von Sepp Graessner
Auch nach fünf Jahren Praxis mit Menschen, die durch politische Verfolgung beschädigt wurden, wird man in einer latent gefährlichen Krisenregion wie in der Stadt Kirkuk die therapeutischen Ziele als vorläufig und fragil bezeichnen müssen. Sie sind ebenso wenig als richtig, fixierbar oder als unveränderlich anzusehen wie die Realität insgesamt. Die Realität nach extremen Traumata wiederzugewinnen, wird landläufig als das bedeutendste Ziel von Therapie betrachtet, weil ein Wust von widerstreitenden Affekten den Blick getrübt hat. Über die Bewertung der Realität können unterschiedliche Vorstellungen bestehen.. Oftmals hört man, die grausam behandelten Menschen hätten pathologische Krankheitsbilder erzeugt. Dies halten wir für falsch und für ein Ergebnis von Verleugnung, denn die politische Wirklichkeit hat Pathologien hervorgebracht.
Was also ist die Realität, die ein traumatisierter Klient verloren zu haben scheint und über deren Zusammensetzung, Bewegungsrichtung und Schwachstellen der Therapeut wissend verfügt? Wie wird ein individuelles oder kollektives Verhältnis zur Realität, der vergangenen und der gegenwärtigen, gebildet? Was ist dabei lässlich, was unverzichtbar?