Viel wird über Trauma, besonders das Psychotrauma, geschrieben und gesprochen. Der Diskurs über das Psychotrauma nach schrecklichen Erlebnissen hat in zahlreichen Wissenschaften Spuren erzeugt und hinterlassen, sodass der Eindruck entstand, neben der traditionellen Betrachtung der Realität existiere eine zweite Ebene der Betrachtung, die (wegen ihrer verborgenen Mystik und Metaphysik) nur für Experten zugänglich sei: die Irrungen und Wirrungen der menschlichen Psyche nach bedrohlichen Erlebnissen, die sich bis heute Normierungen, Klassifikationen und Homogenisierungen erfolgreich widersetzt haben. Solche menschlichen Ordnungsversuche müssen damit enden, dass sie peritraumatisch den primären Stress und eine generalisierte Angst vor Gewalt festmachen können. Sie betreffen nicht die nachfolgenden Symptome, die sich nicht ordnen, sondern nur aufzählen lassen. Zwar existieren umfangreiche Beschreibungen auch in Fallbeispielen, sie dürfen trotz Evidenz wohl nicht mit wissenschaftlichen Erklärungen verwechselt werden. Evidenzen sind beweisende Phänomene für den Laienverstand, wissenschaftlich kratzen sie an der Oberfläche. Sie sind Ausdruck des Common sense und allgemeiner Erfahrung. Wissenschaft kann Erfahrung als Aufforderung zur Forschung betrachten, Erfahrung von Subjekten kann jedoch nicht Gegenstand von Wissenschaft werden.

Im folgenden Text sollen einige Komplexe angedeutet werden, die eine(n) Leser*in möglicherweise genauso ratlos hinterlassen wie den Autoren. Jedenfalls zeigt sich in jeder Gesellschaft, die sich den traumatischen Folgewirkungen zuwendet, ein uferloses Wachstum komplexer Phänomene, die zumeist in unterschiedlichen Disziplinen behandelt werden und durch Fragmentierung von Aspekten des Psychotraumas den Überblick erschweren.

Die Beziehung vom Inhalt psychotraumatischer Prozesse zur Politik kann man auf mehrfache Weise analysieren: Historisch, entschädigungsrechtlich, moralisch, methodisch, individualistisch,  kollektiv, verantwortungsethisch. Einige dieser Bezüge habe ich an anderer Stelle behandelt. Die psychologische Erklärung solcher Prozesse fällt ambig aus, weil keine Eindeutigkeit erzielt wird und vermutlich auch nicht erwünscht ist. Mehrdeutigkeit ist das Kennzeichen von psychologischen Prozessen und Religion, die auch nicht durch Verwissenschaftlichung eingeengt werden kann. Als Indiz mag gelten, dass jeder wissenschaftlichen Arbeit in diesem Feld eine andere sich entgegenstellt, die das Gegenteil behauptet. Psyche ist ein Expertenkonstrukt, dessen stoffliche Komponenten und Dynamiken nur zu einem geringen Teil bekannt sind. Selbst im therapeutischen Prozess sind politische Komponenten enthalten und wirksam; da gibt es kein Vertun. Über allen o.a. Stichworten schweben der begriffliche Inhalt von Macht, das Zustandekommen und die Akzeptanz von Herrschaft, ihre Ziele und Zwecke und ihre erwünschten oder unerwünschten Auswirkungen.

Bis in die Zeit nach den 1950er Jahre, also nach dem Koreakrieg, war es in vielen Staaten üblich, dass physische Traumata durch Unfälle oder Kriegsverletzungen Renten- oder Teilrentenansprüche rechtfertigten, für die Versicherungen oder der Staat Rehabilitation und Geldleistungen, durch Gesetz verpflichtet, aufbringen mussten. Die Einschränkung der Sinnesorgane oder der Verlust eines Beines oder die Verminderung von Vitalfunktionen konnten gemessen oder als unzweifelhaft beurteilt werden. Probleme entstanden allein aus der Überprüfung des verursachenden Mechanismus, der lokalen Zuordnung und der möglicherweise schuldhaften Verantwortung. Psychische Verletzungen haben es da viel schwerer, weil es keine eindeutigen Messverfahren als Annäherungen an die Wahrheit gibt. Der Nachweis solcher Verletzungen ist von Plausibilität (verbal und averbal) und Vertrauen in der Kommunikation gekennzeichnet. Die vorhandenen und gebräuchlichen Testverfahren können lediglich als Indizien eingesetzt werden. Als Beweise sind sie untauglich.

Psychologie und Psychoanalyse drängten Staat und Öffentlichkeit seit 1900 zunehmend zur Anerkennung der Gleichwertigkeit von körperlichen und psychischen Verletzungen, weil der Diskurs an Kraft gewann, dass Körper und Seele eine innige Einheit für die Konstitution einer Persönlichkeit bildeten. In dem Maße, in dem säkulare Tendenzen sich gesellschaftlich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (nach der Staatenbildung) ausbreiteten und den Einfluss der Religionen beschnitten, wurde kompensatorisch versucht, durch Psychoanalyse und Psychologie, der Bedeutung der Psyche und ihrer Verwissenschaftlichung einen angemessenen Platz bei Laien und Fachleuten zu verschaffen. Es brauchte dann allerdings noch Jahre, bis Verletzungen der Seele im selben Rang wie körperliche Verletzungen anerkannt und bestätigt wurden. Weil nun die Psyche sich aus Antrieb, Wahrnehmung und Realitätsbearbeitung zusammensetzt, waren die ersten Opfer psychischer Verletzungen, die mit einer posttraumatischen Belastungsstörung konfrontiert wurden, als Vietnamsoldaten ein ambivalentes Beispiel, weil und obwohl sie Täter und Opfer in eins verkörperten. Das hinderte Psychiater nicht daran, ihre auffälligen Symptome zu sammeln, zu schematisieren und eine therapeutische Praxis daraus abzuleiten. Soldaten (Veteranen) dienten dann aber dazu, den Täteraspekt zu vernachlässigen und den Opferaspekt allein in den Vordergrund der Betrachtungen zu rücken. Wenn man eine Therapie für die psychischen Irritationen und Verletzungen durch Psychiater in Veteranenkrankenhäusern anbietet, kann sich dieses Vorhaben nur auf den Opferaspekt beziehen. Selbst wenn Täteraspekte thematisiert wurden, so wurden sie in einem Kontext der Politik, des kalten und heißen Krieges und der antikommunistischen Überzeugung angesiedelt, und damit eine Exkulpation für traumatisierte Soldaten gesichert, denn für den Einzelnen ging es um nacktes Überleben. Diese Entschuldung war nach Auffassung der politischen Akteure auch erforderlich, um den teilgesellschaftlichen Widerwillen gegen die zurückkehrenden Soldaten innenpolitisch zu dämpfen und umzuleiten. Das bedeutete, dass die zugeteilte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung von Anfang an mit ambivalenter Bedeutungsaufladung kontaminiert war, und darin ist der Einfluss politischer Kräfte zu sehen, denn es ging darum, den Täteraspekt von Soldaten zu entkräften, unbewusst zu machen und den Opferaspekt ausschließlich auf Feindberührungen zu lenken und von Urteilen über falsche, ja fatale Politik abzuziehen. Hier ist folglich nicht nur ein Interesse der Politik an einer psychiatrischen Diagnose durch Verschiebung zu sehen, sondern in der Zusammensetzung der Task Force, die das DSM III um die Diagnose PTSD erweiterte und Militärs, Versicherungsunternehmen, Geheimdienste und Psychiater versammelte, ist gleichfalls ein als Pragmatismus getarnter politischer Einfluss zu erkennen. Das dysfunktionale Verhalten der Veteranen fiel in die bereitwillige Zuständigkeit der Psychiatrie, die mit einer neuen Diagnose ihren Anspruch untermauerte, nur sie sei für die Entsorgung psychischen Leids prädestiniert und ausgebildet.

Dabei gab es große Uneinigkeit, was normal und was nicht normal genannt werden konnte. Wenn die Folgen von physiologisch verstandenem Stress mit all seinen stofflichen Begleitreaktionen, die zusammen das Überleben unter Bedrohung sichern sollen, in den Bereich einer Pathologie gerückt wird, dann scheinen Grenzen zwischen Normal und Anormal ins Wanken zu geraten, und zwar, weil dann das z.B. aus Kriegshandlungen resultierende subjektive Leiden auch ins Pathologische verschoben wird. Eine solche Betrachtungsweise fordert, dass die Folgesymptomatik nach innerer Erschütterung binnen kurzem abebben solle, was dann normal genannt werden müsse. Ein Leiden, das sich in Länge zieht, fällt somit in pathologische Zustände. Vier bis sechs Wochen, so wurde verordnet, dauere die tolerierbare akute Belastungsstörung (wovon man im DSM-5 abgerückt ist), danach beginne die Krankheit. Das hatte etwas von Willkür und darf dem militärischen Interesse zugerechnet werden. Nun wurde allerdings nicht die unmittelbare Stressantwort nach Lebensbedrohung pathologisiert, sondern es trat eine Aufspaltung ein: Erst das Ausbilden und Andauern von vielschichtigen Symptomen, die das Alltagsbefinden vor allem wegen wiederkehrender Angstüberschwemmungen beeinträchtigten, konnte in Krankheitszustände münden. Durch das individuelle Gedächtnis, das sich kommunikativ verständlich machen musste, wurde zudem eine zwingende Beziehung von Ursache und Symptomatik hergestellt. Ätiologie und Symptomatologie fallen untrennbar zusammen. Allerdings hat man von Anfang an versäumt, das Interesse auf die Verletzten zu richten, in deren Gedächtnis das traumatische Ereignis einen dauerhaften Stellenwert erhielt, deren Persönlichkeit jedoch keine vielfältigen Symptome ausbildete.

Die Symptome einer PTBS nach dem Katalog des DSM-III wurden in drei Hauptkategorien angeordnet, von denen zwei als stressbedingt verstanden werden konnten (andauernde gesteigerte Erregung, Vermeidung). Die für die Diagnose entscheidende und neue Kategorie, die Intrusionen, waren jedoch ein Produkt des zu Konstruktionen fähigen  Gedächtnisses, der Sinn- und Bedeutungssuche und des kulturellen Inputs. Sie konnten nicht unmittelbar (in einem stofflichen Sinne) auf den Stress der Lebensbedrohung zurückgeführt werden, sondern waren ein Produkt des durch Bilder erzeugte Angst/Stresskomplexes. Erst durch Zirkelschluss konnten die Intrusionen ihren bedeutsamen Platz gleichsam spiegelnd einnehmen: Weil eine traumatisierte Person plötzlich einschießend sich an die Situation der Lebensbedrohung bildhaft erinnert, setzt sie sich erneut dem ursprünglichen Stress aus, fühlt sich wie in der traumatischen Situation, ist folglich unter Kontrollverlust ausgeliefert  und kann eine Trennung von Damals und Heute durch einen Bewusstseinsakt nicht vornehmen, weil die provozierte Angst erneut einen Stress und eine Stressantwort in Gang setzt. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass eine Mehrheit traumatisierter Personen sehr wohl in der Lage ist, wenngleich mit Mühen, zwischen aktueller Realität und Erlebnis zu unterscheiden. Für die Forschung wurden seither die Traumatisierten interessant, die sich an bedrohliche Szenen erinnern konnten, aber nicht mit dem Bündel an klassifizierten Symptomen reagierten. Und bei den Symptomreichen wurden nach Risikofaktoren und biographischen Verwerfungen (im Sinne von Mängellisten) mit wissenschaftlichen Mitteln gesucht, woraus präventive Strategien, die das Interesse von Militärs fanden, abgeleitet werden konnten. An der Minimierung von Risikofaktoren, die dem Individuum zugeordnet werden konnten, waren Militärs und Unternehmen mit Risikoberufen sowie Versicherungen interessiert.

In Entschädigungsverfahren für traumatisierte Personen, in denen die Diagnose PTBS die Hauptrolle spielt, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Sachverhalte aus einem Begriffsfeld durch ein anderes und unterschiedliches Begriffsfeld angemessen beurteilt werden können (z.B. medizinisch vs. juristisch) und wo die so genannten objektiven Grenzen der Übertragung von einem Begriffsfeld in ein anderes liegen. Dafür gibt es Gutachter, die den Abstand der Begriffsfelder verkleinern sollen. Sie sind im optimalen Falle sprachliche Brücken zwischen den Feldern. Das kann in einzelnen Fällen gelingen, in manchen jedoch nicht. Gutachter vertreten begründete Meinungen, die Annäherungen an die Wahrheit repräsentieren sollen. Gutachter sollen in Entschädigungsverfahren wegen psychischer Verletzungen Behauptungen oder Bewertungen von Ärzten/Psychologen und Anwälten auf ihre Stichhaltigkeit mit Lehrmeinungen prüfen, ihre eigenen Werkzeuge kritisch befragen und spezielle Fragen von Versicherungen oder Gerichten so beantworten, dass ein nachvollziehbares Verständnis erreicht wird. Voraussetzung für eine Tätigkeit von Gutachtern ist eine Sprachregelung, die diagnostische Begriffe in den Rang von verbindlicher Faktizität erhebt. Die Vorsilbe „post“ bedeutet, dass eine Verletzung eines lebendigen Organismus geschehen ist. Unter Belastung treten danach Symptome auf, die eine Leidensschleife oder Leidensspirale zur Folge haben können. Allgemein anerkannte Diskurse zu traumatischen Verletzungen der Psyche müssen an konkreten Personen überprüft werden, d.h. ein behauptetes Leiden als Folge einer Gewalteinwirkung muss dazu anhand von Lehrmeinungen und jedem zugänglichen Symptomkatalogen für ein betroffenes Individuum so konkretisiert werden, dass sich ein Urteil mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf plausible Tatsachen gründen kann. Es ist schwierig, Tatsachen aus Wahrscheinlichkeiten zusammenzusetzen. Dazu müssen ferner differentialdiagnostisch andere Krankheiten oder Krankheitseinflüsse ausgeschlossen werden, so dass sich eine zentrale Diagnose (eine zu Chronizität tendierende posttraumatische Belastungsstörung) herausschält. Da das subjektive Leiden mündlich oder schriftlich berichtet werden muss, denn es gibt keine spezifischen Nachweise, besteht stets ein gewisser Unsicherheitsfaktor, den ein Gutachter mit Erfahrung, Überzeugung und Performance auszugleichen sucht. Es hat sich eingebürgert, dass die PTBS als Synonym für andauerndes psychisches Leiden unter Fachleuten und Laien benutzt wird, unabhängig von der Frage, ob diese Diagnose ein valides wissenschaftliches Fundament hat. Dabei stützten sich die Benutzer der Diagnose auf ein Bündel von beschriebenen Symptomen, die zur Diagnosestellung nicht alle vorhanden sein müssen, sondern berichtet oder auf Fragebögen wie dem Harvard Impact of Event-Scale angekreuzt werden müssen. Lediglich eine signifikante Auswahl berechtige zur Diagnose PTBS, wie deren Erfinder empfehlen. Durch die Ausweitung der ursprünglichen Diagnose zur komplexen posttraumatischen Belastungsstörung lassen sich auch atypische Symptome unter die Diagnose subsummieren, denn der verordnete Katalog der posttraumatischen Symptome stellt Typisierungen nach statistischen Erhebungen dar. Individuelle Abweichungen vom statistischen Mittel erhalten ihre Berechtigung innerhalb eines diagnostischen Prozesses, der sich mit den komplexen Phänomenen des Leidens befasst. Typisierungen und Abweichungen von der Verteilungskurve sind Kennzeichen des Individuums bei der biographisch gesteuerten Ausgestaltung der posttraumatischen Symptomatik. Letztlich erweist sich, dass durch den Gebrauch der katalogisch aufgelisteten Symptomkomplexe durch Gutachter diese als faktisch anerkannt werden und grundsätzliche Überlegungen ausgeschlossen bleiben. Diese könnten z.B. die Schwierigkeit betreffen, echte und gefühlte Leiden von falschen, jedoch berichteten zu unterscheiden oder dieselben Symptome auch anderen Diagnosen zuzuordnen.

Gerichtliche Entschädigungsverfahren zur posttraumatischen Belastungsstörung greifen einen bedeutsamen und zugleich schwer fassbaren Begriff auf: Gerechtigkeit. Die fahrlässige oder vorsätzliche Zufügung eines psychischen Traumas mitsamt nachfolgender Symptomatik wird als Unrecht qualifiziert, obschon nicht alle Formen psychischer Traumata durch Gesetz mit Strafen bewehrt sind. Die traumatisierte Person fühlt die in der Gewalt und Willkür enthaltene Ungerechtigkeit und fordert daher Gerechtigkeit, wenn die Schuldfrage geklärt ist, weil ihr psychischer Apparat insgesamt und bis in kleinste Verästelungen verletzt wurde, d.h. viel umfassender, als mit einer PTBS ausgedrückt werden kann. Wir geraten dadurch in den Bereich der Moral, die nicht verallgemeinerbar ist. Wenn Gerechtigkeit ausschließlich von einer geltenden Moral gestützt würde, dann ergäben sich Probleme, wenn man die Rolle des Besitzes und Eigentums, den Tummelplatz der Unmoral und damit der Ungerechtigkeit, betrachtet. Auf die sehr schwierige Frage nach Gerechtigkeit für psychische Traumata, sei es durch Strafurteile oder Geldstrafen, kann hier nicht weiter eingegangen werden. Naturrecht und positives Recht haben noch keine überzeugende Klärung herbeigeführt.

Moralische Einflüsse auf die Beziehung von Psychotrauma und Politik beziehen in der westlichen Welt ihren neueren Schub aus der christlichen Religion und Ethik. Aktuell allerdings mit der Einschränkung, dass moralische Einflüsse einem Reichweiteprinzip unterliegen, wonach die Reichweite praktischer Moral die eigene Wohnungsschwelle bei vielen Leuten in sozialen Belangen nicht überschreitet.

Es tritt immer ein Problem auf, das seinen tieferen Grund in der unterlassenen Hilfeleistung gesellschaftlicher Akteure hat. Teile der Gesellschaft schweigen verschämt und ergeben sich Größenphantasien, Teile billigen traumatische Erlebnisse Dritter, ohne einzugreifen, Teile sind vor Angst erstarrt, manche überwinden ihre Angst und finden zu Unterstützungs- und Hilfshandlungen. Verbindliche moralische Grundsätze wird man vergebens fordern und suchen. Nahezu jeder Mensch ist mit den allgemeinen moralischen Forderungen in Berührung gekommen. Die Einverleibung fällt sehr unterschiedlich aus. Opportunistische Erwägungen lassen oft moralische Standards in den Hintergrund verbannen, obwohl sie nagende Schuldgefühle provozieren können. Wer aus dem gesellschaftlichen Raum traumatisiert wurde, bemerkt die unzureichende menschliche Unterstützung, fühlt sich alleingelassen und verliert den Glauben an die verbindende Kraft der Moral.

Psychosoziales Trauma wurde mit der Diagnose PTBS aus dem verursachenden gesellschaftlichen Raum (wenn wir uns auf politische Willkür und geschlechtsbedingte Gewalt beschränken) in die individuelle Psyche verlagert und alle gesellschaftlichen Bezüge (Wahrnehmung, Verantwortung, spontane Hilfestellung usw.) unbewusst gemacht. Der Politik (als gesellschaftliches Anliegen) kann nicht entgehen, dass durch die Individualisierung von Leiden die gesellschaftlichen Folgen von Gewalt und Demütigung in ein therapeutisches Milieu verschieben werden. Dort sei das Leiden gut aufgehoben, findet die Politik.

 

Wenn wir erneut eine Betrachtung des Psychotraumas anstreben, so fällt der Begriff des Stresses auf, der als eine unmittelbare Folge von Lebensbedrohung durch Gewalt und Demütigung auftritt. Dieser Stress genannte physiologische Prozess zeigt sich nachweisbar an einer Kaskade von stofflichen Ausschüttungen, die einen Körper angesichts einer Lebensbedrohung auf Flucht und/oder Kampf (zuweilen Erstarrung) vorbereiten und die Überlebenschancen erhöhen sollen. Diese stofflichen Ausschüttungen von Hormonen, Mineralien, Eiweißen und Analgetika sind zugleich Ausdruck einer Angstempfindung im Angesicht einer Vernichtungsdrohung durch Willkür und Macht. Angst und Stress sind im Falle von Gewalterlebnissen Synonyme. Im Falle von Folter ist die Angst bereits vor dem unmittelbaren Stress durch Verhör und Schmerz wirksam, in anderen Fällen folgt die Angst dem Stress sukzessive. Die posttraumatische Belastungsstörung ist folglich eine Angststörung, was ich seit 30 Jahren behaupte, und sie ist keine wolkige Empfindung, sondern weist individuell eine spezifisch wirksame Substanzkette auf. Bestimmte Erinnerungen an katastrophale Erlebnisse, die das (traumatische) Gedächtnis generiert, sind folglich mit Angst, d.h. Stress, verbunden, wobei Adrenalin/Noradrenalin wiederholt mobilisiert wird, was zu einer vertieften Einschreibung traumatischer Szenen ins Gedächtnis führt. Dies kann der Beginn eines circulus vitiosus werden, weil Erinnerungsfragmente ohne Bewusstseinsakte auftauchen und daher durch Bewusstsein keine Distanz zu den bildlichen Reinszenierungen zu erreichen ist. Dieser Vorgang der bildlichen Aktualisierung ist von hormonellen und vegetativen Einwirkungen begleitet, die auch bei der Angst gefühlt werden: Schwitzen, Herzklopfen, Druckerhöhung im Kopf, Blutdruckerhöhung usw. Die Aktualisierung von traumatischen Situationen ist folglich nicht ohne materielle Basis zu verstehen, die sowohl die autogenerative Bildlichkeit hervorbringt als auch die Angstgefühle induziert, die zur Flucht (wohl auch Verdrängung, Vermeidung) präparieren. Lähmende Angst kann sich aber offenbar verselbständigen, sodass sie als Grundemotion die Weltbetrachtung bestimmt und einen permanenten Alarmismus evoziert. Die Beziehung zu traumatischen Erlebnissen ist dann nicht mehr eindeutig. Wenn Angst jedoch als Begleiter realer traumatischer Bilder erscheint, wird sie oft überwältigt von einer kassandrischen Sicht auf noch gravierendere, schreckliche Ereignisse. Beispiel: Mörderischer Einsturz der Twin-Towers in New York, dann Anthraxbriefe und biologische Angriffe, dann Warnungen vor schmutzigen Bomben. Am Ende der Angstkette: die Warnung vor bestimmten, dann allen Menschen. Das Ich ist auf sich selbst reduziert.  Es büßt alle sozialen Eigenschaften und jegliches Vertrauen ein.

Was ist nun, wenn man sich von konstant wiederkehrenden Bildern verfolgt sieht? Das kann schmerzlich, lästig und für den Alltag beeinträchtigend werden und ist dem Teufelskreislauf zuzuschreiben. Dadurch kann ein Gefühl der Unentrinnbarkeit, des Ausgeliefertseins resultieren. Das kann zu depressiven Verstimmungen, zu Substanzmissbrauch und Sinnfragen führen, wenn sich ein Mensch der Angst ausgeliefert fühlt und keine Befreiung sieht. Sinnfragen kann man sich selbst beantworten. Zumeist liegt im sozialen Kontext aber bereits ein kulturell erzeugtes Schema von Antworten vor, das Scham und Selbstbeschuldigung nur scheinbar im Verborgenen versteckt. Scham und Schuld sind offenbar auch an der bildlichen Wiederaufführung von Schreckensszenen beteiligt, weil sie als moralische Kategorien an traumatische Erlebnisse gekoppelt werden. Schon die einfache Unterwerfung unter eine traumatische Gewalt löst Schuldfragen aus.

 

Störungen posttraumatisch

 

Im Zusammenhang mit der posttraumatischen Belastungsstörung scheint der Versuch einer Klärung des mehrdeutigen Begriffs „Störung“ angezeigt. Störungen oder Normabweichungen verweisen stets und beziehen sich auf Vorstellungen von ungestörten Verhältnissen. Sie sind aus einem Verständnis von Funktionen und Funktionieren hergeleitet, ohne zu berücksichtigen, dass ein menschliches Leben, jedes Leben, nicht nach funktionellen Kriterien abläuft, sondern schlicht abläuft. Funktionen sind von Menschen in sozialer Kooperation erfunden und viel zu sehr mit Zwecken verbunden. Der Zweck des Lebens ist allein, es zu leben, nicht mehr und nicht weniger. Wenn das gute Leben von einem erbarmungswürdigen unterschieden wird, kommen bereits menschlich bewertende Kategorien ins Spiel. Diese sind nicht zwangsläufig als natürlich zu bezeichnen. Sie enthalten durch ihnen innewohnende Zwecke bereits Macht und Durchsetzungsinstrumente, durch Gewalt, Überzeugung, Konsens, Unterwerfung. Es kommt folglich darauf an, welche Ermöglichungsbedingungen dem guten Leben zugeordnet werden und wie viel Mutwillen, Willkür oder Ignoranz ein erbarmungswürdiges Leben produziert.

Es gibt passagere und dauerhafte Störungen, die in stofflichen Prozessen in lebendigen Körpern ihren Ausdruck finden. Stofflich sind auch die Störungen, die als unangenehm, ekelerregend, quälend, mitleidheischend von Störungen anderer Menschen ausgelöst werden. Sie setzen teilnehmende Wahrnehmung voraus und offenbaren ein subjektives Verhältnis zu einer störenden Person. Nicht alle stofflichen Störungen führen auch zu einem störenden Verhalten. Störungen sind Abweichungen vom Durchschnitt, d.h. von der bauchigen Mitte der Verteilungskurve und erfreuen sich in den letzten Jahrzehnten einer wachsenden Intoleranz. Dies ist ein Hinweis auf den Verlust der Vielfalt in jeder Hinsicht: körperlich, mental, psychisch, sozial.

Es tritt der Doppelcharakter von Störung hervor: die Störung eines lebendigen Organismus auf der einen Seite, die Empfindung einer aufgezwungenen Störung auf der anderen. Und dann kommen noch die vermutlich Gestörten hinzu, die Störungen definieren und der Gesellschaft als Denk- und Bewertungsmuster vorschreiben. Störungen haben stets eine unsichere Grenze zur Normalität, an der die Willkür in Aktion tritt. Was ist noch tolerierbar, also noch keine Störung und ab wann käme eine Mehrheit zum Schluss, eine Störung liege höchstwahrscheinlich vor? Der common sense ist durchaus nicht in der Lage, eine scharfe Trennlinie zu ziehen zwischen Störung und Noch-nicht-Störung. Bei solcher Fragestellung mischen sich gewöhnlich Experten ein, denen das letzte Wort gestattet wird. Aber auch Experten sind nicht imstande, sich aus ihrem strengen und begrenzten Kulturbezug zu distanzieren. Einer Reihe von Störungen kann in manchen Kulturen Heiligkeit zugesprochen werden, die in unserer Kultur ins Irrenasyl führt. Wer Universalität unseres Störungsbegriffs und seiner Verzweigungen fordert, begibt sich auf schlüpfrigen Untergrund.

Nun wird der Begriff der Störung (im Englischen: disorder und nicht etwa disease) deshalb so oft verwendet, weil er den Begriff der Krankheit vermeidet. Störung wird als Vorstufe zur manifesten Krankheit verstanden. Störungen sind leichter zu beheben als Krankheiten, durch sprechende, physikalische oder chemische Interventionen, die eine Entstörung anstreben. Einer präzise beschriebenen Störung wird ein Bündel an Symptomen zugeordnet, die ein Ungleichgewicht durch Mangel bilden, das durch Ausgleich des Mangels repariert werden kann. Das ist eine bewusst simpel gemachte Annäherung an die vorgestellte Störung. Nach unserem Verständnis tritt nach einer Verletzung der Würde, Ehre, der individuellen Unverwechselbarkeit durch physischen Schmerz und Demütigung ein neuer Zustand in einer unspezifischen Art ein, die zu einer Störung des Vegetativums, des Stoffwechsels und des Selbstbildes führt. Und diese Störung wiederholt sich unter Belastung, worunter Zeichen, Orte, Bilder und andere Trigger gefasst werden. Man könnte den Eindruck haben, eine sich selbst perpetuierende Störung löse sich vom Körper und erhalte ihre Bedeutung aus der Bildsprache und Abstraktion eines Ereignisses, zugleich konkretisiere sie sich in neuronalen und stofflichen Prozessen durch unbewusste Gedächtnisaktivität und hinterlasse bei jedem erneuten Auftreten eine veränderte Persönlichkeit. Komplexe Phänomene dieser Art sind kaum in empirische Wissenschaft zu verwandeln, weshalb alle phänomenologischen Beschreibungen posttraumatischen Leidens in der modischen Vorläufigkeit stecken geblieben sind; die meisten waren sogar überflüssig. Wenn der Begriff der quantitativen Wissenschaft seine Berechtigung hat, dann durch Artikel und Monographien über posttraumatische Belastungsstörung, wie durch medline-Publikationen und andere Anbieter belegbar ist.

Das psychische Trauma spricht die Wahrheit in einem inneren, emotional gesteuerten Monolog aus, der allen anderen Menschen unzugänglich bleibt. Darin liegt Tragik wegen der Unzulänglichkeit der Sprache und anderer Ausdrucksmittel. Die Wahrheit der Wirkung einer psychischen Verletzung kennt nur die traumatisierte Person, obwohl sie sich auch auf falsche Fährten führen lassen kann, denn Wahrnehmung kann durch Suggestion und Erinnerungskonstruktion verzerrt werden. Sowie das Bewusstsein eine sprachliche Fassung des inneren und gefürchteten Monologs generiert, mischen sich Erfahrungen, Interessen und Zwecke in das Narrativ von der Ursache und den Folgephänomenen. Die Erzählung entfernt sich dadurch von der Wahrheit der inneren Gefühle, vom inneren Monolog. Dies ist die Basis mancher geisteswissenschaftlicher Betrachtungen, die in Literatur, Musik und bildenden Künsten die Nichtsprachlichkeit des psychischen Traumas favorisieren. Es entsteht dadurch das Gegenteil zum therapeutischen Eingreifen, das schreckliche und verstörende Erlebnisse zwanghaft sezieren muss, weil immer noch das Diktum gilt, wonach eine Realität, die verdrängt wurde, zu Wiederholungen drängt, wenn sie das Bewusstsein nicht erreicht.

Danke für Geduld und Ausdauer beim Lesen dieses Beitrags.