Handlungen auf diese Mystifikationen antworten zu können, die nichts anderes bedeuteten, als jederzeit Kontrolle und Überlegenheit zu zeigen. Nicht nur die Fähigkeiten der Gegner wurden mystifiziert, sondern auch das Selbstbild der USA und seine Ansprüche; dabei half die Psychologie, die heute eine Fortsetzung in den Neurowissenschaften findet.

Jedenfalls scheinen die 1960er Jahre zum Ausgangspunkt der Unterscheidung zwischen physischer und psychischer Folter als allgemein anerkannter Diskurs geworden zu sein. Vom CIA alimentierte Humanwissenschaftler dienten als wissenschaftliche Speerspitze und ihre Forschungsergebnisse als Beweis. In diesen Bereich gehören auch die forcierten Forschungen zu sinnlichen Deprivationen (mittels camera silens), Schlafentzug und Erschöpfung, von Experimenten mit chemischen Substanzen einmal ganz abgesehen. Der Verlust von Gewissheiten hat machtpolitische Ursachen und Wirkungen zur Grundlage,; ihn ins Psychische zu verlagern, eröffnet Mystifikationen eine bedenkliche Bedeutung. Das findet deshalb eine allseits anerkannte Legitimation, weil Macht als psychisches Resultat, das man gebrauchen oder missbrauchen kann, begriffen wird. Psychiater und Psychologen schienen von sich zu behaupten, sie allein hätten alle Kenntnisse vom  Kern der menschlichen Existenz und menschlicher Krisen, ja die Psychologie sei (frei nach Clausewitz) die Kriegsführung mit anderen Mitteln. Wer überall Feinde erblickt, wird nie zum Frieden gelangen. Dies komme in der Dual-Use-Funktion der Psychologie zum Ausdruck, die wie in der Folter beschädigen oder die Folgen von Folter heilen könne, je nach gesellschaftlichem Auftrag. Erst das behauptete umfassende Wissen von der menschlichen Existenz erlaube die bewusst gezielte zweifache Nutzung. Menschen, die dazu fähig sind, können keine Gewissheiten mehr vermitteln, konnten es vermutlich auch nie. Sie haben keinen Boden mehr unter ihren Füßen. Sie schweben in einer Wolke aus Phantasien und Misstrauen, weil die Psychologie sie für alle antizipierbaren gefährlichen Möglichkeiten via Imaginationen aufgeschlossen hat und – einmal in die Welt gesetzt – eine Umkehr nicht gestattet. Man kann also feststellen: Die psychische Folter kam als Phantasma in die Welt und erhielt hier ein reales Leben. Es lässt sich weiter konstatieren, dass sich alle Bereiche menschlicher Existenz psychologischer Empfehlungen bedienen und damit abhängig machen. Die Psychologie wurde somit zu einem realen Machtfaktor, der alle Erklärungen zu materiellen Bedingungen menschlicher Existenz in den Hintergrund verbannte, was vor allem am Erkenntnis- und Erklärungsmonopol für jeweils induzierte Ängste im Subjekt lag. Dieses Monopol wird auch heute bereitwillig akzeptiert, weil niemand oder nur die wenigsten sich die Mühe machen möchten, die eigenen Ängste und ihre bedingenden Faktoren historisch zu analysieren und weil es einfacher ist, die Ängste auszuagieren oder zu projizieren.

Trauma ist ein „schlagendes“ Beispiel für die Aufhebung der Trennng zwischen Innen und Außen, zwischen Leibseele und dinglicher oder personeller Umwelt. Es gibt ein Außen, das durch Zwang, Anpassung oder Einsicht hereingelassen wird (Erziehung), und ein Außen, das verletzt. Oft trifft beides zu. Was jeder Mensch erfährt, wird durch wissenschaftliche Durchdringung in Kategorien und Klassifikationen aufgespalten, wodurch sich Experten herausbilden, die über monopolistische Kenntnisse für subjektive Erfahrungen verfügen. Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, warum so viele junge Menschen sich gedrängt fühlen, sich als Diener der Psy-Wissenschaften zu bewerben und zugleich vom tiefen Wunsch beseelt sind, die Herrschaftsaspekte von Psychologie sich anzueignen, d.h. durch Spezialisierung alle Bereiche des Lebens und der Beziehung von Psyche zu Umwelt unter der Kontrolle von Psychologie zu penetrieren.

 



[i] De Vos, Jan (2011) Depsychologizing Torture. Critical Inquiry 37: The University of Chicago. S. 286- 314.

Hierin geht es nicht nur um Beteiligungen der Berufe von Psychologen und Psychiatern an Folter, sondern auch um den Zugriff dieser Experten auf das (nackte) Leben mit dem Instrument der Psychologie.