Kann man die kommunikativen und emotionalen Auswirkungen extremtraumatisierter Menschen auf die nachfolgende Generation Trauma nennen? Im Einwurf vom 29. November 2019 hatte ich begründet, warum ich mich ohne Praxis nicht zum „Trauma“ der zweiten Generation von Holocaust-Überlebenden äußern könne. Ich habe keine Kenntnis über Betroffenenzahlen und kann die vielfältigen Einflusssysteme in ihrer Dynamik und Wirkung nicht beurteilen. Meine Vorstellung kann mich leiten. Ich denke, das Problem einer „Traumatisierung“ der zweiten und dritten Generation ist mit Pathos und Empathie nur im Zusammenhang mit anderen Dauertraumatisierungen (durch Massenmord, Geiselnahme, Genozid, Giftgasattacken, Bürgerkrieg, Entmenschlichung, Zwangsumsiedelung und Verschleppung) zu verstehen, wobei moralische und menschenrechtliche Urteile gesprochen, geschichtliche Deutungen gebildet werden, Bedeutung für den Einzelnen erlangen, intensive Arbeit am Unverständlichen fordern und zum Kristallisationskern für kollektive Forderungen nach Reparation und gerichtlicher Verurteilung der Täter werden. Hierbei geht es nicht um Relativierungen des Holocaust, der gezielten Vernichtung der Juden Europas, sondern es zeigt sich die Bandbreite psychischer Traumata, die aus langdauernder Verfolgung und Bedrohung des Lebens, Verlusten des sozialen Gefüges, der Benachteiligung und Diskriminierung in negativer Weise auf die Kindergeneration resultieren. In Bezug zu traumatischen Folgen kann kein historisches Ereignis von Mord und dauerhafter Intensivbedrohung ein Privileg beanspruchen. Trauma mit dazugehörendem Diskurs ist sicherlich kein feststehender Begriff, der definitionsgemäß einem Gewalterlebnis folgt und in seiner Bedeutung, Praxisorientierung und Applikation nicht spezifisch oder dogmatisch beschränkt werden kann. Trauma hält sich trotz eines offiziellen Symptomenkatalogs (im Sinne von PTBS) in aller Subjektivität für angemessene, aber auch für flexible Deutungen und Zuschreibungen offen. Damit öffnet sich Psychotrauma auch für universelle Dimensionen, was durch Opferhierarchisierungen verhindert würde.