Kann man die kommunikativen und emotionalen Auswirkungen extremtraumatisierter Menschen auf die nachfolgende Generation Trauma nennen? Im Einwurf vom 29. November 2019 hatte ich begründet, warum ich mich ohne Praxis nicht zum „Trauma“ der zweiten Generation von Holocaust-Überlebenden äußern könne. Ich habe keine Kenntnis über Betroffenenzahlen und kann die vielfältigen Einflusssysteme in ihrer Dynamik und Wirkung nicht beurteilen. Meine Vorstellung kann mich leiten. Ich denke, das Problem einer „Traumatisierung“ der zweiten und dritten Generation ist mit Pathos und Empathie nur im Zusammenhang mit anderen Dauertraumatisierungen (durch Massenmord, Geiselnahme, Genozid, Giftgasattacken, Bürgerkrieg, Entmenschlichung, Zwangsumsiedelung und Verschleppung) zu verstehen, wobei moralische und menschenrechtliche Urteile gesprochen, geschichtliche Deutungen gebildet werden, Bedeutung für den Einzelnen erlangen, intensive Arbeit am Unverständlichen fordern und zum Kristallisationskern für kollektive Forderungen nach Reparation und gerichtlicher Verurteilung der Täter werden. Hierbei geht es nicht um Relativierungen des Holocaust, der gezielten Vernichtung der Juden Europas, sondern es zeigt sich die Bandbreite psychischer Traumata, die aus langdauernder Verfolgung und Bedrohung des Lebens, Verlusten des sozialen Gefüges, der Benachteiligung und Diskriminierung in negativer Weise auf die Kindergeneration resultieren. In Bezug zu traumatischen Folgen kann kein historisches Ereignis von Mord und dauerhafter Intensivbedrohung ein Privileg beanspruchen. Trauma mit dazugehörendem Diskurs ist sicherlich kein feststehender Begriff, der definitionsgemäß einem Gewalterlebnis folgt und in seiner Bedeutung, Praxisorientierung und Applikation nicht spezifisch oder dogmatisch beschränkt werden kann. Trauma hält sich trotz eines offiziellen Symptomenkatalogs (im Sinne von PTBS) in aller Subjektivität für angemessene, aber auch für flexible Deutungen und Zuschreibungen offen. Damit öffnet sich Psychotrauma auch für universelle Dimensionen, was durch Opferhierarchisierungen verhindert würde.

         Was bezeichnet die zweite Generation? Bei Holocaust-Überlebenden und Vertriebenen ist die Generation der Kinder und Kindeskinder gemeint. Bei Kindern von Sklaven lässt sich die zweite Generation nicht in dieser Weise fassen. Die Kinder von ersten Skaven wurden selbst zu Besitzsklaven, so wie auch deren Kinder. Die zweite Generation ist jene gesetzlich benachteiligte Generation, die nach dem amerikanischen Bürgerkrieg als Kinder von Sklaven oder nach der Befreiung von Kolonialmächten in die Welt kam. Sie waren nicht den traumatischen Erlebnissen ihrer Eltern und Großeltern ausgesetzt, weshalb man bei ihnen nicht von einem Trauma sprechen kann. Ein Trauma setzt schlicht ein Erlebnis von Lebensbedrohung, elementarem Schrecken, Verlusten von Angehörigen und Bedeutungen, Hilflosigkeit und Demütigung voraus. Die Existenzkriege in Israel lassen einige Parameter für Trauma bzw. Retraumatisierung hervorbrechen, mit denen sich die zweite Generation verzögert auseinandersetzen musste. Die Vertreibung der Palästinenser belegt die Ambivalenz des Opferstatus, der nicht nur durch Passivität charakterisiert sei. Auch die Nachfahren von Sklaven zeigen heterogene Muster von Folgesymptomen, darunter einige Parameter für psychosoziales Trauma: Demütigung, Angst, Diskrimierung, „wissenschaftlich bewiesene“ Minderwertigkeit, Benachteiligung, Ghettoisierung, Armut, Wut usw. Sie entwickelten über Generationen einen Habitus, der im Blues seinen Ausdruck fand, eine vollständige Emanzipation aus dem Opferstatus aber nicht gestattete. Heute beobachtet man zunehmend Tendenzen, im Aufruhr und der Forderung nach Gerechtigkeit den Opferstatus hinter sich zu lassen.

Das Lebendige weist stets eine zeitliche Dimension auf, eine Geschichte, die durch Katastrophen und Traumata so fragmentiert werden kann, dass nachfolgende Generationen sich abmühen müssen, das fragmentierte Kontinuum der Zeit wieder zu komplettieren, was wegen des Unverständnisses und der Ungeheuerlichkeit aus den Bruchstücken der beschädigten Narrative und Verhaltensmuster von traumatisierten Eltern und Großeltern misslingen kann, vielleicht muss.  Es handelt sich um kulturelle und nicht biologische Probleme, soweit man heute feststellen kann. Diese Annahme muss für Holocaust-Überlebende genauso gelten wie für die folgenden Generationen von Sklaven und Kolonialherrschaft. Die Unfassbarkeit des Holocaust ist sehr wohl mit der Unfassbarkeit der Sklaverei zu vergleichen, weil Menschen entmenschlicht und wie Vieh behandelt wurden. Die griechische und römische Antike kannte die positiv bewertete Praxis der Sklavenhaltung und bildete somit in gedankenarmer Verehrung ein Muster über Jahrhunderte, das in die Rechtssysteme eingegliedert war.

Mit Waffengewalt entführt, in überfüllte Schiffsbäuche  gepfercht, wobei etliche Menschen zu Tode kamen, auf Märkten versteigert, als Zwangsarbeitssklaven ohne Rechte eingesetzt, jeder Willkür ausgeliefert, in Lagern untergebracht, wo sie ihre Arbeitskraft erhalten sollten, von Geschichte, sozialer Umgebung und Tradition abgeschnitten, „wissenschaftlich“ als minderwertig oder gefährlich eingestuft in einem traumatischen Prozess von über 300 Jahren – das kann z.B. heutige Afroamerikaner in einer Weise psychosozial verletzen, wenn diese Geschichte vieler Generationen sich auf die nachfolgenden Generationen, von weißen Vorurteilen beladen und geprägt, überträgt. Wie kann eine solche Geschichte, die auch über den z.B. US-amerikanischen Bürgerkrieg hinaus und die formale Abschaffung der Sklaverei Wirkung entfaltete, überhaupt integriert werden? Es ist das schlagendste Beispiel für die These, dass es extrem schwierig ist und von beiden Seiten die Aufgabe von Maximalansprüchen fordert, wenn Täter und Opfer in einer Gesellschaft koexistieren sollen und die Spannungen bis in die Gegenwart andauern, Spannungen, die nicht mit Entschuldigungen aus der Welt zu schaffen sind und bis heute auf eine glaubwürdige Anerkennung der Verbrechen und Reparation warten. Die fabrikmäßige Ausrottung ist den afrikanischen Arbeitssklaven aus ökonomischen Gründen erspart geblieben. Aber nicht einmal die lange Vorgeschichte einer Dauerfeindseligkeit, wie sie sich als Antisemitismus entwickelte, fehlte gegenüber afrikanischen Sklavennachfahren. Der Rassismus nahm diese Stelle ein. Er dauert an trotz zahlreicher Gesetze. Dummheit lässt sich nicht verbieten, wenn wir ein Recht auf Dummheit zulassen, ja sogar fördern. Ich deute also ketzerisch eine traumahistorische Parallele an, die sich aus Verbrechen gegen die Menschlichkeit herleitet, ohne dass die jeweilige Singularität geleugnet wird. Wenn es ein Konstrukt einer Traumatisierung der zweiten und von weiteren Generationen gibt, dann können Opfer von Naziverbrechen und Opfer von Sklaverei verwandte psychosoziale Merkmale, Symptome und Spätzeichen in Anspruch nehmen. Das herausragende Symptom scheint mir die offene oder unterschwellige Angst vor Wiederholung bzw. vor noch größeren Verbrechen zu sein. Diese Angst wird zum Leitmotiv für politisches Handeln. Daneben – und das ist für die Nachfahren relevant – tritt eine mehr oder weniger erkennbare Beziehungsstörung in den Vordergrund des Sozialisierungsprozesses der Kinder.

Das gesellschaftlich produzierte Konstrukt eines Traumas über Generationen hinweg muss sich der Frage des Hintergrunds und der Intention stellen, nachdem die ersten 6-10 Jahre (bis zum Eichmann-Prozess) vor allem unter juristischen Gesichtspunkten den Holocaust in Israel und weltweit bearbeiteten. Es müssen sozial generierte Interessen analysiert werden, um das Auftauchen einer psychischen Verletzung der Nachfahren zu verstehen. Dafür braucht es ohne Zweifel eine entsprechende Praxis mit Anamnesen, Diagnosen und Therapie, notwendig auch Schutz, Beobachtung und soziale Stützung.

 Erinnerung in Ritualen, die Resilienz hervorbringt oder sich auf sie stützt, bildet den Großrahmen. Zudem bringt sie eine verallgemeinerte Erzählung hervor, die von individuell Erlebtem abweichen kann, ferner eine etablierte Geschichtserklärung, die ein Verstehen in allen Details nicht ermöglichen kann. Diese Faktoren sind ein Kristallisationsthema, das Zusammengehörigkeit gestattet und Programme zur sozialtherapeutischen Linderung von Leiden bereitstellt. Die Wunden aus Menschheitsverbrechen werden historisierend offen gehalten, die zweite Generation wird zum Zeugen der Beschädigung ihrer Eltern, die einen Anspruch auf Verurteilung der Verursacher und so genannte Wiedergutmachung fordern. Ein dauerhafter   Alarmismus wegen allgegenwärtiger Bedrohungsgefühle kennzeichnet den Alltag.

Man wird, um die Probleme der nachfolgenden Generationen von extremtraumatisierten Überlebenden verstehen zu können, auf die Symptomatik der Überlebenden verwiesen, die sich im Erziehungsstil und der emotionalen Beziehung zu Kindern als irritierend und entwicklungsbeschränkend ausdrücken kann. Eine gewisse Haltlosigkeit kann sich breitmachen, wenn die Kindergeneration die Gründe für das elterliche Verhalten nicht kennt, nicht versteht oder zu Mutmaßungen gezwungen wird. Es ist allerdings sehr verdienstvoll von den Überlebenden und ihren Therapeut*innen, dass sie die psychosoziale Reaktivität auf Grausamkeit, Gewalt und Erniedrigung in den allgemeinen Diskurs über die Verletzlichkeiten des Menschen getragen haben.

Weil niemand ein solches Konstrukt für die Nachfahren von Sklaven entwickelt hat – die weiße Mehrheitsgesellschaft hat dies stets verhindert – kann man über die dauerhaften psychosozialen Befindlichkeiten von Sklavennachfahren nur spekulieren, obwohl es immer wieder Versuche der z.B. Afroamerikaner gegeben hat, aus den Stigmata herauszutreten, friedlich und mit Zorn.

         Es hat sich nun die moralisch fragwürdige Auffassung breitgemacht, dass traumatische Drangsalierungen über lange Zeiträume, Bedrohungen von Gesundheit und Leben und Verluste von Angehörigen sich mit finanziellen Reparationen ausgleichen ließen. Deutschland bietet Namibia einen Almosen für die Verbrechen der Kolonialherrschaft. Reparation, die nicht wehtut, ist nichts wert. Wer sollte z.B. in der US-Gesellschaft für diese Reparationen aufkommen? Es könnten nur diejenigen sein, die von der Sklaverei und der Entmenschlichung der Nachfahren der ersten und nachfolgenden Sklaven profitiert haben, nach dem Verursacherprinzip. Das heißt also keine Steuermittel, die von Farbigen und Weißen aufgebracht werden müssten. Die Weißen waren und sind die Profiteure. Sie müssen sich dieser Tatsache stellen und zahlen. Weiße besitzen zehnmal so viel Vermögen wie Schwarze. Die Differenz hat Geschichte. Sie dauert an, vergrößert sich und gilt als Beleg für die Überlegenheit der Weißen. Wer nach dem Ende der Sklaverei aus Europa in die USA einwanderte, ist Zeuge und Profiteur des Dauerrassismus, der Afroamerikaniker, Lateinamerikaner und Menschen asiatischer Herkunft in teilweise terroristischer Weise betrifft.

Es hat sich die Ansicht eingeschlichen, dass Kinder von traumatisierten Opfern eine ähnliche, vom Durchschnitt abweichende psychosoziale Symptomatik und Sozialisation aufweisen können, deren vornehmliches Merkmal der Umgang mit Scham und Schuld, Misstrauen und Beziehungsunsicherheit ist und das über lange Zeiten das Verhältnis zu Welt und Menschen beschränkt. Das Verhalten ihrer Eltern ist durch ein Opfermerkmal charakterisiert, das Resultat eines komplexen psychologischen Prozesses sei. Das gilt nicht nur für Kinder von Holocaust-Überlebenden und Kinder von Sklaven. Das scheint in geringerem Maße auch für Kinder von Kampfsoldaten (oder Polizisten) überall zu gelten. Also um Menschen, die wiederholt um ihr Leben fürchteten und diese Furcht nicht abstreifen können; vielmehr bildete die Furcht das Fundament, auf dem ihre gewandelte Weltsicht ruhte – mit wenigen Ausnahmen. Solche Furcht bildet sich in der Erziehung von Kindern ab. Aber dies gilt auch für Minderheiten, die im Schatten von anerkannten Opfern  bleiben, die durch ihre exponierte Stellung in der offiziell verbreiteten Geschichte unbewusst machen, dass Kinder von z.B. armen, bildungsfernen Eltern, Hartz-IV-Empfängern oder Exilierten in ihren Entwicklungsmöglichkeiten genauso eingeschränkt werden wie traumatisierte Flüchtlinge oder Fremdgemachte. Auch für Menschen, die am Existenzminimum vegetieren, lassen sich Täter und Profiteure, Günstlinge und sozial Blinde benennen, die  zur Selbstbeschreibung ihres Selbstwertes abgrenzende Kategorien und Klassifikationen benötigen. Der eigene Selbstwert lässt sich für Profiteure nur aus der Differenz ermitteln. Allein: psychologische oder psychoanalytische Betrachtungsweisen, die eine individuelle Therapie leiten, verlegen die Folgephänomene ins Innere von Klienten, wo der Ursache-Wirkungskomplex von Mord und Verfolgung zwar Wirkungen hinterlässt, jedoch Lösungen nicht begünstigt werden, die nur vom couragierten Kollektiv erstritten werden können.                                                  

Es handelt sich bei der Weitergabe traumatischer Erlebnisse von einer Generation auf die nachfolgende nicht um die Gesetze der Vererbung, obschon hier noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Vielmehr verbinden sich (oft in konflikthafter Weise) zwei Erlebnisebenen miteinander, einmal das unmittelbare Erlebnis von Gewalt, Todesdrohung und fortwährender Demütigung bei der Elterngeneration und andererseits um die mittelbare Wirkung der Folgen solcher traumatischen Erlebnisse auf die nachfolgende Generation, d.h. die Wirkung eines eingeschränkten Kommunikations- und Erziehungsstils unter der Prämisse, dass bestimmte Erlebnisse sich in einer Verhaltensweise ausdrücken, die von der unbearbeiteten posttraumatischen Symptomatik und ihren vielfältigen, oft verborgenen Zeichen geprägt wurde. Es erscheint verständlich, dass nach dem Ende der Grausamkeiten sich alle Impulse auf Leben konzentrierten und die Reflexion psychologischer Mechanismen in den Hintergrund trat. Die Art und Weise, auf schreckliche Erlebnisse zurückzublicken, haben ihren Ursprung in psychischen und sozialen Veränderungen, die von Normen abweichend bewertet und zugleich pathologisiert werden. In eine Psychotherapie können beide Erlebnisebenen, die der Eltern und die der Kinder, führen, wenn sie noch nicht zu Erfahrungen geworden sind. Etwas, das so unverständlich ist wie die Erlebnisse der fabrikmäßigen Ermordung von Menschen, hat alle Qualitäten, nicht zu einer Erfahrung, d.h. aussprechbar, erklärbar oder nachvollziehbar zu werden.

 

 

Bei der Elterngeneration scheint es sich um unbewusste Vermeidung zu handeln, die ein zentrales Geheimnis versteckt. Eltern wollen ihre Kinder von ihren erlebten Schrecknissen fernhalten und sich selbst schützen. Rund um das Geheimnis bilden sich Vermutungen, Spekulationen, Irritationen in der Kindergeneration von Holocaust-Überlebenden ebenso wie von Sklaven. Das bedeutet bei der traumatischen Weitergabe, die nicht die Weitergabe des erlebten Traumas, sondern die vielfältigen Emotionen bezeichnet, die eine traumatisierte Person zeigt oder unter Spannungen verbirgt. Beim Erleben der Folgen eines extremen Traumas durch Kinder handelt es sich als Gemeinsamkeit um das Erleben von Passivität, Schmerz, Widersprüchlichkeit, vom Verlust des Subjektstatus und einen Mangel an Handlungsoptionen sowie fehlende Bereitschaft zu Erklärungen wegen Schuld- und Schamgefühlen. Rechtlosigkeit, Abhängigkeit, ja Ausgeliefertsein (und vorenthaltene Hilfeleistung Dritter) sind die Kennzeichen eines Opferstatus und eines nackten Lebens. Sicher stellt sich hier die Frage, ob ein Erzähl- und Verhaltensmuster hinlänglich durch ein dauerhaftes, grausames Erlebnis, z.B. Vernichtungslager oder Sklaverei, erklärt werden kann und welche Faktoren und Mechanismen eine Transformation auf die nachfolgenden Generationen bewirken können. Nun sind uns bedrohliche Erziehungs- und Kommunikationsstile unterhalb einer extremen Schwelle bekannt, die sich in der Tat, ob vorsätzlich oder ungewollt, traumatisierend auswirken können. Gewalt und Machtmissbrauch bilden die Auslöser.

 

 

Will die Kindergeneration nicht in der Passivität verharren, wird sie Fragen stellen und mehr oder weniger einleuchtende oder ausweichende Antworten bekommen. Sie wird sich oft wegducken und sich zur Selbstbeschuldigung veranlasst sehen. Wird der Haupteinfluss, d.h. eine extreme dauerhafte Würdeverletzung und Entmenschlichung, auf den Kommunikationsstil verborgen, stehen die Kinder vor einem Rätsel. Dann kann die Phantasie der Kinder das Geheimnis verwandeln und zwar bei gleichzeitiger Abhängigkeit von den (aggressiven, hilflosen, einsamen) Eltern. Kinder wissen noch sehr wenig von Schuldgefühlen und Scham. Sie haben zwar diese Gefühle erlebt, aber sie wissen noch nichts von deren Persönlichkeit veränderndem Charakter. Und sie bemerken ein ihnen schädliches Verhalten, ohne Scham und/oder Schuld bei den Eltern in Rechnung zu stellen. Dazu braucht es eine entwickelte Kognition, mit der komplexe Ursache-Wirkungsverhältnisse sich erklären lassen. Offenbar ist die These von der transgenerationalen Weitergabe traumatischer Erlebnisse durch die Betrachtung der Entwicklungsoptionen Überlebender des Holocaust und ihrer Kinder und Enkel entstanden, die mit rund zehnjähriger Verzögerung auf die Agenda gesetzt wurde. Einen ähnlichen Prozess hat man bei Generationen von Sklavenkindern nie gesucht und festgestellt. Nicht immer führt ein bewusstes Erinnern in die Realität zurück, weil reale gesellschaftliche Prozesse wiederholt mit Tätermotiven kontaminiert sind, die einen eindeutigen Standpunkt zu Geschichte verhindern.

Zentral für die These der transgenerationalen Weitergabe ist die Beobachtung, dass extreme kollektive Traumata bei überlebenden Individuen zu psychischen und sozialkommunikativen Veränderungen führen, die in zweierlei Hinsicht für die Entwicklung der Kindergeneration schädlich sein können. Scham erscheint als ein bedeutsamer Faktor, vor allem jene Scham, einer demütigenden und lebensbedrohlichen Gewalt ausgesetzt worden und absolut machtlos gewesen zu sein, was zu einem Verbergen oder Abkapseln des Schamgefühls führen kann, was bei der Kindergeneration wiederum in Selbstbeschuldigungen sich äußern kann. Als ungewolltes Resultat realisieren traumatisierte Eltern einen schädlichen Einfluss auf ihre Kinder, was sich belastend auf ihre eigene Symptomatik auswirkt. Der zweite Einfluss rührt aus der überfordernden bzw. misslingenden kognitiven Bearbeitung des Holocaust und der Sklaverei in der Kindergeneration.

 Gewalt, Verfolgung und Verletzungen hat es seit Menschengedenken gegeben. Ihre psychischen Folgephänomene nennt man heute nach der Eingemeindung in den psychiatrischen Kanon Trauma. Die Ursachen sollte man in korrekter Weise nicht Trauma nennen. Sie heißen Krieg, Verbrechen, Hass, Unglück und Katastrophen in ihren lebensbedrohlichen Ausprägungen. In den geringer existenziell bedrohlichen Formen heißen sie Diskriminierung, Ausgrenzung, Kränkung, Mobbing, Konfrontation mit stereotypen Vorurteilen oder individuell erlebte oder strukturelle Ungerechtigkeit. Auch sie findet man in der Menschheitsgeschichte seit Jahrtausenden. Letztere bilden den Grundstock für die Entfesselung von Gewalt, die traumatische Folgephänomene hervorbringt. Das menschliche Denken und Verhalten scheint mit dem Traumabegriff und was er repräsentiert ein perpetuum mobile gefunden zu haben, dessen ursprünglich treibende Kraft im Psychischen, d.h. in der unsichtbaren und lediglich Interpretationen zugänglichen Sphäre liegt. Wenn alle psychoaktivierenden oder psychodepressiven Gewaltformen schon so lange existieren, dann wird man Jahrhunderte vor der Zeitrechnung und seither von massenhaften Traumata reden müssen. Und tatsächlich weisen Überlieferungen, mündlich, bildlich und schriftlich, musikalisch, auf die Trauer verursachenden und verstörenden psychischen Verletzungen hin. Muss man daher von einer durch traumatische Erlebnisse verursachten Deformation der Menschheit ausgehen, wenn man die heutige intensive Beschäftigung mit aktuellen Traumata verstehen will? Oder sind traumatische Erlebnisse lediglich der negative Teil der conditio humana? Hat dieser Jahrtausende lange Prozess des Umgangs mit eigenen oder fremden Traumata nicht in einem evolutionären Sinne dazu geführt, dass Menschen psychologische und physiologische Techniken im sozialen Rahmen entwickelten, wie mit solchen Traumata zu verfahren sei?  Wenn der menschliche Körper in der Lage ist, Mängel und Verletzungen salutogenetisch zu kompensieren, dann werden die Selbstheilungstendenzen wohl auch bei psychischen Traumata wirksam. Ist in der heutigen Bedeutung des Traumabegriffs ein globaler Versuch der Befreiung von solchen Deformationen enthalten? Oder kommt die angenommene transgenerationale Deformation durch Zeit, Vergessen und auf andere Dinge gelenkte Aufmerksamkeit gar nicht zur vollen Wirkung? Ist die unterstellte Deformation krankheitswertig und wie wird dann Normalität definiert, wenn nicht als potenziell pathogen und daher behandlungsbedürftig? Wenn es sich bei der transgenerationalen Weitergabe von Traumata um psychische Prozesse handelt, dann darf man durchaus fragen, inwieweit psychische Muster vom Wirken des Zeitgeistes und von makropolitischen Strömungen abhängig sind, vor allem, weil der Charakter der traumatischen Ausformungen immer schon gegeben war, aber erst die Moderne ihr einen bedeutungsvollen Einfluss auf die Entwicklung der nachfolgenden Generationen eingeräumt hat, was jedoch immer mit Schuldkomlexen verbunden ist. Wie ist wohl der Mensch beschaffen, der ohne schädigenden und zugleich prägenden Einfluss der Elterngeneration sich entwickelt hat? Der Murks an der Kindergeneration findet ja nicht nur bei extrem traumatisierten Eltern statt oder sind negative Prägungen immer Folge von mehr oder weniger schwerwiegenden und nicht integrierten Traumata? Wir bewegen uns hier in einem Zirkel. Das sind viele Fragen, deren Antworten uns nicht ins Reich der Gewissheit führen, sondern uns  auf dem Ozean der Meinungen und Überzeugungen hin- und herpaddeln lassen. Erst die fabrikmäßige Ermordung der europäischen Juden und anderer Gruppierungen durch den bürokratisch berechnenden Wahn der Nazis hat Beobachtungen befördert, dass die psychischen Folgen traumatisierter Menschen zu Verhaltensmustern führten, die sich durch Sprechen, Klagen, Unberechenbarkeit, Handeln, Gefühlsunsicherheit und -verluste oder Schweigen auf die Entwicklungsoptionen der nachfolgenden Generation übertrugen und ihnen eine positive oder besser: eindeutige Orientierung in der Welt erschwerten. Dabei soll hier die menschliche Haltung des Verleugnens, Verdrängens und Verschiebens unberücksichtigt bleiben. Die traumatisch betroffene Elterngeneration kann zwar der zweiten Generation ihr Verhalten durch ihre Erlebnisse erklären (oder verschweigen), ihre Kinder erfahren aber ihre Betroffenheit nicht primär durch die traumatischen Erlebnisse wie ihre Eltern, sondern durch die oft fehlgeschlagenen Verarbeitungsbemühungen ihrer Eltern oder ihr Scheitern an der Ungeheuerlichkeit und durch stigmatisierende Verallgemeinerungen und Rituale im Kollektiv. Trotz der Verurteilung einiger Haupttäter blieb die Verantwortung der Mehrheit ziemlich amorph, sowohl in Deutschland und z.B. nach dem Bürgerkrieg in den USA.

Unter Verständnis ist nicht der rationale Zugang zu verstehen, sondern allein die emotionale Durchdringung, denn das emotionale System ist zu Erkenntnissen fähig, wenn es sich nicht unbewusst weigert, Erkenntnisse zu verknüpfen, zu akzeptieren oder konsequent abzuwehren. Ein allein rationales Verständnis ist aber immer in Gefahr, die Begründungen der Täter zu berücksichtigen, aufzunehmen und zu wiederholen. In diesem Dilemma steht die zweite Gegenration der Überlebenden. Ich vermute, dass, wenn man alle rationalen Wirkfaktoren für die Verbrechen der Nazis und der Sklaverei zusammenträgt und also die Verbrechen der Nazis und Sklavenhalter herleiten und verstehen könnte, die Verhaltensprobleme gegenüber der nachfolgenden Generation bei den psychisch Verletzten nicht geringer wären. Daher denke ich, dass kognitives Verstehen der Umstände von Mord, Totschlag, Verschleppung und Vernichtung durch Arbeit nicht zu einer Besänftigung der Emotionen wie Angst, Niedergeschlagenheit,Schreckhaftigkeit führen würde, die durch das erlittene fortdauernde Gewalterlebnis ausgelöst wurden. Verstehen als kognitive Leistung ist in diesem Falle ein sehr langsamer Prozess, in den emotionale Impulse immer wieder störend eingreifen. Dazu kommt, dass die Fakten, die sich der Wahrheit annähern, erst allmählich ans Licht gelangten, weil der Widerstand ziemlich groß ist und war. Verstehen hat eine intrinsische zeitliche Dauer. Diese Zeit wird durch Gedächtnisarbeit (das Gedächtnis arbeitet immer, auch in Assoziationen) und Gefühle nicht nur unterstützt, sondern oft auch bekämpft. Insofern glaube ich, dass ein allmähliches Verstehen der Naziverbrechen, wenn es denn leistbar ist, kaum den emotionalen Status einer(s) Überlebenden beruhigen könnte, der (die) sich heftig aufgeladen der Kindergeneration mitteilen will oder sich dem Verschweigen fügt.

 

Nicht selten füllte die nachfolgende Generation den Anteil des Geheimnisses mit Mythen, Legenden, eigenen Bedrückungen oder fühlte sich entfremdet, wurde misstrauisch und distanziert. Angst hat einen Partner: Misstrauen. In Lagern oder Ghettos wurden Kinder und Jugendliche in rasanter und überfallartiger Geschwindigkeit in die brutale und zerstörerische Realität entlassen. Nach meiner Überzeugung ist die Annahme einer guten und fairen Welt, die einigen Erschütterungsthesen der amerikanisch inspirierten PTSD-Literatur zugrunde liegt, eine (wunschbildhafte) Voraussetzung, die auf die ersten Lebensjahre eines Kindes in der saturierten, bürgerlichen, elterlichen Umgebung angewandt werden kann, aber diese Annahme hat mit der Entwicklung eines Menschen in der weiten Realität nichts zu tun. Auch frühkindliche Prägungen sind nicht von dauerhaftem Charakter. Sie können korrigiert werden, wenn „Lernen“ einen Sinn haben soll.

 

Neben der elterlichen Einflussnahme auf die Kindergeneration entwickelt sich zumeist eine politische, vom Kollektiv getragene Form der Bewertung von Massenverbrechen. Wo es viele Zeugen und Zeugnisse gibt, dort können sich Politik und Kultur kreativ und von Interessen geleitet an eine Sinngebung heranwagen. Wesentliche Wirkung im psychischen Korsett der Nachfolgegenerationen wird dabei die unablässige Wiederholung entfalten. Solche zumeist rituellen Wiederholungen von Abwehr der eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit, von Zeugnissen, Gedenkfeiern, Mahnreden halten Wunden offen und zeigen einen Unwillen, vergangene Wirklichkeit dem schmerzlosen Vergessen und der Zeit anheim zu geben. Dies ist wohl immer der Fall, wenn der kollektive Gerechtigkeitssinn keine Befriedigung erfährt, weil es keine weltliche Instanz des Ausgleichs gibt. Es erweist sich aber auch die These, dass Erinnerung nicht nur möglich, sondern auch nötig sei, wenn man aus der Geschichte lernen wolle. Somit stehen sich zwei Ansätze dilemmatisch gegenüber: Vergessen wollen und Erinnern müssen, was ein schweres Gepäck aller Mensches ist. Viele traumatisierte Flüchtlinge, mit denen ich konfrontiert war, wollten explizit Hilfe beim Vergessen, als gäbe es eine Löschtaste für schreckliche Erlebnisse. Was lässt sich zu kumulativen Effekten solcher Wiederholungsrituale sagen? Es handelt sich nicht um komplett verallgemeinerbare Schädigungen, die zudem eine Empathie mit dem Schicksal der Eltern voraussetzen, möglicherweise eine Identifikation mit dem Kollektiv der Überlebenden. Rituale stellen folglich eine innige Beziehung zum Inhalt des Rituals her und ermöglichen eine Zugehörigkeit. Wenn also nicht das ursprüngliche traumatische Erlebnis an die nächste Generation „vererbt“ wird, sondern vielmehr die posttraumatischen Symptomatiken dafür verantwortlich sind, dass der Kinder- und Enkelgeneration keine störungsfreie Orientierung in einem positiven kulturellen Rahmen zuteil wurde, dann erhebt sich die Frage, ob es überhaupt eine störungsfreie, vielleicht störungsarme Vermittlung an die nachfolgende Generation geben kann. Sind nicht die Kinder von Egoisten, Machtbesessenen, Alkoholikern, Unbeherrschten, Abhängigen, Diskriminierten, Entwurzelten usw. in Gefahr, die fehlende Souveränität der Eltern mit sich und im Umgang mit ihnen mit Belastungsstörungen zu ertragen und Symptomatiken zu entwickeln, die von der „Norm“ abweichen, nach Stichworten auftauchen und zu Handlungsmotiven werden? Es lassen sich wohl immer vereinzelte oder zahlreiche Muster definieren, die durch die Schädigungen der Eltern auf die Kinder in averbaler oder verbaler Kommunikation und Pädagogik übertragen werden. Überlebenden des Holocaust wird aus moralischen Gründen eingeräumt, dass sie die nächste und übernächste Generation mit ihrer Symptomatik „infizieren“. Das bleibt ziemlich unverständlich und begünstigt mobokausale Erklärungen. Am Leibe erfahrene Verachtung des Lebens als primäre Existenzbedingung zeigen Unwägbarkeiten, die wir auch bei den Nachfahren der Sklavengenerationen feststellen . Das Konstrukt von der traumatischen Transformation auf die zweite Generation besteht darauf, dass das extreme Ereignis für alle nachfolgenden Muster verantwortlich ist, was wohl kaum der Fall sein kann. Ein kategoriales und verbindliches Transformieren von schrecklichen Erlebnissen muss an der Einmaligkeit individuellen Verarbeitens scheitern. Der entscheidende Impuls für eine psychische Übertragung traumatischer Erlebnisse der Elterngeneration auf die nachfolgende Generation scheint m. E. vom Kollektiv oder der Gemeinschaft auszugehen. Da das Kollektiv bedrohliche Ereignisse wie Massenmord, Krieg, Verfolgung, Flucht sowie technische und Naturkatastrophen wegen der Lebensbedrohung für die Überlebenden zu elementaren Einflüssen für nicht gelingende Integration erklärt und spezifische psychische Muster beschreibt, klinifiziert, zuordnet und definiert, die als Folgephänomene resultieren, wird eine Kausalkette unterstellt, die für einen Großteil der Betroffenen gelten mag: extremes traumatisches Ereignis – Überleben des Schreckens - vergebliche Integrationsanstrengungen der Betroffenen – dadurch von der Norm abweichende Verhaltens- und Persönlichkeitsänderungen – Konfrontation der Kinder mit diesen auffälligen Mustern – alle diese Faktoren resultieren durch scheinbar unerklärliche, erschreckende und bedrohliche Verhalten in Orientierungs- und Entwicklungsstörungen bei den Kindern. Zugleich unternehmen die primär Betroffenen alles, um sich eine reale Wiederholung der Hilflosigkeit (in der traumatischen Situation) zu ersparen, d.h. sie lassen ihre Kinder nicht an den Schrecknissen und der überschwemmenden Angst teilhaben. Erst das Kollektiv macht durch Reparationsforderungen, Gedenktage, Gedenkorte, Erinnerungs- und Trauerfeiern die Schrecken und die resultierende Angst wieder präsent und appelliert dadurch in meist guter Absicht an ein Gewissen, an Gerechtigkeitsvorstellungen und an eine Moral der Welt. Hilfreich für eine Integration der traumatischen Erlebnisse ist allerdings dann die herausgehobene Akzentuierung, die Überlebenden im Ritual den Status von Hilflosen und Opfern einbüßen lässt. Nun kann es jedoch einen politischen Willen geben, die Wunden offen zu halten.

Grundsätzlich geht man davon aus, dass durchschnittliche Gemüter oder gar von massiven Widrigkeiten verschonte Menschen nur positive Grundstimmungen auf die Kindergeneration übertragen. Nun werden bei nicht traumatisierten Eltern die kognitiven und emotionalen Erziehungsinhalte aus vielfältigen Erlebnisfeldern von komplexer Gestalt gebildet und folglich weitergegeben: der Beziehung zum Partner, zu den Nachbarn und Freunden, Geschwistern und den eigenen Eltern, Arbeitskollegen und zu Motivstrukturen wie Konsum, Bildung, Selbstbild, Wünsche, Sicherheit, letztlich auch zur Großkonstellation der politischen Realität. In diesen Beziehungsfaktoren liegt zugleich die Möglichkeit zur positiven Ressource. Das ist wohl der zentrale Unterschied zum extremen Trauma, das keine primäre Ressource sein kann, gleichwohl in die Textur der Existenz eingewebt bleibt. Geht das eigene psychische Befinden der Kinder allein auf die traumatischen Erlebnisse der Eltern zurück, verkürzt man den Kontext, aus dem sich prä- und posttraumatisches Verhalten bilden. Das Trauma wird zum wesentlichen, ja einzigen folgenreichen Bezugspunkt für Kommunikation zwischen Eltern und Kindern, wenn man die Vorstellung einer traumatischen Weitergabe zugrunde legt. Fraglos ist das traumatische Erleben der Eltern sehr bedeutsam, jedoch nicht mit der im therapeutischen Prozess behaupteten Ausschließlichkeit. Für die Frage nach der Opferperspektive erscheint es möglicherweise wesentlich zu sein, Leben und Lebendigkeit setzten sich aus vielen Einflüssen zusammen. Und doch ist der Abbruch geschichtlicher Kontinuität nach der Ermordung vieler Verwandter von Unsicherheit und gewisser Haltlosigkeit bestimmt.  

       Eine wesentliche Prägung erfahren Kinder von Überlebenden durch ihre Vorstellungen und Phantasien, mit denen sie sich bewusst oder unbewusst in die Strategie der Vernichtungsmaschine hineinversetzen, weil sie verstehen wollen. Sekundäre Traumatisierung muss man es wohl nennen, wenn die eigene Existenz nicht nur biologischen, sondern auch sozialen und anderen Zufällen zu verdanken ist. Das führt zu der Annahme, dass die Narrative und die lebendige Kommunikation mit der Großeltern/Elterngeneration den Horizont nachvollziehbarer transgenerationeller Weitergabe traumatischer Folgephänomene abstecken. Bei den Tätern oder der Tätergeneration wirkt in gleicher Weiser  die Vermeidung lebendiger Kommunikation, die verbissene Stummheit ebenso wie die Erfindung von Narrativen oder die selektive Erzählung, die autobiographisch allein die eigene Opferrolle fokussiert und Schuld und Scham ausklammert.

                 Für die Generation, die von extrem traumatisierten Überlebenden abstammt, war und ist es stets problematisch, mit den wahrgenommenen zwei Realitäten umzugehen: die öffentliche Rede von den Gräueln in Presse, Radio und Literatur und die hautnah erlebte, die sich im Mikrokosmos der Familie oder Rumpffamilie abspielt. Man nimmt einmal den Rahmen und die Umrisse der traumatischen Verfolgung als Sachthema zur Kenntnis und man kennt zum anderen, zumal bei abgekapselten Erinnerungen die psychischen Erscheinungen in der individuellen Beziehungsdimension, die widersprüchliche Gefühle mobilisieren können. Während die öffentliche Rede heute von Vergangenheiten spricht, zeigt sich auf der individuellen Ebene durch Beziehung und  Erziehung, ihre Inhalte und Strukturen, die inkorporierte Gegenwart derselben Ereignisse. Bei so unterschiedlichen zeitlichen Vorzeichen ist eine Irritation der nachfolgenden Generation unvermeidlich.

                 Das macht hinsichtlich traumatischer Erlebnisse folgendes sichtbar: Das ist ein Dilemma, das erstens durch individuelle (umschreibende) Erzählungen von Betroffenen zustande kommt. Zweitens durch Verschweigen von Gefühlen der empathischen Vorstellungskraft der nachfolgenden Generation(en) Nahrung gibt und drittens als Narrativ, das aus der gesellschaftlichen Umgebung massenhafte Traumata beschreibt und dadurch den Umgang mit Trauma vorschreibt. Dieses dreifache Dilemma lastet auf Überlebenden und der Kindergeneration  und hinterlässt immer Unstimmigkeiten. Jede Generalerzählung entfernt sich vom individuellen. Kinder von Überlebenden müssen sich folglich mit ihrer Nichtexistenz auseinandersetzen. Das kann erschüttern, hilflos machen und die eigene Bereitschaft übersteigen.

        Während also die Forschung sich nachhaltig der Ergründung einer traumatischen Weitergabe bei Holocaust-Überlebenden gewidmet hat, ist dies für die Nachfahren der Sklaven unterblieben. Weil die zerstörerischen Dimensionen der Sklaverei von den Nutznießern nur rhetorisch anerkannt wird, kann die spontane und unterschwellige Wut keine Ruhe finden. Wenn das Lebendige in Hierarchien betrachtet und behandelt wird, die das ganze soziale Leben von großen Minderheiten bestimmen, dann finden wir die aktuellen Verhältnisse in den USA logisch zwingend. Dieser dauerhafte Befund einer Hierarchisierung des Lebendigen hat mit Menschlichkeit nichts zu tun.

                

Ich hoffe, es ergeben sich einige Ansätze für weitere Fragen, deren Antworten zur Klärung der Entwicklungsbeschränkung von Nachfahren der Sklaven, Holocaust-Überlebenden und anderen extrem Traumatisierten beitragen können. Wenn man in der Begegnung mit psychosozial verletzten Menschen Verständnis entwickeln will, sollte man stets das Augenmerk auf die Elterngeneration richten. Ein Trauma liegt nicht nur im Inneren der Kindergeneration. Geschichte bildet sich in der Psyche ab und entfaltet nicht immer nachvollziehbare Kräfte, wenn die Kriterien und Motive verborgen werden.