Die sozialen Bewegungen der reaktionären Rechten saugen nicht nur die Ausdrucksformen der linken Protestbewegungen auf – vor fünfundzwanzig Jahren hielten sie sich noch schamhaft in Sälen auf, heute machen sie Sit-ins, organisieren Begehren als „Volksbegehren“, provozieren in grober wahrheitswidriger Weise und gehen gegen die Eliten auf die Straßen – sie stilisieren sich ergänzend auch als Opfer, die von einer bestimmten politischen Kaste und den „Fremden“ produziert werden, die, so hört man aus reaktionären Kreisen, über kein Bewusstsein der Bedeutung von Rasse, Reinheit und Rausschmiss verfügen.

Wenn die Identität als Volk, gar die „Rasse“ verletzt wird, sei es durch Kulturfremde oder liberale Bürgerliche, dann wird, so die innere Logik der Rechten, ein elementarer Bestandteil der psychischen Selbstdefinition so geschädigt, dass Rettung nur aus einer Bewegung kommen kann, die in der Lage ist, nicht nur die so genannte Volksidentität wiederherstellen, sondern auch den Schmerz des Opferstatus durch Aktivität zu vertreiben. Das heißt explizit, die verlorene oder gefährdete Identität gestattet und rechtfertigt auch Gewalthandlungen gegen die Gefährder, weil Identität der zentrale Baustein des Selbstbewusstseins der Rechten ist, ohne den das reaktionäre Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Dabei spielt keine Rolle, dass diese Identität keinen Halt bietet und aus der fernen Vergangenheit hergeleitet ist, die im Gegensatz zur Psychoanalyse gar keine Berührungspunkte zur eigenen Geschichte aufweisen muss und eigentlich nur ein Wunschbild, ein Desiderat und ein Füllsel für innere Leere ist. Über die ferne Vergangenheit brauchen die auf Identität Bestehenden gar nichts Genaues zu wissen. Das diffuse Gefühl, ein Opfer zu sein und einen tiefen Mangel zu spüren, reicht zur Identität, die schon seit längerem wie in der Kindererziehung oder im Sozialverhalten Grenzen setzen, bewachen und verteidigen muss.

Bedrohung des psychischen Kerns ist ein herausragendes Kennzeichen der Expertenvorstellung von Psychotraumatologie. Aber nicht Therapie ist das Heilmittel für die verletzten Kerne rechter, besser reaktionärer Überzeugungen, sondern es ist die Bewegung, wie Hardt und Negri unter Verweis auf Carl Schmitt belegen.

Aus der Beobachtung der Wirkung von Bewegungen, die auch schon aus der Beobachtung der Kriegszitterer und Bewegungsgestörten nach dem ersten Weltkrieg zu gewinnen war, ließen sich mögliche Rückschlüsse auf die therapeutischen Angebote ziehen, die das Repertoire der Individualbehandlungen erweitern könnten. Die Lazarette lichteten sich, als der Krieg beendet war und eine linke Bewegung zum Anziehungspunkt für Zornige wurde. Wobei ein feindlicher Streit über die Inhalte und Richtung der Bewegung entbrannte, weil auch die reaktionäre Rechte ihr Heil in der Bewegung gegen die Republik sah. Eine Bewegung nach Rückwärts wie heute in Deutschland ist eigentlich keine Bewegung, selbst wenn man Identität und Volkscharakter, Führerschaft und Autorität zu retten vorgibt. Sie vermeidet einfach die Auseinandersetzung mit den aktuellen und historischen Realitäten und sucht Handlungsfähigkeit allein in der aggressiven Ausgrenzung. Auch Angst, Unsicherheit, die Aggressionen hervorrufen, haben historische Dimensionen, das sollten Traditionalisten nicht vergessen.

Es wirkt absurd, wenn man die reaktionäre Rechte bei der Vereinnahmung ihres Traumas als elementarer Verlust (ein ursprünglich humanistisches Projekt der Aufklärung) erwischt, denn die Verdrehung oder falsche Projektion von elenden, oftmals traumatisierten Flüchtlingen auf die eigene Opferrolle ist an Kurzschlüssigkeit nicht zu überbieten. Da stellt sich die Frage, was der reaktionären Rechten zu welchem Zeitpunkt und durch welche Wirkkräfte abhanden gekommen ist, damit sie zu solchen Projektionen, die ihr zumeist unbewusst bleiben, fähig wurde.

Teile der reaktionären Kritik an der aktuellen Politik ließen sich auch von Linken formulieren, was den Sog in die Bewegung teilweise erklären könnte. Die aus der Kritik gewonnenen Konsequenzen und das angestrebte Gesellschaftsbild wären allerdings sehr verschieden. Reaktionäre Rechte und Linke können übereinstimmen in der Haltung zum Kapitalismus, der für kulturelle Ungleichheit, Enteignung und Verarmung verantwortlich ist und der zudem keinen Platz für Selbstbestimmung lässt.

Die inkorporierte Opferrolle zeigt stets eine Affinität zu bekenntnishafter Gewalt und Märtyrertum und das nicht nur bei religiös motivierten Opferhaltungen und der „Befreiung“ aus solcher Haltung, die man bei Märtyrern als Feigheit vor dem Leben und als Unfähigkeit zur Veränderung des Männerbildes bezeichnen könnte, wenn der Lohn des Märtyrers in der sexualisierten Beherrschung von jungen Frauen gesehen wird.

Die reaktionäre Rechte (z.B. als Teil der AfD) sieht sich immer in der Rolle des Opfers (der Medien, des Establishments), die sie nur mit dem Machtgewinn abschütteln kann, der sich auf völkisches, rassistisches Gestammel und Forderungen nach einer sozialen Bewegung stützen will. Die reaktionäre Rechte wird im Rahmen der internen Machtfrage erst einmal klären müssen, welcher Flügel, der völkische, konservative gegen den mit sozialer Umverteilung, in der Hierarchie vorne liegt. München war einmal „Hauptstadt der Bewegung“, Bayern arbeitet wieder daran.