Kurze Bemerkungen zu Subjekt und Subjektivität

 

 

Der Begriff „Subjekt“ sollte im Bereich des Psychotraumas in seiner unscharfen und relativierenden Bedeutung akzeptiert werden. Jeder Mensch ist Subjekt, ist ein Gewordener, der zahlreiche Einflüsse in sich aufgenommen hat und mit diesen bewussten oder unbewussten Einflüssen, die zumeist mit Sprache einhergehen, sein Handeln vollführt. Er ist nicht erst Subjekt, wenn er über sein Subjekt-Ich nachzudenken beginnt, wie Descartes bestimmte. Subjektivität setzt sich aus einer Fülle verarbeiteter und unverarbeiteter Wahrnehmungen zusammen, die eine jeweils subjektive Realität entstehen lassen, was Dressur oder Disziplinierung zu verhindern suchen. Dabei entspringen nur wenige Handlungen rein kognitiven Impulsen. Mehrere verwandte Realitätsbetrachtungen lassen eine ähnliche rationale und emotionale Methodik des Zugangs zur Realität und zu deren Bewertung annehmen. Wenn im fortgeschrittenen Alter das Denken über das Ich beginnt, können Zweifel an der Doktrin, wonach allein das denkende Ich  existiert, nicht ausbleiben, aber sicher nur, wenn Zweifel auch als konstruktive Öffnung zugelassen werden und nicht, wie bei uns üblich, als „notwendiger“ Zwang zur Definition des Selbstbildes in Erscheinung treten. Das Denken über das Subjekt-Ich und jede externe Macht und Gewalt machen aus dem Selbst ein Objekt. Das könnte durchaus als Kränkung erscheinen, wenn es als schwierig oder unmöglich wahrgenommen wird, aus dem Objektstatus herauszutreten, was bei posttraumatischen Symptomen angenommen wird. Wenn sich der Objektstatus mit negativen und schmerzhaften Erlebnissen anreichert, wird es in der Tat schwer, sich von den handlungsbestimmenden Elementen des Selbst und Objekts zu emanzipieren.

Nun ist eine durch Gewalt und Macht traumatisierte Person bereits zuvor durch viele Einflüsse präformiert, die ihre Stellung zu Macht und Gewalt bestimmen. Wenn man schmerzhafte und demütigende Gewalt als Instrument der Macht auffasst, dann resultiert ein Trauma durch Demonstration der Macht und nur sekundär durch die benutzte Gewalt. Durch ein oder mehrere traumatische Erlebnisse ist eine solche Person ein Subjekt/Objekt, das sich durch sein Leiden von anderen Subjekten/Objekten unterscheidet. Hieraus folgt, dass solch eine Person eine beschreibende Diagnose erhält, damit ihr Leiden gelindert werden kann. Ist diese Unterscheidung hinreichend für eine pathologische Bezeichnung, wenn man in Rechnung stellt, dass Subjekte sich in vielen Erfahrungen und Charakteristiken von anderen Subjekten unterscheiden, ja dass die Differenz das Subjekt erst konstituiert?

Es ist folglich das leidenerzeugende Erlebnis, wie physiologisch und/oder kulturell es erklärt oder bewertet wird, das den Unterschied ausmacht. Dieses Erlebnis ist benennbar und gilt als Vorgeschichte für die posttraumatische Symptombildung im Gegensatz zur Blinddarmentzündung, die ihre Vorgeschichte allein durch Symptome (Fieber, Schmerz) äußert und erst dann mit einer Diagnose versehen wird. Das haben Experten so festgelegt. Über die Intensität und Dauer des Leidens ist damit keine Aussage getroffen. Sie differieren beträchtlich bei unterschiedlichen Menschen: einige können aus der Bahn geworfen werden, einige stehen eine bestimmbare Zeit unter den Wirkungen von Stress und dessen stofflichen Begleitreaktionen, wieder andere stellen Fragen und können sich an den bereitgestellten Antworten verhaken und erneut verletzen, beim wahrscheinlich größten Teil der Traumatisierten führt die Rückkehr in den Alltag, zu Verwandten und Freunden zu einem Verblassen der Physiologie des Leidens, wobei Wohlwollen, Geduld, Schutz und Solidarität hilfreich sein können.

Die klinisch anerkannte und populäre Beschreibung verlängert und vertieft die Selbstwahrnehmung und Orientierung in der Symptomatik und führt zu Fragen nach dem Selbst als Objekt, die nicht ohne weiteres von den Betroffenen, oftmals allerdings von Experten gestellt werden, d.h. die Fremd- und die Selbstwahrnehmung eines traumatischen Geschehens sind extrem selten identisch, vielmehr hat die traumatisierte Person die Fremdbeschreibung und Fremdbewertung anzunehmen, wenn sie sich in Therapie begibt. Das bedeutet, dass Leiden nach traumatischen Erlebnissen eine „objektivierende“ Diagnose erhält, obschon jedem klar ist, dass es Objektivität von subjektivem Leiden nicht gibt. Dann wird ersatzweise von Annäherungen gesprochen, ein Begriff, der wissenschaftlich nur Sinn macht, wenn er nicht mit Wahrheit oder Ziel gleichgesetzt wird, sondern einen Weg oder eine Sonde bezeichnet. Das Leiden ist ja gerade der unfreiwillige Rückzugsraum von Subjektivität. Er ist für äußere Wahrnehmungen in allen bedeutsamen Dimensionen unzugänglich. Eine Verfestigung des Traumas wird zudem oftmals durch Entschädigungsansprüche bewirkt. Diese können sich über lange Zeiträume erstrecken und dadurch eine Befreiung vom Traumastatus behindern, in dem es zu einer Verschmelzung von Person und traumatischer Zuordnung kommt.

Selbstverständlich wird immer wieder versucht, in diesen Raum der Subjektivität einzudringen, durch Religion, Psychiatrie, neuerdings durch Datensammlungen. Dazu muss eine „gute“ Absicht formuliert werden, mit der Bedenken und Unlust vertrieben werden. Wenn sich aber die „gute“ Absicht mit Macht und Herrschaft verbindet, entleert sie das Gute hinter ihrer Absicht.

Subjekte im Zusammenhang mit Trauma zeigen eine Tendenz zum Wachstum. Während ursprünglich die Konfrontation mit dem eigenen Tod zur Voraussetzung für die Anerkennung posttraumatischer Symptome gemacht wurde, können heute auch die Zeugenschaft fremden Todes oder der Anblick gravierender Verletzungen zum Vollbild von PTBS führen. Das wäre eigentlich ein zivilisatorischer Fortschritt, denn der Zeuge wäre damit Betroffener und mitverantwortlich für den Tod des Anderen (im Sinne Lévinas), in seinem gedanklichen Horizont und vor allem in seinen oft verborgenen oder spracharmen Gefühlen. Das Subjekt des Zeugen erschafft ein Objekt auf Kosten des Anderen, des Gestorbenen. Aber als psychiatrische Kategorie ist wohl diese Deutung nicht beabsichtigt, weil sie  keine Erleichterung oder Entlastung bewirkt. Diese Kategorien orientieren sich an einem Narrativ, womit die Probleme beginnen, denn mit Narrativen kann man seine Subjektivität verbergen oder öffnen. Das Narrativ als kreative Gestaltung eines Ereignisses aus der Erinnerung ist ja stets nur ein expressiver Teil der Subjektivität. Es erlaubt nur sehr selten differenzierende Zwischentöne mit sprachlichen Mitteln.

Schwierig wird es nun, wenn das traumatisierte, leidende Subjekt mit einer weiteren Bezeichnung überzogen wird: Opfer. Das Opfer wird als einer Macht Ausgeliefertes konzipiert, das mehr oder weniger seine Ohnmacht akzeptiert hat, sich ergeben hat und/oder am Widerstand gehindert wurde. Hieraus resultieren Scham und Selbstzweifel oder Selbstbeschuldigungen, die als begleitende Machtäußerungen (Tiervergleiche, Tabubrüche, Leugnung eines Wertes, u.a.) den Opfern implantiert wurden. Diese Wirkungen, die ein Opfer festlegen, lassen sich bei Zeugen von Gräueln, die posttraumatische Symptome ausbilden können, nicht annehmen. Zeugen und Machtbetroffene sollten daher verschiedenen Kategorien zugeordnet und nicht, wie im DSM-5, in einem Katalog subsummiert werden. Im Angesicht des eigenen Todes ist die Bezeichnung Überlebende/r berechtigt, wenn er/sie mit dem Leben, aber geschädigt davongekommen ist. Selbst bei erschütterten Zeugen wird man allerdings nicht von Überlebenden sprechen können. Damit werden nach meiner Ansicht ambivalente, unscharfe Kategorien in die Klassifikation posttraumatischer Phänomene eingezogen. Vielleicht wäre es angemessen, wenn nur die Überlebenden von sich als Überlebende sprechen würden. Beim Gebrauch von „Überleben“ stellen wir eine hohe Inflationsrate fest, weil offenbar Subjektivität sich reaktiv in viele Bedrohungsszenarien  wühlt.

Dieser Einwurf wollte die Erkenntnisprobleme andeuten, denen sich das traumatische Subjekt in seiner Subjektivität durch fixierende objektivierende Bezeichnungen gegenübersieht.