Sepp Graessner

 

 

An den Anfang stelle ich ein Zitat Jean Amérys, der sich am belgischen Widerstand gegen die Nazibesatzer beteiligte und gefoltert wurde. Es belegt, dass der Begriff: Ressentiment in den 1950/1960er Jahren durchaus geläufig war:

 

„Misstrauisch auskultiere ich mich: Es könnte sein, dass ich krank bin, denn objektive Wissenschaftlichkeit hat aus der Beobachtung von uns Opfern in schöner Detachiertheit (Gleichgültigkeit, S.G.) bereits den Begriff des „KZ-Syndroms“ gewonnen. Wir alle seien, so lese ich in einem kürzlich erschienenen Buch über „Spätschäden nach politischer Verfolgung“, nicht nur körperlich, sondern auch psychisch versehrt. Die Charakterzüge, die unsere Persönlichkeit ausmachen, seien verzerrt. Nervöse Ruhelosigkeit, feindseliger Rückzug auf das eigene Ich seien die Kennzeichen unseres Krankheitsbildes. Wir sind, so heißt es, „verbogen“. So habe ich denn die Ressentiments nach zwei Seiten hin abzugrenzen, vor zwei Begriffsbestimmungen zu schirmen: gegen Nietzsche, der das Ressentiment moralisch verdammte, und gegen die moderne Psychologie, die es nur als einen störenden Konflikt denken kann.“

 

         Bislang hat kaum jemand die historischen Linien von Begriffen, die psychische Gewaltfolgen in Menschen bezeichneten, zu dem heute gebräuchlichen Begriff des Psychotraumas gezogen. Hinter diesen Wandlungen stehen Psychiater-Akteure aus den USA, die mit hilfsbereiter Naivität Diagnostik und Therapie für Vietnam-Veteranen entwickelten und anboten und damit eine Forderung von Experten wie R. Lifton, C. Chatan und dem Militärkomplex erfüllten. Zugleich reklamierte die damals eingesetzte Task-Force die Folgen von Lebensbedrohung und erlittenen Gewalthandlungen als genuin psychiatrisches Gelände, das sich universeller Ausdehnung erfreuen sollte. Es ist daher verblüffend, dass aktive Gewalthandlungen (von z.B. Soldaten) nicht in den Genuss psychiatrischer Aufmerksamkeit kommen sollten.

Zuerst stelle ich psychologische Elemente des Ressentiments heraus und vergleiche deren Kern mit dem Katalog des „modernen“ Psychotraumas, dann erlaube ich mir einige Bemerkungen zu Nietzsches Verständnis von Ressentiment.

Mit Ressentiment wurde in früheren Zeiten eine bestimmte Bedeutung angesprochen, wonach ein Mensch einen Groll hegt, der fortwährend in ihm wühlt und keine Ruhe geben will. Der Groll hatte als wesentliche Ursache eine oder mehrere Demütigungen, die zu Hilflosigkeit und Unterlegenheitsgefühlen geführt haben. Solche Demütigungen werden als Ungerechtigkeit empfunden und entspringen aus schmerzlichen Vergleichen mit anderen Menschen, die etwas haben oder sind, was man selbst gern wäre oder hätte. Ganz allgemein: Wenn Selbstbild und Außenwahrnehmung auseinanderfallen, kann ein Ressentiment resultieren. Groll gelangt nicht wie Wut zu spontanem Handeln, kann aber mit Latenz zu Rachehandlungen oder Rücksichtslosigkeit und Selbstbeschädigungen führen. Man könnte als These sagen, Groll sei hinsichtlich seiner Dauer durch Angst eingezäunte Wut oder Grimm.

Ressentiments gibt es im Plural, Groll wohl nur im individuellen Singular. Da stellt sich die Frage, welche Bedeutungen eigentlich die Mehrzahl der Ressentiments kennzeichnet und was diese vom singulären Groll unterscheidet. Die bei woxicon angebotenen Synonyme für Teilaspekte von Ressentiment  lauten Feindschaft, Hass, Gereiztheit, Voreingenommenheit, Vorurteil, Aversion, Unduldsamkeit, Engstirnigkeit, Verblendung, Ranküne, Neid u.a., also jeweils Begriffe mit negativer Konnotation, obwohl in alten Zeiten auch ein Gefühl der Dankbarkeit mit dem Begriff verbunden gewesen sein soll.  Im Lateinischen bedeutet „sentire“ u.a. schmerzlich empfinden. Das französische Verb „ressentir“ bedeutet nach Langenscheidts Wörterbuch, die Folgen von Etwas oder einer Sache immer noch verspüren. Auch im englischen „resentment“ ist die Bedeutung: Groll im Vordergrund. Es erscheint daher naheliegend, dass durch andauernde Ressentiments auch der Schlaf beeinträchtigt ist, Erregung persistiert, Tagphantasien und Alpträume angeregt und komponiert werden und die Konzentration reduziert ist.

Ein dauerhafter Groll kann unterschiedliche Formen annehmen, in denen er sich äußert, zumeist tritt er mit den Bedeutungen der Synonyme für Ressentiment in Erscheinung. Er kann sich in Verhaltensweisen ausdrücken, die sich als sozialer Rückzug und Ängstlichkeit darstellen. Oft besteht ein ausgeprägter Pessimismus. Ein Urteil, aus Groll verkündet, verheißt nichts Gutes oder Hoffnungsvolles. Er kann zu plötzlich wechselnden Stimmungen führen. Der Groll kann sich den Gesichtszügen einschreiben und sich in somatische Beschwerden verwandeln. Ein andauernder Groll führt konstant zu einer Beschäftigung mit den Ursachen und den Verursachern. Er bebildert auf  imaginierte Weise die Situation der Demütigung mit Szenen von Widerstand und Stärke, nachdem die Originalszene (als Flashback) erneut vor das geistige Auge getreten ist. Der Groll wird als dauerhafte Haltung zu einer Eigenschaft der Persönlichkeit, die ihre menschliche Umgebung mit Beschränkungen der Lebendigkeit beeinflusst. Der Groll mobilisiert zwar auch Rachephantasien, kann aber oft wegen der Komplexität der Ursachen eine Rachehandlung oder einen lindernden Ausgleich nicht vollziehen. Allerdings äußert sich ein dauerhafter Groll oftmals als Paradox: in Gestalt aktiver Feindseligkeit gegenüber anderen ungerecht Behandelten und Gedemütigten und nicht gegenüber den verursachenden Akteuren. Im Groll sind immer die anderen schuld. Ein andauernder Groll verliert sich nicht im Vergessen oder Vergeben. Der Stachel sitzt zu tief und kann sich über eine Unversöhnlichkeit zu einer engen Weltsicht und Intoleranz wandeln. Pegida ist eine kollektive Antwort aus einem diffusen Groll. Ressentiment verbindet sich gern mit Feigheit, indem es glauben macht, die Schwäche von z.B. hilfsbedürftigen Flüchtlingen würde zur eigenen Stärke, wenn man sich im Kollektiv zusammenschließt. Sehr wahrscheinlich bedienen sich alle politische Parteien des Ressentiments, indem sie Versprechen zu dessen Auflösung machen. Der Grollende macht selten die notwendigen reflektierenden Schritte, um sich vom Groll zu befreien. Die meisten richten sich im Groll ein. Der Groll ernährt sich vom Ressentiment. Er kann dadurch wachsen. Groll führt zu einer reduzierten, vereinfachten Weltsicht.

Das Ressentiment ist seit Jahrhunderten geläufig. Nachgewiesen ist es in der Literatur seit dem 16. Jahrhundert. Für Montaigne war das Ressentiment der Ursprung einer Forderung nach Gleichheit, denn gesellschaftliche égalité zielt darauf, Überlegenheit und Macht zu beschneiden oder gar zu vermeiden, die ihrerseits ein wesentliches Motiv für aktive Demütigungen und Ungerechtigkeiten sind.

Ressentiments stecken in jedem Menschen mehr oder weniger lange. Man darf fragen, was die Menschen angestellt haben, damit ihre Ressentiments nur kurze Zeit in ihnen bewahrt blieben. Wie kamen sie wieder ins Gleichgewicht? Haben sie die demütigende Situation verdrängt, vergessen, verleugnet? Haben sie im Kontext der Demütigung ihren eigenen Tatbeitrag erkannt oder sich gar in der Selbstbeschuldigung niedergelassen? Oder haben sie ihren Groll zu relativieren gelernt, indem sie Herrschaft und Überlegenheit als unüberwindbar anerkannten? Jeder Widerstand gegen herrschende Verhältnisse entspringt aus einem latenten Groll und kann bei Erfolglosigkeit den Groll verstärken.

Hier nun hatte in langer Vergangenheit die vorherrschende Religion eine Hauptrolle bekommen. Sie verkündete, der Ausgleich zur Ungerechtigkeit und zum individuellen Groll sei im Jenseits zu suchen und das Diesseits sei lediglich ein Tal voller Tränen. Man müsse hinnehmen können, was ohne Vorsatz über einen hereinbricht. Und man müsse vergeben können, was einen zum Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse gemacht habe. In dieser Auffassung liegt nicht ein Schimmer von Emanzipation; sie ist reaktionär. Der Groll hat einen Gegenspieler: die Hoffnung, dass alles besser werden möge. Man findet beide Haltungen kaum in einer Person und wenn, dann ist der Groll bereits in Auflösung. Allerdings ist die Hoffnung eine innere, zuweilen adressierte Empfindung, sie ist nicht automatisch eine Aufforderung zum Handeln oder Widerstand.

Ein Mensch mit einem Ressentiment im Sinne eines Grolls grollt nicht nur dem Verhalten eines oder mehrerer Verursacher, sondern er grollt auch seiner Rolle in der demütigenden und schmerzhaften Szene.

Er kann sich diese übelnehmen und Schuld und Scham empfinden bei der Erinnerung an diese Schmach, die er immer noch nicht abschütteln konnte. Dann kann auf einmal Wut aufwallen, die bis dahin von der Angst in Schach gehalten wurde. Solange die Angst vor Sanktionen oder noch größeren Demütigungen vorherrscht, ist im Allgemeinen der Denk- und Handlungshorizont beschränkt. In dieser Periode kommt es gern zu vereinfachenden Projektionen auf einen oder mehrere Sündenböcke, weil es entlastet und die eigene Scham besänftigt. Solange Angst die Handlungsoptionen bestimmt, werden Projektionen auf Schwächere oder Minderheiten von Feigheit begleitet.

 

Darf man nun eine begriffliche Linie vom Inhalt der Begriffe Ressentiment oder Groll zum Psychotrauma im gegenwärtigen populären und psychiatrischen Sprachgebrauch (im DSM) ziehen? Als These lässt sich formulieren: Das Ressentiment, das einer Demütigung folgt und als psychophysischer Ausdruck der Demütigung auftritt, ist die unsystematisierte Form des klinischen Psychotraumas. Die Folgen einer traumatischen, d.h. demütigenden Handlung wurden durch Beobachtungen und Berichte von Soldaten in einen klinischen Kanon aufgenommen. Etliche Veteranen dachten, sie seien durch die Konfrontation mit Tod und Verletzung zum Groll verurteilt, der rigide Drill und die Ausbildung zum Töten hätten keinen Einfluss auf ihre posttraumatische Befindlichkeit, sehr wohl aber die Ablehnung durch weite Teile der Bevölkerung nach der Rückkehr. Alles Verschiebung!! Sehr viele Veteranen fühlten sich von der Politik verschaukelt und in einen Krieg ohne Werte und Moral, aber mit Lügen und Pathos getrieben. Nun kann sich aber ein dauerhafter Groll bereits in der Ausbildung vorbereiten, wenn nicht manifestieren.

Das katalogisierte und systematisierte Psychotrauma nach Gewalterlebnissen präsentiert sich als Präzisierung und Differenzierung des Ressentiments. Im Grunde wurde lediglich das traumatische Erlebnis definiert – als Gefahr für Leib und Leben -, das vom Schreibtisch aus etliche Ursachen für Ressentiments auszuschließen schien, obschon auch der Groll mit seinen Dauerwirkungen auf Erlebnisse von existenzieller Bedrohung zurückzuführen sein kann. Der Vorwurf unterlassener Hilfeleistung kann dauerhaft erhoben werden. Es ist dabei z.B. an Besatzungsmächte, die Waffengewalt in ihren Händen hält, an Zerstörungen von materiellen Ressourcen oder verordnete Umdeutungen der Geschichte zu denken. Der Groll kann jedoch auch unterhalb der Schwelle einer Lebensgefahr auftreten, bei Enteignungen, bei Nichtberücksichtigung von Beförderung im Dienst, bei Mobbing u.a. Manifester Groll ebenso wie posttraumatisches Befinden können zur Selbstschädigung führen und Vernunft einschränken.

Als der Groll noch Groll war und nicht PTBS, wusste er noch nichts von einer Stresstheorie. Mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es auch einen kollektiven Groll, der im öffentlichen Gedenken an Demütigungen seine Wirkung entfaltet. Die Kardinalsymptome der posttraumatischen Belastungsstörung lassen sich mit kleinen Varianten auch beim Ressentiment belegen. Es ist lediglich noch nicht nachgewiesen worden, dass ein manifester Groll zu einem spezifischen Vermeidungsverhalten führt, obschon dies einleuchtend wäre. Übererregtheit und Intrusionen können sowohl beim Ressentiment als auch post Trauma als sicher angenommen werden. Allerdings taucht der Groll als klinische Kategorie nur extrem selten auf, obwohl für zahlreiche Verbrechen oder Vergehen das Ressentiment ein zentrales Motiv bildet. Der Groll wird eher durch Machtäußerungen provoziert als durch unmittelbare Gewalt, obwohl eine solche Unterscheidung erst in zweiter Linie Bedeutung erlangt, denn Gewalt entwickelt auf der Basis von Macht, und Macht bedient sich oft der physischen Gewalt. Landläufig erscheint der Groll unspezifisch, kann von außen auf keine benennbare Ursache bezogen werden. Das liegt aber wohl eher daran, dass der Groll oder Menschen mit Ressentiment nicht Gegenstände von befragender Forschung geworden sind. Sie wurden weniger als psychische Störung betrachtet, eher als Charakterzug hingenommen, während das Psychotrauma, weil es eine klinische Kategorie wurde, als „Einschlag“, als „Durchlöcherung des Ich-Schutzes“, als „Verlust des Weltvertrauens“ gewertet wurde, was nicht Wissen repräsentiert, sondern Metaphern und Deutungen einsetzt. Es ist wohl eine Tatsache, dass es einen andauernden Groll ohne traumatisches Erlebnis nicht gibt. Groll ist nicht irgendeine Äußerung nach Trauma, sondern nimmt den gesamten Katalog  posttraumatischer Symptome auf und führt in der Kindergeneration zu gestörten Verläufen der Entwicklung.

Die wesentliche Unterscheidung zwischen Ressentiment und posttraumatischer Störung ist somit die definierte auslösende Situation, die ursprünglich von soldatischem Kriegserleben abgeleitet wurde und sich später im DSM IV und DSM V im Unbestimmten verlor, und zwar in dem Maße, wie die Symptome der PTBS auch durch andere Auslöser eintreten konnten, was durch zahlreiche Kasuistiken illustriert wurde. Diese Tatsache wird zwangsläufig eine Verquickung zum Ressentiment herstellen. Die neuen Traumaauslöser (Scheidung, Verluste von Tierherden und andere Verluste, Schläge von Polizisten auf friedliche Demonstranten, u.a.) führen mit großer Sicherheit in das Ressentiment. Wie lange es andauert, hängt in erster Linie von der sozialen Umwelt ab und nicht allein vom auslösenden Erlebnis.

 

Um es deutlich zu sagen, hier geht es nicht um die Karriere eines Wortes, das in Vergessenheit geraten ist und durch einen anderen Begriff ersetzt wurde, wobei die klinische Eingemeindung des neuen Wortes Trauma erst zu einer systematischen Forschung geführt hat, die in großen Teilen überflüssig wäre, wenn man sich auf begleitende Beobachtungen beziehen und verlassen wollte sowie die Selbstbeschreibung von Betroffenen fördern würde. In der Literatur fand ich keinen Bezug zum Ressentiment, das doch wesentliche Elemente der posttraumatischen Belastungsstörung aufweist. Das Verständnis und der Inhalt des Begriffs mögen unterschiedliche Akzentuierungen haben, die sich in den Synonymen niederschlagen, der Groll scheint aber immer im Bedeutungszentrum zu stehen.

Wenn ein Trauma zu aktualisierenden Empfindungen und Bildern von erlittenen Demütigungen führt und die Betroffenen erstarren lässt, dann lässt sich gleichfalls dies vom Groll behaupten, der auch einen längeren oder dauerhaften inneren Aufruhr beinhaltet. Vielmehr geht es um die Vereinnahmung innerer Prozesse durch die klinische Psychiatrie, mit der eine Neuerung der Nosologie in die Welt kam. Der klinisch geadelte Groll heißt nun posttraumatische Belastungsstörung.

Unter allen emotionalen Phänomenen, die sich zum Ressentiment/Groll zusammensetzen, sind die wiederkehrenden und prospektiven Angstgefühle nicht explizit aufgeführt. Es scheint jedoch, wie wenn diffuse Angst und der Wechsel zur Depression nicht zur Unterscheidung zwischen Ressentiment und Trauma beitragen oder taugen. Beim Groll war bereits die Angst als Reaktion auf die Unterlegenheit, Demütigung oder Macht mit Gewalt genannt worden. Angst vor Wiederholungen demütigender Erlebnisse oder Angst vor noch gewaltigeren Auslösern können dauerhafte Begleiter bleiben. Auch braucht der Groll Stichworte oder verwandte Situationen, um sich zu aktualisieren und zu verstärken.

Wenn Améry sagt, die Psychologie könne das Ressentiment nur als störenden Konflikt denken, so liegt darin bereits eine frühe Kritik an der Eingemeindung des Grolls in den psychomedizinischen Kanon, die wohl von ihm als Enteignung aufgefasst wurde. Abgetrennt von der Ursache wird allein die Folge eines Gewaltakts fokussiert, was dem Eingeständnis gleichkommt, man könne an den Ursachen nichts ändern. Die brutale Gewalt entsprang aber einem gesellschaftlichen Konsens der Besatzungsmacht, war Teil der deutschen Kultur. Die Klinifizierung des Grolls beabsichtigt, eine adäquate Reaktion in die pathologische Sphäre zu tragen und zu fragmentieren.

 

 

Das im Zitat Amérys angesprochene Ressentiment, gegen das er sich meinte abschirmen zu müssen, findet sich in der „Genealogie der Moral“ von Nietzsche in der dritten Abhandlung.

 

„Das sind alles Menschen des Ressentiment, (....) wann würden sie eigentlich zu ihrem letzten, feinsten, sublimsten Triumph der Rache kommen? Dann unzweifelhaft, wenn es gelänge, ihr eigenes Elend, alles Elend überhaupt den Glücklichen ins Gewissen zu schieben: so dass diese sich eines Tages ihres Glücks zu schämen begönnen.“[1]

 

Gemeint sind die Kranken, Elenden und Unglücklichen, die nach Nietzsches Auffassung ihr Elend zu einer psychisch wirksamen Waffe umformen, weil sie den Glücklichen ihr Glück nicht gönnen oder die Glücklichen für ihr Elend verantwortlich machen. Diese Waffe zielt auf das Gewissen der Glücklichen und soll Schuld und konsequentes Handeln provozieren. Zwar bleibt hier offen, was unter Glück zu verstehen sei, aber die Einteilung der Menschen in Glückliche und Unglückliche und ihre Gleichsetzung mit Gesunden und Kranken geht in aller Oberflächlichkeit an der Empirie vorbei. Offenbar hatte Nietzsche etwas gegen Revolte und Aufstand gegen die herrschenden Mächte, vor allem schien er die psychologischen Methoden und Folgen eines Kampfes gegen Ungerechtigkeit zu fürchten. Moral sei stets die Antwort der Schwachen auf die Starken, denen empfohlen wird, sich gegen Schuldempfindungen anästhesierend zu panzern. Niemals hätte Nietzsche „Ecce Civitas“ schreiben können.

Der Groll des Verfassers dieses kurzen Beitrags, der nicht bestritten wird, hat sich schreibend zurückgezogen und dem konstruktiven Spott Platz gemacht. Küchenpsychologische Deutungen sollten daher im Halse stecken bleiben, damit sie nicht als aggressive Akte aufgefasst werden.



[1] Friedrich Nietzsche (1968) Genealogie der Moral, III,14, Studienausgabe, Frankfurt/M. Fischer, S. 112/113.