Laat uns tosamm to en End kümmen

August 11, 2017

 

                Sepp Graessner

 

 

Leider wurden meine Wünsche, mit Leserinnen und Interessentinnen in Kontakt und Austausch zu treten, nicht erfüllt. Ich hätte gerne gewusst, ob meine Kommentare und alternativen Betrachtungen verstanden und benutzt wurden oder ob die Texte verschwommen und wenig hilfreich waren. Mein Hauptanliegen war es, Fragen zum Trauma und zur posttraumatischen Belastungsstörung aufzuwerfen und hin und wider konstruktiven Spott einzustreuen. Die historischen Dimensionen der Bedeutung psychischer Verletzungen und der daraus resultierenden Praxis waren mir wichtiger als Kasuistiken, deren Verallgemeinerungen und ihr Abdriften ins Beliebige das Problem der Traumafolgestörungen nicht aufklären und vertiefen können. Die Betrachtung individueller, subjektiver Leiden habe ich stets im sozialen Kontext der Entstehung und der subjektiven Folgephänomene angesiedelt, wo sie nach meiner Ansicht hingehören.

 

„Damit kehren wir zu dem Punkt zurück, dass Kriterien und Begriffe Geschichte haben. Es ist nicht so, dass nur Tätigkeiten Geschichte hätten und die Kriterien, die das Handeln bestimmen, zeitlos wären.“

(Alasdair McIntyre,1978)[i]

Zur Verwandlung des Ressentiments in das klinische Trauma

Juni 26, 2017

 

Sepp Graessner

 

 

An den Anfang stelle ich ein Zitat Jean Amérys, der sich am belgischen Widerstand gegen die Nazibesatzer beteiligte und gefoltert wurde. Es belegt, dass der Begriff: Ressentiment in den 1950/1960er Jahren durchaus geläufig war:

 

„Misstrauisch auskultiere ich mich: Es könnte sein, dass ich krank bin, denn objektive Wissenschaftlichkeit hat aus der Beobachtung von uns Opfern in schöner Detachiertheit (Gleichgültigkeit, S.G.) bereits den Begriff des „KZ-Syndroms“ gewonnen. Wir alle seien, so lese ich in einem kürzlich erschienenen Buch über „Spätschäden nach politischer Verfolgung“, nicht nur körperlich, sondern auch psychisch versehrt. Die Charakterzüge, die unsere Persönlichkeit ausmachen, seien verzerrt. Nervöse Ruhelosigkeit, feindseliger Rückzug auf das eigene Ich seien die Kennzeichen unseres Krankheitsbildes. Wir sind, so heißt es, „verbogen“. So habe ich denn die Ressentiments nach zwei Seiten hin abzugrenzen, vor zwei Begriffsbestimmungen zu schirmen: gegen Nietzsche, der das Ressentiment moralisch verdammte, und gegen die moderne Psychologie, die es nur als einen störenden Konflikt denken kann.“

 

         Bislang hat kaum jemand die historischen Linien von Begriffen, die psychische Gewaltfolgen in Menschen bezeichneten, zu dem heute gebräuchlichen Begriff des Psychotraumas gezogen. Hinter diesen Wandlungen stehen Psychiater-Akteure aus den USA, die mit hilfsbereiter Naivität Diagnostik und Therapie für Vietnam-Veteranen entwickelten und anboten und damit eine Forderung von Experten wie R. Lifton, C. Chatan und dem Militärkomplex erfüllten. Zugleich reklamierte die damals eingesetzte Task-Force die Folgen von Lebensbedrohung und erlittenen Gewalthandlungen als genuin psychiatrisches Gelände, das sich universeller Ausdehnung erfreuen sollte. Es ist daher verblüffend, dass aktive Gewalthandlungen (von z.B. Soldaten) nicht in den Genuss psychiatrischer Aufmerksamkeit kommen sollten.

Zuerst stelle ich psychologische Elemente des Ressentiments heraus und vergleiche deren Kern mit dem Katalog des „modernen“ Psychotraumas, dann erlaube ich mir einige Bemerkungen zu Nietzsches Verständnis von Ressentiment.

Bemerkungen zum „Zentrum Überleben“

März 19, 2017

 

     (Zum Verschwinden des BZFO nach 25 Jahren)

 

von Sepp Graessner

 

Beim Bäcker weiß jeder, was es dort zu kaufen gibt, beim Fleischer auch. Ihre Läden heißen nach ihrem Beruf. Jeder Imbiss hat ein begrenztes Angebot, auch wenn der Imbiss als Gabys oder Mehmets firmiert. Bei Tageszeitungen ist es zumeist üblich, dass sie einen traditionellen Namen für ihr Blatt fortsetzen, z.B. Anzeiger, Depesche, Spiegel, Rundschau, Blatt, meist in Verbindung mit Orten oder Regionen. Man weiß, was gemeint ist. Neuerdings ist es Unsitte geworden, sich Firmennamen zuzulegen, die nicht auf das Angebot hinweisen, sondern sich hinter Symbolen verstecken, z.B. einem angebissenen Apfel. Versteckspielfreude mag der Grund dafür sein und maßlose Überhöhung, wenn der Sündenfall aus Genesis III re-inszeniert wird.

Exorzismus von Empathie – eine kurze zornige Einlassung

März 6, 2017

         Sepp Graessner

 

Die „Willkommenskultur“ war in Deutschland noch einmal ein Aufblühen, später dann ein Aufbäumen teilkollektiver empathischer Empfindungen, bevor sie zwischen den politischen Parteien und Lagern zerrieben und ein Opfer taktischen Kalküls wurde, zuweilen auch durch allzu innige Identifikation mit Notleidenden zur Erschöpfung führte. Gefühle, Mitgefühle und das Schicksal von Flüchtlingen und Asylbegehrenden sind ein besonderes Kapitel nicht nur der Moral, sondern auch innerhalb unseres Rechtssystems, das die Reichweite menschlicher Äußerungen zu privaten und kollektiven Gefühlen vorschreibt.

Symbolische Revolution – Wuchernde Überlegungen

Januar 3, 2017

 

            von Sepp Graessner                        

 

           Wir sind Zeugen einer symbolischen Revolution, die sich mit den Begriffen „Trauma, PTBS, traumatisches Gedächtnis und therapeutische Angebote für Traumatisierte“ verbindet. Es wird der Eindruck erweckt, traumatische Erlebnisse würden das Leben von Traumatisierten vergiften, wenn sie nicht in therapeutischen Settings kommuniziert und damit entschärft würden. Es stellt sich hier die Frage, wie lange das Leiden an der traumatischen Erinnerung andauern kann und darf, ob also Prognosen über den Verlauf posttraumatischer Symptomatik nach bisheriger Erfahrung abgegeben werden dürften, die zumindest Reste von Hoffnung zulassen und Resignation und Regression vorbeugen.

          In einem Grußwort anlässlich eines Symposiums in Hamburg, das sich mit Staatsterrorismus und psychosozialer Gesundheit in Südamerika befasste, hatte 1989 Adriaan van Es [1] darauf hingewiesen, dass die Diagnose PTBS deshalb als unzureichend betrachtet werden müsste, weil sie die Fortdauer des inneren Terrors hinter der Vorsilbe „post“ verstecke. Vielmehr sei, z.B. in Südafrika, von einem CTSD, einem „Continuing Trauma“ zu sprechen, wie Lloyd Vogelman [2] vorschlug. Van Es bezog sich auf die Leidtragenden des Apartheidsystems in Südafrika, und er forderte in seinem Statement dazu auf, dafür Sorge zu tragen, dass Verfolgte und Misshandelte aus politischen Kontexten in ihren Heimatländern behandelt werden sollten und spezifische Wege der Behandlung gefunden werden müssten, die den Anforderungen und Vorgaben der regionalen Kulturen entsprechen. Über 25 Jahre sind seither vergangen, und die verzweigten, nicht selten utilitaristischen Entwicklungen des Traumadiskurses haben Fragen aufgeworfen. An einige Antworten habe ich mich als Skeptiker in meinen Gedankensplittern genähert, als Bilanz meiner praktischen Tätigkeit.

 

 

       Wenn man der Äußerung van Es’ folgt, können Mut und Hoffnung vergehen, denn die Bedeutung des „Continuing Trauma“ sieht eine Linderung und strukturelle Verbesserung nicht vor oder legt sich nicht fest; vielmehr verallgemeinere dieses Verständnis jene Fälle, die unter dauerhafter Symptomatik litten und übertrage sie auf alle Menschen, die einem extremen Trauma ausgesetzt waren. Der traumatische Einschlag finde somit bei allen Betroffenen keinen Abschluss und führe ein Eigenleben mit einem autogenerierenden Mechanismus. Erinnerung ans Trauma und posttraumatische Symptome seien nur in inniger Verbindung zu denken (vom Therapeuten) und zu fühlen (vom Traumatisierten). Das Hauptsymptom eines demütigenden Traumas wäre demnach die bewusst oder unbewusst generierte Erinnerung, was Allan Young schon zu Beginn der 1990er Jahre erkannte. Wenn  aber mit „continuing“ der prozesshafte Charakter posttraumatischen Befindens gemeint ist, dann können wir leichter folgen, weil jeder Prozess irgendwann ein Ende hat oder zumindest durch kommunikative Interventionen abzukürzen ist. Die Vorstellung gleichsam toxischer Erlebnisse, deren Toxizität nicht abnimmt oder von Zeit zu Zeit heftig aufwallt, ist nicht haltbar, wenn man die Mehrheit traumatisierter Menschen betrachtet, die offenbar ihr persönliches „Antitoxin“ (mit Hilfe Dritter) gefunden haben, auch wenn man nicht sicher sagen kann, wie sie das angestellt haben. Denn die Entwicklung einer psychischen Biographie (im Unterschied zur formalen, Ereignis gestützten) enthält so viele Ressourcen, Variablen und verarbeitete Sinneseindrücke, dass man nicht prognostizieren kann, wann eine sauber diagnostizierte psychosoziale Störung einer extrem traumatisierten Person persistiert, abklingt oder in Vergessenheit sedimentiert. Diese vielfältigen und unterschiedlich gewichteten Kraftfelder lassen sich in keiner Statistik anführen, weil man in Statistiken Subjektivität und Dynamik nicht berechenbar darstellen kann. Wer sich trotz traumatischer Erlebnisse nicht krank fühlt, taucht in keiner Befragung oder Statistik auf. Selbst wenn man in quantitativer Weise biographische Risikofaktoren bewerten könnte, ist eine Prognose wegen der kommunikativen Einflüsse  aus der posttraumatischen Umgebungsgesellschaft Illusion.

Einige Essentials zu interkultureller Psychotherapie

Oktober 28, 2016

 

                               von Sepp Graessner

 

 

„Was der Leib gelernt hat, das besitzt man nicht wie ein wiederbetrachtbares Wissen, sondern das ist man. Besonders deutlich wird dies in Gesellschaften ohne Schrift, in denen ererbtes Wissen nur in einverleibtem Zustand lebendig bleiben kann.“ (Pierre Bourdieu, 1999[i])

 

 

Nichts erscheint so schwierig wie die Psychotherapie mit Menschen aus anderen Kulturen, deren Grundmuster für soziale Organisation, Krankheitsbegriffe oder Heilverläufe, von der Sprache ganz abgesehen, unbekannt sind und in den meisten Fällen bleiben. Zugleich kann es ein Person stärken, wenn sie mit Phantasien, Assoziationen und Transformationen eine unbekannte Kultur zu erfassen versucht.

Wenn man als Therapeut Zwänge vermeiden will, steht man zu Beginn ziemlich nackt da. Klassifikationen, Diagnosen, Methodiken und routinierte Settings setzen sich leicht dem Verdacht aus, Unterordnung zu fordern und Zwang[ii] auszuüben, hinter denen positive Impulse der Hilfestellung und wohlmeinender Absichten verblassen können.

Im Folgenden werden aus praktischer Tätigkeit, Erfahrung und Reflexion einige Essentials destilliert, die zu beachten sich im Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen und Asylbegehrenden bewährt haben. Sie sind sehr allgemein formuliert und bilden eher einen Rahmen für Begegnung als konkrete Therapiehinweise. Wer Rezepte in diesem unbekannten und undurchsichtigen Terrain wünscht, der wird wohl enttäuscht sein. Ich betrachte den kurzen Text als Anregung für eigene Beobachtungen.

Probleme einer expandierenden Diagnose oder schlicht condicio humana?

Januar 18, 2016

                

                                      von Sepp Graessner

 

 

PTSD seems a tailor-made diagnosis for an

age of disenchantment and disillusionment.

(D. Summerfield, 2001)[i]

If mental disorders were listed on the New York exchange,

PTSD would be a growth stock to watch. (P.R. Lees-Haley 1986)[ii]

 

Einführung:

 

    Manche Denker sagen, die Wissenschaft entdecke eine Welt, die bereits vorhanden ist. Andere wiederum meinen, dass die Wissenschaft in Wirklichkeit gar keine bereits vorhandene Welt entdecke, sondern eine solche Welt (mehr oder weniger) erfinde, besonders wenn es um beobachtete Interdependenzen von und fabrizierte Gesetze für sehr komplexe Phänomene geht.

     Das psychische Trauma hat es ja immer schon gegeben, es hieß zumeist Katastrophe, Drama, Unglück, Heimsuchung, Krieg, Willkür und konnte in eine postdramatische Störung münden. Erst seit 35 Jahren existiert mit der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, PTSD) eine Diagnose, zu der sich die „Erfindergenerationen“ im 19. Jahrhundert noch nicht durchringen konnten, vielleicht weil sie der Meinung waren, dass die posttraumatische Symptomatik keine sicher von anderen psychischen Störungen abgrenzbare Entität sei oder sie andere Traumaaspekte in den Vordergrund rückten oder die traumatische Neurose den Sachverhalt am besten ausdrücke. Sie waren noch der Beschreibung individueller Leidensgeschichten verhaftet, kannten wohl noch nicht die Tücken der Statistik, konnten sich noch auf ihre Beobachtungen verlassen, nahmen ihre Wirkungen bei sich und ihren Patienten ernst und hüteten sich vor allzu schnellen Verallgemeinerungen. Vor allem aber wussten diese Generationen, dass jede neue Begriffsbildung in der Diagnostik ein abstraktes Gebilde ist, das seine Existenz den Teilen verdankt, die ohne explizite Bedeutung oder unbewusst bleiben, so dass man sagen kann, die bewusste „Erfindung“ und der bewusste Gebrauch eines neuen Begriffs macht vieles unbewusst, was in Abgleichungsprozessen unberücksichtigt oder marginal geblieben ist. Daher ist der Begriff PTBS, wenn er denn in der heutigen Form erhalten bleibt, ein stets neu zu belebender Prozess und kein Absolutes oder Wahres. Diese Vorläufigkeit widerspricht zudem dem Universalitätsanspruch der Diagnose, außer man nimmt überall im menschlichen Universum dieselbe Abstraktionsfähigkeit und Bedeutungsaufladung an.

Und obwohl es um diagnostizierbare Veränderungen im menschlichen Organismus, d.h. biologische Prozesse, geht, denen Universalität zugesprochen wird, und nicht allein um abstrakte Begriffe, wird jeder einräumen, dass es ohne Begriffe keine realen Tatsachen gibt, über die und von denen man sprechen kann, d.h. im globalen Maßstab haben diagnostische Begriffe eine je eigene Bedeutung, die vieles ausschließt (was im Lateinischen eine der Bedeutungen von abstrahere ist). Die Etablierung der Diagnose PTBS macht zunehmend Schwierigkeiten, nicht so sehr für PraktikerInnen, die nicht primär die ursprüngliche Konzeption anfechten, sondern einfach anwenden. Forschungsergebnisse weisen jedoch oft in diametral entgegengesetzte Richtungen, so dass die Idee, Lebenswirklichkeit kreiere psychische Leidensphasen, die psychiatrisch erklärbar seien, zunehmend in soziale und enigmatische Kategorien entweicht und zur Ideologie werden kann, weil der wissenschaftliche und der populäre Begriff der posttraumatischen Belastungsstörung nur scheinbar klar und präzise sind. Vielmehr glauben etliche Forscher, der Begriff sei widersprüchlich, transportiere auch viel Nichtpsychologisches, werde trotz oder wegen der Expansion hohler. Nur hohle Begriffe können ideologisch aufgeladen werden.

Dass negativ definierte menschliche Erlebnisse psychische Schmerzen und äquivalente Empfindungen und Antworten auslösen können, ist evident und unbestreitbar. Je intensiver und verwurzelter diese jedoch in normativen Bahnen verlaufen (sollen), desto so hellhöriger muss eine kritische Öffentlichkeit die Grundlagen der Konzeption in Frage stellen.

Einkreisung eines Phänomens

Februar 24, 2015

von Sepp Graessner

 

Viele Jahrzehnte erforscht die Wissenschaft das Phänomen Trauma, indem sie Ursachen und Folgewirkungen in unterschiedlichen Feldern untersucht, was befremdlich erscheint, weil der Fähigkeit zur Gewalt ebenso wie den Wirkungen von Gewalt ein psychischer Prozess zugrunde liegt. Die unbekannte Komplexität aller Faktoren, die Gewalt bedingen und Gewalt hervorbringen und andererseits die terra hemidemisemicognita der Gewaltwirkungen im Menschen, scheint diese Segmentierung nötig zu machen. Hammer und Amboss wird man jedoch weiterhin in einem Feld, in der Schmiede, suchen. Wenn man durch politische Praxis die Gewalt nicht bändigen kann, vertraut man gern auf den psychomedizinischen Komplex, weil er sich auf den Entsorgungsaspekt schrecklicher Ereignisse spezialisiert hat.

Seine Reputation bezieht der Traumabegriff vorrangig aus seiner Funktion als „Gleichmacher“ ersten Ranges, darin sehr ähnlich dem Begriff: Stress, zu dem es natürliche Beziehungen gibt. Vorsätzliches Trauma umfasst Täter und Opfer, Arme und Reiche, Kluge und Dumme, Herren und Knechte, weil alle, indem sie (durch Gewalthandlungen) Qualitäten ihrer Menschlichkeit einbüßen, im psychologischen Sinne Schädigungen aufweisen. Wenn also allein die Verluste und deren psychophysische Folgen fokussiert werden, ist es schwer, die Ursachen nach moralischen Kriterien zu differenzieren. Erst die umschriebenen Folgen von Gewaltakten mobilisieren Fürsorge, Empathie und therapeutische Korrektur, allerdings mit selektivem Blick: hierarchisch gegliedert bringen wir diese Eigenschaften zum Ausdruck und verströmen sie auf z.B. misshandelte Kinder, Geiseln, Soldaten, Bettler, Flüchtlinge (in dieser Reihenfolge). In gewisser Weise ist der Traumabegriff ein Gleichmacher im Unsichtbaren, der besonders auffällig mit der ökonomischen Ungleichheit, d.h. im sichtbaren Bereich, kontrastiert. Den Zugang zu unsichtbaren Prozessen hat die Psychiatrie/Psychologie von religiösen Ritualen übernommen.

Folter und Gedächtnis – Erinnerungsmedizin gegen den Missbrauch des Gedächtnisses (1999)

Juni 18, 2014

 

 

Folter und Gedächtnis – Erinnerungsmedizin gegen den Missbrauch des Gedächtnisses (1999)

von Sepp Graessner

 

 

Kognitive Fähigkeiten  (sind) untrennbar mit einer Lebensgeschichte verflochten, wie ein Weg, der als solcher nicht existiert, sondern durch den Prozeß des Gehens erst entsteht. Daraus folgt, daß meine Auffassung der Kognition nicht darin besteht, daß diese mithilfe von Repräsentationen Probleme löst, sondern daß sie vielmehr in kreativer Weise eine Welt hervorbringt, für die die einzige geforderte Bedingung die ist, daß sie erfolgreiche Handlungen ermöglicht: sie gewährleistet die Fortsetzung der Existenz des betroffenen Systems mit seiner spezifischen Identität.

(F.J. Varela, Kognitionswissenschaft – Kognitionstechnik, S. 110)

 

Es ging niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlingsopfer gehören), die widerlichsten Verstümmelungen (zum Beispiel die Kastrationen), die grausamen Ritualformen aller religiösen Kulte (und alle Religionen sind auf dem untersten Grunde Systeme von Grausamkeiten) – alles das hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste Hilfsmittel der Mnemonik erriet.

( F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral II,3)