Einige kritische Wissenschaftler*innen, die sich seit Jahren mit Trauma und PTSD in den USA und im „Westen“ befassen, sind wie ich (seit 2004) zu der Überzeugung gelangt, dass die Diagnose PTBS wissenschaftlich unhaltbar geworden ist und intellektuell in eine Sackgasse geführt hat.

Die Sackgasse bezieht sich auf die geringe Validität, die deshalb so mangelhaft ausfallen muss, weil PTBS keine Entität der realen Welt darstellt, sondern fälschlich, aber scheingesetzlich einem Ereignis ein Cluster an Symptomen zuordnet, die sein können oder viel häufiger auch nicht. Der Zuordnung liegt eine konzertierte Expertenmeinung zugrunde. Dadurch würde die aus der Medizin für die Annahme einer Pathologie bekannte und geforderte  Ursache-Wirkungs-Relation auf eine Möglichkeit reduziert, wenn nicht der einem traumatischen Ereignis folgende individuelle Integrations- und Bearbeitungsprozess, der gesellschaftliche, d.h. kulturelle Einflüsse berücksichtigen muss, und die posttraumatische gesellschaftliche Reaktion auf die Betroffenen ins Visier genommen werden. Denn so, wie nicht jeder Kontakt mit einem schädlichen Agens, zu Symptombildungen führt, weil die jeweilige Immunlage zur Abwehr und Entschärfung befähigt oder Schwächen aufweist, führen auch traumatische Erlebnisse bei biographischen Ressourcen zur Abschwächung der Symptomatik oder bei deren Mangel zu einem ungefilterten psychischen Störungsbild. Die Physiologie dient der Psychiatrie dabei stets als Analogie und Orientierungshilfe für die Erklärung der Folgeprozesse, die sich auf gewisse Evidenzen beziehen.

Da im Gegensatz zu den meisten physiologisch entstandenen Pathologien noch keine spezifischen Nachweise bekannt sind oder benutzt werden können, ist die Diagnose PTBS abhängig von einer Erzählung, von einer Schilderung der Symptome. Diese können folglich wahr sein oder nicht. Die Diagnose entsteht also durch die Interpretation der Beziehung von Ereignis und Symptomen, was zur Bewertung einer schwachen Validität führt. Interpretationen sind begründbare Möglichkeiten. Sie können in die Irre führen. Wenn das Ereignis real ist (z.B. Beschuss im Schützengraben), dann wird genauso real die Taubheit, Blindheit, Ataxie oder das unbeherrschbare Zittern ausfallen. Sie sind mit Diagnostikersinnen zu erfassen und zu messen. Intrusive Bilder, Angst oder Flashbacks, vermeidendes Verhalten, Alpträume gehören in ein anderes Feld, das sich einer Messbarkeit oder den Diagnostikersinnen entzieht. Ihre „Wahrheit“ entsteht im Kommunikationsakt. Zugleich aber werden diese Teilsymptome zum Kernstück der Diagnose gemacht, die in ihrem Charakter einen Hang zum Katastrophismus unserer Zeit zum Ausdruck bringt und die sozialen Ressourcen zur Überwindung von erlebnisverursachten Leiden entwertet und missachtet.

Den Gebrauchswert der Störungsbezeichnung PTBS im Alltag soll man folglich vom Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung unterscheiden. Der Gebrauchswert in der Kommunikation unter Laien und Experten sollte durchaus erhalten bleiben, da auch in Rentenfragen, Entschädigungen und im Verständnis sozialer Konflikte und Leiden eine gewisse Bedeutung der Evidenz dieser Diagnose nicht bestritten werden kann.

Aber dass jeder Aufsatz, jeder Vortrag, jedes Manual und Lehrbuch mit der Wiederholung der im DSM aufgeführten Symptome und ihrer Erklärungsmuster beginnt, mag ein Bekenntnis des Autors oder der Autorin anzeigen, ist aber stinkelangweilig, weil weder der Wahrheit des Evidenten etwas Neues hinzugefügt werden noch das für evident Erklärte sich kritischen Befragungen unterziehen muss. So versteigt sich Wissenschaft zu einem Glaubensbekenntnis.