Notizen zu Traumapolitik
Januar 28, 2012von Sepp Graessner
Ein schlagendes Beispiel für politische Intervention im Traumafeld ereignete sich im Juli 1999 im US-amerikanischen Congress. Dort wurde einstimmig eine Resolution verabschiedet, die eine Brandmarkung und Verurteilung eines wissenschaftlich ausgewiesenen Artikels zum Thema hatte. Rund zwei Wochen später befand auch der US-Senat einstimmig den wissenschaftlichen Artikel für „severely flawed“. Richard J. McNally, Psychologe an der Harvard-Universität, machte uns 2003 mit den Fakten bekannt. Das Interesse McNallys war es, neben dezenter Empörung zu zeigen, wie kontrovers die damaligen (und heutigen) Erkenntnisse im Traumafeld rezipiert und gesellschaftlich diskutiert werden.
Was war vorausgegangen? Die Autoren Rind, Tromovitch und Bausermann hatten eine Metaanalyse in der Fachzeitschrift „Psychological Bulletin“ veröffentlicht, in der sie ihre Ergebnisse einer Untersuchung von 59 Studien vorstellten, die sich mit Langzeitfolgen nach sexuellem Missbrauch befassten. Danach waren sie zum Urteil gelangt, dass im Vergleich zu nicht missbrauchten Personen diejenigen, die sexuellen Missbrauch in der Kindheit erlitten hatten, nahezu dieselbe Anpassung geleistet hatten. Weniger als 1% der Abweichungen von psychologischer Anpassung waren auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit zurückführbar. Das hatte riesige Empörung bis in die Talkshows ausgelöst, sodass sich der Congress zum Handeln aufgefordert sah. Dabei wurde verurteilt und gebrandmarkt statt gefragt. Es hätten sich zahlreiche Fragen angeboten. Sie wurden nicht gestellt. Man hätte z.B. die untersuchten Studien und deren Fragestellungen und Hypothesen unter die Lupe nehmen können, man hätte fragen können, wie viele der für eine Metaanalyse herangezogenen Studien von Männern und wie viele von Frauen angefertigt worden waren und wie die untersuchten Kollektive beschaffen waren. Rind et al. hatten sexuellen Missbrauch explizit verurteilt.